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Potsdam-Mittelmark: Pendler zwischen den Welten

Seit drei Jahren kämpfen die Kleinmachnower Karin und Wolfgang Güthoff im zentralamerikanischen Belize gegen Aids. Ein Lebensziel

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Seit drei Jahren kämpfen die Kleinmachnower Karin und Wolfgang Güthoff im zentralamerikanischen Belize gegen Aids. Ein Lebensziel Von Peter Könnicke Kleinmachnow - Das Fernweh war schon immer da. Als die Heimat noch DDR hieß, sie als Lehrerin und er als Arzt arbeitete, träumten sie von fernen Ländern. Nicht, um zu reisen. Dort zu helfen, wo es dringend gebraucht wird, war schon immer der Wunsch von Wolfgang und Karin Güthoff. Das Unbekannte entdeckte der Infektiologe zunächst unterm Mikroskop. In den 80er Jahren war der Potsdamer Arzt einer der ersten Mediziner, der sich mit Aids beschäftigte. Heute hält Güthoff auf internationalen Kongressen Vorträge über den Kampf gegen HIV. Als vor 15 Jahren auch Träume nicht mehr an Mauern stießen, brach das Kleinmachnower Ehepaar zu einer Entdeckungsreise auf. Die Wahl ihrer Urlaubsziele unterlag einem Kriterium: „Können wir dort helfen?“ Die Dritte Welt wurde zum regelmäßig gebuchten Ankunftsort. Vor fünf Jahren führte die Reise nach Belize. Der mittelamerikanische Zwergstaat an der Grenze zu Mexiko und Guatemala galt als eine Hochburg der Mayakultur. Spuren der Sklaverei, Einflüsse der Spanier und der britischen Kolonialisten sind heute überall zu finden. Die verschiedenen Kulturen, die sich in Belize vereint haben, hatten Güthoffs neugierig gemacht. Doch der erste Gang führte den Arzt Wolfgang Güthoff – egal wo – ins örtliche Krankenhaus. So auch im Belmopan, der Hauptstadt von Belize. Güthoff sah das Zimmer eines Aids-Kranken, hörte die Klagen eines resignierten Kollegen über fehlende Möglichkeiten der Diagnose und der Therapie. Zwei Prozent der 263 000 Belizer sind mit dem Aids-Virus infiziert. Damit hat Belize die fünfthöchste HIV-Rate der Karibik, die höchste in Zentralamerika. Aids ist bei jedem zweiten 30- bis 39-Jährigen, der stirbt, die Todesursache. 2002 infizierten sich 431 Belizer mit dem teuflischen Virus, die Dunkelziffer ist deutlich höher. Die Zahlen steigen. Güthoffs erkannten in Belize den Ort ihrer Berufung. Stabile demokratische Strukturen, ein in seinen Grenzen überschaubares Land und eine mit sieben Distriktkrankenhäusern gesicherte medizinische Grundversorgung überzeugten sie wiederzukommen und die über Jahre behütete Idee der Entwicklungshilfe zu verwirklichen. Als Karin Güthoff mit ihrem Mann zum dritten Mal nach Belize flog, hatte sie kein Rückflugticket dabei. Bei ihrem Besuch zuvor hatten sie die ehemaligen Bürgermeister von Belmopan kennen gelernt, der ihnen half, ein Haus zu finden. Er öffnete Türen in den verschiedensten Ministerien und stellte Kontakt zu einer einheimischen Hilfskommission her, die einberufen wurde, weil die Ärzte in Belize Alarm schlugen: HIV-Infektionen nahmen dramatisch zu. Güthoffs wurden gebeten, in der Kommission mitzuwirken. „Wir wären nicht glaubwürdig gewesen, wären wir nicht geblieben“, sagt Karin Güthoff. Vor anderthalb Jahren kündigte sie ihre sichere Stellung als Lehrerin an der Ruhlsdorfer Grundschule. Von ihren Mitarbeitern erntete sich reichlich Unglauben: Von Entwicklungshilfe in der Dritten Welt redet man, aber man tut es nicht wirklich. Sie tat es. Mit Hilfe des 2000 gegründeten Vereins „HIV Project Belize“, dem zwölf Freunde angehören, eröffneten sie im Sommer 2002 in Belmopan ein Beratungszentrum. Die drei Buchstaben, die im streng religiösen Belize das zerbrochene Bild von Treue, Fleiß und Kraft verraten, hingen über der Eingangstür: HIV. Niemand kam. „Wer infiziert ist, wird gebrandmarkt“, weiß Karin Güthoff heute mehr über den Umgang mit Aids in Belize. Wer mit dem Stigma der Seuche behaftet ist, wird behandelt wie ein Aussätziger. Vor allem die Männer ignorieren, dass sie HIV positiv