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Potsdam-Mittelmark: Müde und geständig

Ex-Polizist Bernd R. soll aus Gewinnsucht Umweltschaden von 73 Millionen Euro verursacht haben

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Potsdam-Mittelmark – Bernd R. zeichnet das Bild eines Wendeverlierers: Leise, aber bereitwillig erzählt er, wie er 1996 aus dem Polizeidienst ausscheiden musste – weil frühere Stasi-Tätigkeiten ans Licht gekommen waren. In der DDR hatte er bei der Volkspolizei Karriere gemacht, sogar zum Studium hatten sie ihn geschickt. Und nun musste er einen Job als Kraftfahrer bei einer Recyclingfirma annehmen. „Die Schwierigkeiten waren sehr groß, ich bin ja als ehemaliger Bulle hingekommen“, erklärt der 56-Jährige dem Richter. Als die Firma vier Jahre später pleite ging, stand R. auf der Straße. „Ich hatte die Idee, mich selbstständig zu machen.“ Und damit begann seine zweite Karriere: Als mutmaßlicher Drahtzieher des größten Müllskandals Brandenburgs zur Nachwendezeit.

Seit gestern steht der „Müllpate“ von Potsdam-Mittelmark vor dem Potsdamer Landgericht. Er soll zwischen 2004 und 2008 über 144 000 Tonnen illegalen Mülls – hauptsächlich Siedlungs- und Gewerbeabfälle – auf sechs ehemaligen Deponien und einer Kiesgrube im Landkreis vergraben haben. Mitangeklagt ist sein früherer Mitarbeiter und Kompagnon, der 49-jährige Frank N.. Allein die Verlesung der Anklageschrift gegen die beiden dauert eine ganze Stunde.

Altbensdorf, Zitz, Mörz, Wollin, Rogäsen, Schlamau: Die früheren Müllkippen, wie sie in vielen Dörfern noch aus DDR-Zeiten bestehen, und die Kiesgrube bei Schlunkendorf sollte R. mit seinem Unternehmen eigentlich rekultivieren. Stattdessen wurden bis zu 16 Meter tiefe Löcher gegraben, der alte Abfall umgelagert und neuer hinein getan, schließlich Erdreich darüber gedeckt. Das alles sei vorsätzlich geschehen und unter billigender Inkaufnahme der Folgen und Folgekosten, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft.

In Anbetracht der drückenden Beweislast geben sich die beiden Angeklagten kooperativ – auch wenn die Staatsanwaltschaft eine vom Gericht vorgeschlagene Verständigung abgelehnt hat. Laut Angebot sollten R. für ein umfassendes Geständnis und erkennbare Reue zwischen vier und fünf Jahren Haft in Aussicht gestellt werden, N. dagegen höchstens zwei Jahre und sechs Monate auf Bewährung. „Das war uns zu niedrig“, so eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Potsdam im Nachhinein. Staatsanwältin Kristine Sorstüm erklärte am Rande der Verhandlung, dass für jedes der sieben Vergehen eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren infrage käme. Immerhin: Richter Frank Tiemann prophezeite, dass sich die für Donnerstag geplanten Geständnisse „gravierend strafmildernd“ auswirken werden.

Bernd R. und Frank N. – augenscheinlich sind es zwei Durchschnittstypen mittleren Alters, die hier im Gerichtssaal sitzen. Die grau-melierten Haare haben sie modisch kurz geschnitten, beide sind von der jahrelangen Arbeit im Freien sonnengegerbt. Mit unbewegten Mienen nehmen sie die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft hin, so als wäre jemand anderes, und nicht sie gemeint. Es sind unglaubliche Zahlen, mit denen Staatsanwältin Sorstüm das Gericht konfrontiert: 144 000 Tonnen, das entspricht in etwa 270 000 Kubikmetern an Verpackungsabfällen aus Plastik, Papier, Glas, Metal und Textilien, sollen die beiden im mittelmärkischen Erdreich verbuddelt haben. Hinzu kommen im Einzelnen Bauabfälle aus Teer, Kohlen, Bauteile aus elektrischen Geräten sowie medizinische Abfallprodukte wie Gipsverbände. Durch das Regenwasser seien Schadstoffe ausgewaschen und an den verschiedenen Standorten bereits im Grundwasser nachgewiesen worden. Wollte man alle sieben Halden komplett zurückbauen, würde das laut Rechnung der Staatsanwaltschaft 73 Millionen Euro kosten.

Bernd R. wird über soviel Geld nicht verfügen – obwohl er mit der Müllverklappung ordentlich Gewinn gemacht haben soll. Insgesamt 4,37 Millionen Euro seien zusammengekommen, weil das Vergraben des Mülls 17 Euro pro Tonne günstiger war als das ordnungsgemäße Ablagern oder Verbrennen. Den Profit soll R. für seine Firma und für private Zwecke ausgegeben haben. Seiner Frau Ingrid, die noch heute im Polizeidienst tätig ist, stellte er ebenfalls einen Anteil zur Verfügung: Sie soll davon 38 Waldgrundstücke erworben haben und aus dem Verkauf von Holz 244 000 Euro eingenommen haben. Gegen sie wird bereits ermittelt, wie die Staatsanwaltschaft durchblicken ließ.

Bernd R. wird die Vorwürfe voraussichtlich alle einräumen. Er wirkt müde, hat er doch schon ein Verfahren wegen Vorteilsgewährung hinter sich und musste bereits zwei Monate Untersuchungshaft in der JVA Brandenburg verbringen. Wohl auch deshalb erzählt er so bereitwillig aus seinem Lebenslauf und gewährt Einblicke ins Privatleben: Seine Stimme zittert leicht, als er erklärt, dass seine Mutter bereits sehr jung gestorben ist. Er berichtet, wie er sich von seiner ersten Frau 1986 scheiden ließ, weil er schon seit Jahren mit seiner Polizei-Kollegin Ingrid zusammen war. Und er erzählt, wie er diese 1996 heiratete. Über seine Tätigkeit als Müllentsorger wird er nun wohl zur Prozessfortsetzung am Donnerstag reden.

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