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Potsdam-Mittelmark: Reif für die grüne Wende

Seit Jahren entwickelt biopos in Teltow Konzepte für Bioraffinerien. Mit breiter Brust bietet man sich nun als nationaler Vorreiter an

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Teltow - Knapper werdende fossile Ressourcen bewirken auch Positives: Die Nachfrage nach erneuerbaren Energien nimmt zu. Schweden will sich von herkömmlichen Brennstoffen verabschieden und hat sich dabei das ehrgeizige Ziel gesetzt, in 15 Jahren unabhängig vom Erdöl zu sein. In den USA sollen 25 Prozent aller organischen Grundstoffe, die weiter verarbeitet werden, nicht mehr aus Fossilien wie Erdöl sondern auch Biorohstoffen bestehen. In der Technologiebranche der Bioraffinerien hat längst ein internationaler Wettbewerb begonnen. In Teltow sieht sich der Innovationsverbund „biopos“ nach Jahren der Forschung und Projektarbeit reif, auch hierzulande Öl durch Gras zu ersetzen.

Denn auch in Deutschland hat in Politik und Wirtschaft das Umdenken begonnen. So taucht im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung erstmals das Vorhaben auf, ein Biomasse-Kompetenzzentrum zu etablieren – nach Möglichkeit in den neuen Bundesländern. Von Mecklenburg-Vorpommern bis Thüringen hat inzwischen der Konkurrenzkampf begonnen, „jedes Land bewirbt sich“, weiß Birgit Kamm, die in Teltow-Seehof an Konzepten für Bioraffinerien mitwirkt. Während gedroht wird, Erdgas-Hähne zuzudrehen und Bohrinseln in Wirbelstürmen versinken, beschäftigt sich seit Jahren in Teltow ein Forschungs-, Entwicklungs- und Praxisverbund – biopos – mit der Entwicklung von Bioraffinerien. Jetzt, wo weltweit die Umstellung ganzer Volkswirtschaften auf biologische Rohstoffe eingeläutet wird, treten die Teltower Forscher mit breiter Brust vor ihre Institute: „Wir sind auf diesem Gebiet Vorreiter in Deutschland“, sagt biopos-Leiterin Kamm selbstbewusst. Vorstandschef Jörg Beckmann verweist auf die Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Cottbus, den Fraunhofer Instituten, dem Institut für Agrartechnik und der Zukunftsagentur Brandenburg sowie auf industrielle Partner wie Degussa, BASF und Dow Deutschland, ein US-Konzern, der 2002 mit der weltweit ersten Großanlage einer Bioraffinerie in Nebraska startete.

Brandenburg zum Biomasse-Kompetenzzentrum zu erklären „wäre eine Anerkennung unserer Arbeit“, so Kamm – und ein – nicht unbedeutender finanzieller – Schub für die weitere Forschung und Technologieentwicklung. Für märkische Landes- und Bundespolitiker wäre es nach Jahren wohlwollender und lobender Worte für biopos jetzt Zeit zum Handeln: Brandenburg sollte sich als Biomasse-Kompetenzzentrum bewerben, so Kamm. Ein Vorschlag, den Potsdams CDU-Bundestagsabgeordnete Katherina Reiche bei ihrem Besuch in Seehof vor wenigen Tagen nur unterstützen konnte: „Es ist wichtig, die Kompetenzen in der Region zu halten.“ Die Agrarstruktur Brandenburgs biete gute Voraussetzungen, um Grüne Bioraffinerien nachhaltig zu betreiben, was Arbeitzsplätze schaffe und „Land- zu Energiewirten“ zu mache.

Bei der Wahl eines Kompetenzzentrums durch den Bund liegen für biopos-Leiterin Kamm Brandenburgs Vorzüge auf der Hand. Es gebe ein außerordentliches wissenschaftliches Know How, als Agrarland biete die Mark ausreichend Bio-Rohstoffe, die logistischen Voraussetzungen seien vorhanden. Und es gibt Partner aus der chemischen Industrie, mit denen man sich bei einem Innovationsforum im vergangenen Jahr in Potsdam das Ziel setzte, Bioraffinerien zu entwickeln.

Modellprojekte gibt es mit der Futtermittel-Selbelang GmbH. Dort werden Gras und Luzerne zur weiteren Verarbeitung aufbereitet, um daraus beispielsweise Milchsäure herzustellen. Doch um Grundstoffe für die Industrie zu erzeugen, fehlt eine Primärbioraffinerie, mit der aus Ackerfrüchten Kraft- und Brennstoffe, Chemikalien und Biomaterialien produziert werden können. Denn alles, was bisher in Erdölraffinerien an Grundstoffen für die Chemie-, Pharma- und Kosmetikindustrie gewonnen wird, ist auch auf Basis von Grünpflanzen, Getreide oder Holz möglich, ebenso aus Biomüll.

Erst bei einem gestrigen Treffen der biopos-Akteure mit Vertretern von Dow-Deutschland wurde der Bau einer Primärraffinerie bekräftigt. Die amerikanische Anlage des Dow-Unternehmens in Nebraska produziert jährlich 140 000 Tonnen eines Polyesters auf Milchsäurebasis. Doch das Teltower Verfahren sei noch effizienter, so Kamm, da es in der Verfahrenskette einige Schritte einspare. Mit seinen Referenzen will sich biopos nun beim Bundesministerium für Forschung um die Förderung einer Primärraffinerie bemühen.

Deutsche Technologien, so Kamm, haben längst einen guten Namen, aber in der Praxis gelte es Boden gut zu machen. Schon jetzt könnten von den 15 Millionen Tonnen Erdöl, die die deutsche Chemieindustrie jährlich verbrauche, rund vier Millionen Tonnen durch Biomasse ersetzt werden. Den Beweis würden die Teltower Forscher und ihre Partner gern antreten – am liebsten in Brandenburg.

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