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Potsdam-Mittelmark: Regung im verwaisten Dorf

Netzeband wollte ein Kulturort sein – und scheiterte. Nun gibt“s einen neuen Versuch

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Netzeband wollte ein Kulturort sein – und scheiterte. Nun gibt“s einen neuen Versuch Von Claus-Dieter Steyer Touristische Informationen in italienischer Sprache sind in Brandenburg eine Rarität. Kein Wunder, schließlich verirren sich höchst selten Gäste aus dem von Natur und Kultur reichlich beschenkten Land in die eher spröde wirkende Mark. Doch ausgerechnet im 80 Kilometer nördlich Berlins und abseits bekannter Ziele gelegenen Netzeband werden Italiener besonders umworben. Das dort ansässige Landhotel „Märkische Höfe“ informiert auf der Internet-Seite nicht nur deutsch und englisch, sondern eben auch italienisch. Das liegt an den neuen Eigentümern Martina und Hans Untersteiner. Sie kommen aus dem Vinschgau in Südtirol und werben gern in ihrer Heimat für einen Aufenthalt in Brandenburg. „Enttäuscht ist bislang noch niemand nach Hause gefahren“, erzählt der studierte Landwirt, dessen Eltern selbst ein Hotel führen. „Berlin ist nicht weit. Außerdem empfehlen wir unter anderem Besuche in Wittstock mit seinem wunderbaren Museum über den Dreißigjährigen Krieg oder schicken die Leute zur Preußen-Ausstellung nach Wustrau.“ Am Schönsten aber sei die gleich hinter dem Hotel beginnende weite Landschaft mit Wäldern und klaren Seen. Der Zufall führte das Ehepaar in die märkische Einöde. Die in Berlin geborene Martina Untersteiner hatte von den guten Radwegen im Ruppiner Land gehört und so unternahm das Paar vor zwei Jahren eine Entdeckungsreise. Irgendwann kamen sie dabei auch nach Netzeband und bemerkten das damals von einem Insolvenzverwalter geführte Landhotel. Es war Liebe auf den ersten Blick, der mehrere schlaflose Nächte des Grübeln folgten. Netzeband war schon damals kein gewöhnlicher Brandenburger Ort. Die zwei Kilometer lange, glatt gepflasterte Dorfstraße führt Besucher direkt auf die im warmen Ockerton gestrichene Temnitzkirche zu. Rechts und links der Straße zeigen sich die meisten Bauernhöfe herausgeputzt, die alte Dorfschule bietet Pensionszimmer an. Überall sind Ferienwohnungen zu haben. Doch wer genauer hinschaut, sieht auch viele leer stehende Häuser und brach liegende Flächen. Der ehemals so bekannte Hofladen mit Agrarprodukten und Kunsthandwerk ist geschlossen. An die einst florierende Gärtnerei erinnert kaum noch etwas. Dafür floriert bis heute das Vereinsleben in der Kirche, die als Kulturzentrum dient. Dem Touristen wird es in dem gerade 200 Einwohner zählenden Netzeband jedenfalls nicht langweilig. Das garantieren schon die vielen Geschichten aus den vergangenen 14 Jahren, die man sich im Dorf aber recht unterschiedlich erzählt. Begonnen hat der ungewöhnliche Aufstieg des kleinen Ortes kurz nach der Wende. Der Düsseldorfer Landschaftsarchitekt Horst Wagenfeld suchte für seine Arbeiten in Neuruppin ein Büro in der Umgebung und stieß auf die 1834/35 von einem Grafen errichtete Kirche in Netzeband. Er organisierte Fördermittel zur Restaurierung des arg lädierten Gebäudes und bekam sogar einen Kredit von der Gemeinde. Den wollte er selbst mit der Miete seines in der Kirche eingerichteten Architekturbüros tilgen. Die Dorfbewohner waren zunächst Feuer und Flamme für die Ideen des Düsseldorfers. Und der legte mit seiner Frau Johanna richtig los: Hotel, Ferienwohnung, Gärtnerei, Pferdehof, ein auf Bio-Produkte spezialisierter Agrarbetrieb und als Krönung sogar Theaterfestivals im einst verwilderten Gutspark. Zahlreiche Berliner und Hamburger reisten zu Beginn tatsächlich ans „Ende der Welt“. Doch nach und nach schwand die Neugier. Die Besucherzahlen gingen zurück. Neue Attraktionen mussten her. Aber die Einwohner protestierten. Die vielen Fremden im Dorf waren ihnen wohl lästig geworden. Sie konnten nicht mit den teuren Autos und den Anzügen der Konzertbesucher mithalten, kamen mit ihnen kaum ins Gespräch und wollten ganz einfach wieder ihre Ruhe haben. An dieser Haltung zerbrach das Projekt, ausgerechnet vor der Expo 2000, wo Netzeband stellvertretend für ganz Brandenburg brillieren sollte. Nur noch ein paar bunte Prospekte erinnern noch an diese geplante Präsentation. Heute sind die Wagenfelds gute Berater der neuen Eigentümer ihres einstigen Hotels. „Ohne ihre Hilfe hätten wir vielleicht unser Engagement in Brandenburg nicht gewagt“, sagt Martina Untersteiner. Die nach wie vor existierenden Theaterfestspiele locken Gäste in die Hotelzimmer und Ferienwohnungen. „Doch sie kommen nicht allein wegen der Kultur zu uns, dafür ist das Angebot in Berlin viel zu groß", urteilt ihr Ehemann. Sie wollen deshalb vor allem Urlaub für Familien anbieten. Pferde und Ponies sind da, eine Reitlehrerin bietet Kurse für Kinder und Erwachsene an. Im Unterschied zu anderen Hotels kämen die Gäste miteinander schnell ins Gespräch und interessierten sich tatkräftig fürs Landleben. „Spätestens nach drei Tagen greifen die Leute zur Mistgabel und helfen uns“, sagt Hans Untersteiner lächelnd.Das Restaurant „Enklave“ bietet einen „raffinierten Mix aus mediterranen, südtiroler und märkischen Gerichten“, sagt der Koch. Der Name Enklave weist auf einen Novum hin. Denn Netzeband gehörte wie das in der Nähe gelegene Rossow bis 1937 zu Mecklenburg. Zu Zeiten Friedrich II. waren die Dörfer begehrte Zufluchtsstätten für preußische Rekruten, die aus der Neuruppiner Garnison flüchteten. Manchmal, so gibt Hans Untersteiner zu, vermisst er seine Alpen doch. „Auf der Alm musste ich mich als Bauer nur um drei Dinge sorgen: Geht es den Kühen gut? Hat der Käse eine gute Qualität und bleibt das Wetter schön? In Brandenburg steckt der Kopf voller Probleme“, erzählt er. Hoffen wir, dass sie kleiner werden.

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