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Von Thomas Lähns: Nachtruhe in der „Galerie“

Die Lkw-Stellplätze auf den Raststätten in der Region werden knapp – auf der Suche nach Alternativen verstoßen die Fahrer mitunter gegen das Gesetz

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Michendorf - Der Trucker langte einfach zu: Mit einem Faustschlag streckte er einen 53-jährigen Autofahrer aus Berlin nieder, der wiederholt an seine Kabine geklopft hatte, um ihn zum Wegfahren zu bewegen – denn der Lkw versperrte die Durchfahrt auf einem Parkplatz an der A 2 nahe Brandenburg (Havel). Am Morgen des 27. Mai gerieten beide deshalb in einen Streit. Für die Polizei, die den entnervten Lasterfahrer kurz darauf in Höhe Michendorf stellte, ist der Fall eine Ausnahme – noch. Denn gerade in den Abendstunden sind freie Lkw-Parkplätze auf den Raststätten der Region Mangelware. Wer zu spät kommt, muss sich unter Umständen mit einem Platz in der Durch- oder im schlimmsten Fall in der Ausfahrt behelfen.

„Das nennt man dann Galerie“, erläutert Harald Kühn. Der Lastwagen-Fahrer macht gerade eine kurze Pause auf der Raststätte Michendorf-Nord. Es ist zehn Uhr vormittags, und im Moment ist die Zahl der Brummis im hinteren Bereich überschaubar: 107 Lkw-Stellplätze gibt es hier, rund zwei Drittel sind belegt. „Tagsüber geht es, aber wenn man nach 18 Uhr seine Nachtpause einlegen will, haben die Kollegen meist schon alles zugestellt“, berichtet Kühn. Und was macht der müde Trucker dann? „Man parkt in einem Gewerbegebiet, in der nächsten Ortschaft – oder versucht, auf dem Rastplatz doch noch eine freie Ecke zu finden.“ Denn schlimmer als Falschparken werde die Überschreitung der Lenkzeiten geahndet, sagt Kühn. Er ist regelmäßig zwischen Brandenburg, Hessen und Belgien unterwegs – und die A 2, so schätzt er, ist besonders stark vom Stellplatz-Mangel betroffen.

Die Polizei kennt das Problem und würde laut Kühn in den meisten Fällen ein Auge zudrücken. Heiko Schmidt, Sprecher des Schutzbereiches Brandenburg, formuliert es diplomatischer: „In der Regel findet sich immer ein Plätzchen.“ Wenn allerdings ein Lkw-Fahrer den Verkehr gefährdet, indem er eine Durchfahrt blockiert oder gar eine „Galerie“ eröffnet, muss er weiterfahren und bekommt obendrein ein Knöllchen. „Das können wir nicht tolerieren“, so Schmidt.

84 000 Fahrzeuge sind im Durchschnitt täglich auf dem südlichen Berliner Ring unterwegs, rund 22 Prozent davon sind Lkws. Der Anteil der Brummis habe sich in den vergangenen Jahren gesteigert, berichtet Petra Mansfeld, Leiterin des Bereiches Verkehr beim Landesbetrieb für Straßenwesen Brandenburg. Deshalb solle in den kommenden Jahren der Bestand an Lkw-Stellplätzen auf den Raststätten des Landes erweitert werden. In Michendorf sollen auf der nördlichen Seite der A 10 zwölf neue gebaut werden, die Zahl der Lkw-Stellplätze auf dem südlichen Rastplatz solle von derzeit 25 auf insgesamt 160 erweitert werden. Allerdings wird das erst im Zuge des achtspurigen Ausbaus der A 10 passieren – und wann der kommt, ist ungewiss.

Seitens des Bundes gebe es die Idee eines „Parkplatzmanagements“, erläutert Mansfeld: Vor der Abreise könne ein Trucker sich per Internet für einen Stellplatz auf seiner Route anmelden – und dabei gleich prüfen, ob etwas frei ist. „Dann müssten aber auch alle mitmachen, sonst kippt das System“, fürchtet Mansfeld.

In der Gemeinde Michendorf haben sich mittlerweile Bürger über Laster beschwert, die nachts vor ihren Häusern parken. Das sei in Wohngebieten verboten, sagt Ordnungsamtsleiterin Katleen Liermann. Denn wenn die Kühlaggregate anspringen und morgens um fünf der Motor gestartet wird, schreckt so mancher Anwohner aus dem Schlaf. Gut zehn Lkws würden immer wieder in Michendorf parken, unter anderem im Bereich der Tankstelle in der Potsdamer Straße. Ahnden könne man den Verstoß nur, wenn man die Regelmäßigkeit nachweist. Man könne nicht unterscheiden, ob die Fahrer in Michendorf wohnen, oder auf der Durchreise hier parken.

Auf dem Rastplatz Michendorf-Nord bereiten sich die Trucker auf ihre Weiterfahrt vor. Hin und wieder sieht man einen von ihnen aus dem Fahrerhäuschen klettern und sich strecken, andere kommen mit Waschtasche und Handtuch unter dem Arm aus den Duschen. Jan Novak schlendert zu seinem Volvo. Der 40-Tonner soll heute noch beladen werden, und dann geht es weiter nach Madrid, erzählt der gebürtige Slowake. Seine letzte Tour hatte ihn nach Berlin geführt: spanisches Obst und Gemüse für Edeka. Als er vor zwei Tagen hier angekommen ist, habe er große Probleme gehabt, einen Stellplatz zu finden. Wenn es geht, weiche er auf kleinere Parkplätze ohne Restaurant und Duschen aus, aber hin und wieder brauche man Waschräume, sagt er und streicht sich zur Untermalung über das Kinn. Und wenn nichts mehr hilft, dann müsse man eben auf der Straße parken.

Ein Stück weiter steht eine Gruppe polnischer Fahrer vor ihren Lkws mit schwedischen Kennzeichen. Sie haben sich in Michendorf für eine kurze Pause verabredet. Auch sie kennen den Parkplatzmangel am Berliner Ring, finden ihn aber nicht so gravierend wie die Probleme, die sie auf ihren Wegen durch Osteuropa haben. Denn immerhin sei es hier sicher. In Polen könne es vorkommen, dass morgens die Ladefläche aufgebrochen ist, erzählt einer, und setzt fast im Flüsterton hinzu: „Und in Russland können sie dich sogar töten.“

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