sind. Sie reden von Hepatitis und haben Aids. Weil sie das Märchen glauben, den Virus zu verlieren, wenn sie mit einer Jungfrau schlafen, werden immer jüngere Mädchen zum Sex gezwungen. Es gibt viele Männer, die nicht wissen wollen, ob sie infiziert sind, weil sie die Folgen fürchten. Eine tödliche Spirale. Wer an Aids stirbt, bekommt kein christliches Begräbnis. Kein Pfarrer spricht am Grab eines Aids-Toten. Ganze fünf Leute kamen in Güthoffs Beratungsstelle, solange das HIV-Schild davor hing. Inzwischen heißt das Haus „The talk about garden“, ist eine anerkannte Beratungsstelle, in der zwölf einheimische Frauen mitwirken. Seit zwei Jahren ist Karin Güthoff eine Pendlerin zwischen den Welten: der im beschaulichen, gediegenen Kleinmachnow und der exotischen, bedürftigen dort. Ein Viertel Jahr Deutschland, drei Monate Belize – in diesem Rhythmus lebt Karin Güthoff den einstigen Traum, der längst keiner mehr ist. Er ist verpflichtende Wirklichkeit geworden. Ist sie hier, hat sie Sehnsucht nach der Karibik, „wo immer schönes Wetter ist“. Ist sie dort, ist das Paradies in Kleinmachnow, wo es fließend Wasser gibt und keine Hitze plagt. Doch egal wo sie ist: Sie führt einen Kampf gegen eine Krankheit, die sich in sämtlichen Fugen dieser Welt eingenistet hat. Der Unterschied: „Hier, in Deutschland, ist Geld, hier gibt es die beste Behandlung, die beste Medizin.“ Kondome gibt’s aus dem Automaten. In Belize vertraut man nicht selten auf das Kräuterextrakt eines Medizinmannes. Als Wolfgang und Karin Güthoff die mexikanische Grenze nach Belize mit einem Kofferraum voller Kondome und 1000 HIV-Schnelltests passierten, wurden sie gemustert wie Schmuggler. Der Potsdamer Infektiologe war der erste, der in Belize Tests durchführte, die speziell für die Dritte Welt entwickelt wurden, wofür kein Labor benötigt wird und die sofort ein Ergebnis liefern. Allein von März bis Juni dieses Jahres wurden in der Beratungsstelle des Vereins 100 Tests durchgeführt. Vor allem Mädchen von den Highschools waren die ersten, die kamen. Später trauten sich Jungen, Frauen und auch Männer über die Schwelle. „Ein negatives Ergebnis eines HIV-Tests ist wie ein neues Leben“, beschreibt Karin Güthoff karibische Glücksmomente. Das Wichtigste aber: Wer zum Test kommt, für den ist Aids kein knappes Wort mehr, sondern das Fragezeichen hinter dem eigenen Leben. Mit dem Gefühl der zweiten Chance gehen die Menschen weniger Risiken ein. „Jedes negative Testergebnis hat einen großen präventiven Wert“, sagt Wolfgang Güthoff. 350 Dollar kostet die Monatsmiete für das Beratungszentrum. 250 Dollar für Telefon, Wasser und Strom. 250 Dollar bekommt eine Sekretärin, die inzwischen eingestellt wurde. Hinzu kommen die Kosten für Tests, Aufklärungsmaterial, Kondome. „Blauäugig“ habe sie anfangs an die Weltgesundheitsorganisation geschrieben, sich an deutsche Behörden und Organisationen gewandt. „Ich bekam schöne Antworten, aber keine Hilfe“, bedauert Karin Güthoff. Belize gehört nicht zu den 70 Entwicklungsländern, die von der Bundesregierung als hilfsbedürftig eingeschätzt werden. Es sind vor allem Pharmakonzerne, mit denen Wolfgang Güthoff zusammen arbeitet, die den Verein heute mit Spenden unterstützen. Und bittet der Mediziner bei Vorträgen, sein Honorar auf das Vereinskonto zu überweisen, wird häufig weitaus mehr überwiesen als verabredet. Fast 30 Jahre hat Karin Güthoff deutsche Kinder unterrichtet. Jetzt, mit 60 Jahren, spricht sie in karibischen Schulen, in Gemeinden und selbst auf Gefängnishöfen über Liebe und Sex und über das Recht von Frauen „Nein“ zu sagen. Sie spricht über Verhütung und zeigt den Umgang mit Kondomen. Sie spricht über Aids, ein langes Tabu, das sich wie ein schwarzer Schatten übers Paradies legt. Wer den Verein mit Spenden unterstützen möchte: Kontoinhaber: HIV-Projekt Belize e.V. Kontonummer: 33073 , Bankleitzahl: 10030700, Kreditinstitut: Gries & Heissel Bankiers

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