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Potsdam-Mittelmark: Menschen statt Automaten

Ein Wilhelmshorster fordert mehr Service von der Bahn und hat dafür ein Aktionsbündnis gegründet

Von Eva Schmid

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Michendorf - In 90 Prozent aller Bahnhöfe in Brandenburg gebe es keine Menschen mehr, nur noch Automaten, sagt Klaus Zentgraf. Den Maschinen und der Deutschen Bahn hat der 62-jährige Rentner aus Wilhelmshorst den Kampf angesagt. Wie kein anderer kennt er die Situation an Brandenburgs Bahnhöfen. Vor zwei Jahren fiel ihm bei einer Bahnfahrt zum ersten Mal auf, wie viele Bahnhofsgebäude geschlossen waren. Das war der Beginn seiner Feldforschung. So nennt er seine akribische Studie: 3500 Kilometer ist er seither per Bahn durchs Land gefahren, 280 Bahnhöfe hat er sich angesehen, 15 000 Fotos davon geschossen, 500 alte Fahrpläne aufgetrieben, Reisende befragt und viele Informationen gesammelt. Sein Fazit: Der fehlende Service an Bahnhöfen dürfe nicht mehr länger akzeptiert werden.

Im Dezember vergangenen Jahres hat Zentgraf ein Aktionsbündnis gegründet. In Anlehnung an den Streit um den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofes nennt er seine Initiative „Aktionsbündnis BB 21“, das steht für Bahn in Brandenburg im 21. Jahrhundert. Dem Aktionsbündnis mit rund zehn Mitgliedern gehe es um eine Diskussion über öffentliche Räume, über die Nutzung von Bahnhöfen und nicht zuletzt um mehr Service. Zwar ist die Mitgliederzahl noch gering, die bisherigen Unterstützer aber recht mächtig: Mit dabei sind unter anderem die Gewerkschaft der Bahnbeschäftigten, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG, der Verkehrsclub Deutschland und der Lobbyverband der Fußgänger, der Fuss e.V.

Der Wilhelmshorster hat seinem Ärger in einem offenen Brief an die deutsche Bahn, den Bund und das Land Brandenburg Luft gemacht. Derzeit lässt wie berichtet die Landesregierung vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg 60 Bahnhöfe im Land auf ihre Wirtschaftlichkeit prüfen, weil dort weniger als 50 Ein- und Ausstiege pro Tag gezählt wurden. Zentgraf wettert: „Das ist Zerschlagung der Infrastruktur.“ Besonders den Abbau von Stellen kritisiert er: „Ich möchte keinen Automaten vor mir haben.“ Zentgraf ist auf die Bahn angewiesen. Nach einer Krankheit ist er halbseitig gelähmt, ein Auto kann er nicht mehr fahren. Oft stand er vor Automaten, die kaputt waren. Wenn sie funktionierten, hätten sie ihm nicht immer die besten Reiserouten ausgegeben. Zentgraf sah Senioren, die vor den Geräten verzweifelten.

Mit Zentgrafs Kritik kann die Deutsche Bahn nichts anfangen. Die Fahrkartenverkäufe über das Internet würden steigen, teilt ein Bahnsprecher auf Anfrage mit. „Das bequeme Kaufen eines Fahrscheins zu Hause am PC führt zwangsläufig zum Überdenken der Notwendigkeit von mit Personal besetzten Fahrkartenschaltern“, heißt es in einem Schreiben. Die Bahn handele, wie jedes Unternehmen, nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip.

Als Antwort auf den offenen Brief von Zentgraf verweist der Bahnsprecher „auf die Erfolgsgeschichte der Bahn in der Region Berlin/Brandenburg“. Man werfe nur mal einen Blick in den aktuellen Länderbericht. Darin steht, dass die Bahn in den kommenden fünf Jahren 1,3 Milliarden Euro in die Infrastruktur in Brandenburg investieren wird, davon entfallen rund 90 Millionen auf viele der insgesamt 313 Bahnhöfe. Zum Thema Personal heißt es in dem Papier: Die Deutsche Bahn betreibt in Berlin und Brandenburg 15 Reisezentren, ein DB-Reisebüro, ein Mobility-Center, 41 Agenturen und 201 Fahrkartenautomaten.

Doch das reicht dem Wilhelmshorster nicht. Er hat ausgerechnet, dass es für die über 300 Bahnhöfe in Brandenburg nur noch sieben Reisezentren gibt. „Und dort zahlt man für den Service sogar noch drauf.“ Für manche Tickets, die man am Schalter kauft, werden sogar zwischen zwei und fünf Euro zusätzlich fällig. Oft bekomme er von dem Personal am Schalter den Hinweis, sein Ticket am Automaten zu lösen, sagt Zentgraf wütend.

Auch der Behindertenbeauftragte des Landkreises, Udo Zeller, unterstützt die Forderung nach mehr Service. Viele Fahrkartenautomaten seien für Menschen im Rollstuhl zu hoch, scheint die Sonne auf den Bildschirm, würden sehbehinderte Menschen nichts mehr erkennen. „Es gibt noch viele Beispiele, die zeigen, dass das System Bahn für Menschen mit Behinderung per se unfreundlich ist“, so Zeller. Am deutlichsten werde es aber bei den Vorlauffristen, die Menschen mit Handicap einhalten müssten, um Hilfe beim Reisen zu bekommen. „Drei Tage vorher muss man seine Reise anmelden, das ist doch nicht mehr zeitgemäß.“ Auch Zeller fordert, dass es vor Ort mehr Personal geben müsste, um spontan reagieren zu können. Die Bahnangestellten könnten dann auch älteren Menschen helfen, die mit den Fahrkartenautomaten überfordert seien.

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