
© G. Paul
KulTOUR: Originale von gestern
„Shabby Charme“ in Teltow bietet Werbedrucke von vor 100 Jahren
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Teltow - Der Mensch vergleicht sein Leben lang: Frühes und Späteres, Schönes und Häßliches, Brauchbares und Unnützes, das Angenehme und sein Gegenteil. Auch in der Kunst der Ästhetik ist das der Fall. Erstaunlicherweise kommt das Ältere dabei meist besser weg. Beobachten kann man das bei „Shabby Charme“, einem Geschäft für Wohn-Accessoires am Ruhlsdorfer Platz in Teltow. Hier scheint das Ältere einfach natürlicher zu sein und zu wirken als seine modernere Nachfolgerschaft.
Von diesem „Urzeit-Effekt“ profitieren „die Nostalgischen“ im Beruf und im Geiste, vor allem die Antiquitäten- und die Flohmarkt-Kultur. Auch die gehobene Branche hat dieses Phänomen unter entsprechenden Markenzeichen längst für sich entdeckt und baut und drechselt nach, was die Vergangenheit vorgemacht hat – bestes Beispiel ist der Schlossbau zu Potsdam.
Bei „Shabby Charme“ ist das anders. Inhaber Jörn Olk, der vor einigen Jahren von Immobilen zur Nostalgik wechselte, schafft die guten alten Stücke höchstselbst heran, meist aus Frankreich, aber auch aus Brandenburg und aus Berlin. Diese Praeterita werden von ihm dann auf das Sorgfältigste aufgearbeitet und liebevoll präpariert. So bekommen sie ihren „Shabby-Charme“ zurück, sind, dem Wortsinn nach, mehr als „gebraucht“ denn als „marode“ zu verstehen. Kurzum, in diesem Haus gibt es keine Imitate von heute, nur Originale von gestern – und das ist sehr wohl ein gutes Stück Kultur!
Neben Dickelchen und Dackelchen, Gehäuse und Kissen, Geschirr und Gerät, Mobiliar und Römern bietet Jörn Olk auch Werbe-Nostalgika von Vorvorgestern an, die übrigens ganz gerne gekauft werden. Gute Idee, denn es sind allesamt Hingucker.
Sie werden aus alten Quellen ausgewählt, auf Holz „gezogen“ und mit einem Rahmen versehen. Was für eine erfindungsreiche Zeit zwischen 1890 und 1909, als zur Schönheitspflege echte „Hexencreme“ in Mode kam oder auch die „Blitzbörse mit vier Zahlstellen“ erfunden wurde, damit man immer die passenden Münzen herausdrücken konnte.
Daneben suchten schnell laufende Patent-Dampfmaschinen mit Rückwärtsgang nach Käufern. Ein Badeofen „sammt Wanne“ kostete 85 Mark, keine Nähseide war besser als die auf der Grafik. Automobilisten bekamen die Chance, die erste „Benzin-Handschuh-Reinigungs-Masch- ine“ zu erwerben. Damen von Welt benutzten den ultimativen Haarfärbekamm allerneuester Bauart, und natürlich ist auch die Schweizer Marken-Chocolade mit dem zuckersüßen Namen dabei, überall und „zu mäßigen Preisen“ zu haben.
Ach ja, und sollte jemand „nervenleidend“ sein, so sei ihm der Patent-Frottir-Douche-Apparat besonders empfohlen, ein idealer Ersatz für ein Bad der bisherigen Art, welcher duschen und – ganz nebenbei – auch noch massieren kann! Auch vor 100 Jahren hielt also die Bequemlichkeit Einzug in die deutschen Haushalte. Das auf Holz projizierte Ultraschall-Bild eines Fötus fällt da wohl eher etwas aus dem Rahmen, aber solche Abweichungen müssen wohl einfach sein, unter den ganz echten Sammlern und Fans.
Ein sympathischer Streifzug durch die Vergangenheit, und man denkt, das also wird dereinst vielleicht aus den Nippes und Nappes von heute, aus dem Krims und dem Krams, dem Brauchbaren und Unnützen, dem Schönen und Hässlichen: Jemand nimmt es, und hängt’s an die Wand, andere kommen und staunen: Wie menschlich ging es damals noch zu, sonst könnt’ es ja, rein chabby-mäßig, keinem gefallen! Gerold Paul
Shabby Charme, Lichterfelder Allee 1, dienstags bis freitags 10 bis 18 Uhr, samstags 10 bis 16 Uhr geöffnet.
Gerold Paul
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