zum Hauptinhalt
Gute Miene zum bösen Spiel. Baumblütenkönigin Franziska Barche beißt in Schmergow bei Groß Kreutz zum Start der Kernobsternte in einen Apfel der Sorte Pirella.

© dpa

Potsdam-Mittelmark: Rekordernte unter schlechtem Stern

Nach Mindestlohn und russischem Einfuhrstopp fordern Obstbauern ein Strukturprogramm über fünf Millionen Euro. Es gehe inzwischen um den Fortbestand einer ganzen Branche

Stand:

Werder (Havel) - Es ist eine der besten Apfelernten seit Langem, rund ein Drittel höhere Erträge werden erwartet als im Schnitt der vergangenen sechs Jahre. Doch als Brandenburgs Kernobsternte am Montag in Groß Kreutz eröffnet wurde, war die Atmosphäre angespannt wie nie. Und Thomas Bröcker, Leiter der Fachgruppe Obstbau im Landesgartenbauverband und damit Cheflobbyist der Obstbauern im Land – ein durch und durch sachlicher Typ –, redete Tacheles. „Ich bin eigentlich kein Mensch, der alles schwarzsieht und viel jammert. Aber was sich in den letzten Monaten über uns zusammengebraut hat, kann einem die Freude über eine gute Ernte gründlich verderben.“

Mindestlohn, Marktentwicklung und aktuell das Russlandembargo würden die Bauern massiv in der Existenz bedrohen. Das Frostjahr 2011 und das Hageljahr 2012 hätten die Kapitalreserven gefressen. Dass das Rekorderntejahr 2014 nun mit dem russischen Einfuhrstopp europäischer Agrarprodukte zusammenfällt, sei, so Bröcker, „unglücklich“. „Dieser Umstand wird die Erzeugererlöse für Tafeläpfel von bisher 40 Cent auf 20 Cent je Kilogramm Apfel halbieren.“

Hiesige Obstbauern leiden weniger darunter, dass sie ihre Ware nicht mehr in Russland verkaufen können. Sie fürchten aber offenbar nicht zu Unrecht, dass jetzt noch mehr Obst aus anderen europäischen Ländern den deutschen Markt überschwemmt und die Preise drückt – wie es bei der Butter schon zu beobachten ist. Polen ist einer der wichtigsten Obst- und Gemüselieferanten für Russland. In der Branche ist bereits von riesigen Lieferungen aus polnischen und auch italienischen Beständen aus dem Vorjahr die Rede, die an sich noch für den russischen Markt bestimmt waren.

„Wir machen uns schon Sorgen, dass jede Menge billigeres Obst und Gemüse aus Polen hier auf den Markt kommt“, sagt auch Bettina Lindicke vom Obsthof Lindicke in Werder. „Und dass die Kunden dann noch weniger bereit sind, die Preise für Lebensmittel aus der Region zu bezahlen.“ Man könne nur immer wieder im Gespräch mit Kunden Aufklärung betreiben. Lindicke wünscht sich eine Kampagne, die für Obst aus der Region wirbt.

Das Thema stand gestern auch bei der Agrarministerkonferenz in Potsdam auf der Agenda. „Es herrschte große Einigkeit, dass wir dem russischen Lebensmittel-Boykott mit einem wirksamen Maßnahmenpaket der Europäischen Union begegnen müssen“, resümierte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) das Treffen. Die EU-Kommission habe für Obst und Gemüse sowie Milch und Milchprodukte bereits erste Maßnahmen auf den Weg gebracht. Auch die Forderung nach verstärkten Marketingmaßnahmen habe sie aufgegriffen.

Schmidt hatte dieser Tage selbst gefordert, die Deutschen sollten mehr Obst essen: Jeder Apfel sei ein Gegenmittel gegen Russlands Importstopp. Er schlug vor, an Schulen mehr Obst auszugeben. Auch Brandenburgs Agrarminister Jörg Vogelsänger (SPD) will die Bauern durch öffentliche Aktionen stärker unterstützen. Der Minister sagte dem rbb, dass jeder einen eigenen Beitrag leisten und helfen könne, indem er regionale Produkte kaufe.

Was die finanziellen Hilfen aus Brüssel angeht, gibt es im Ministerium allerdings Zweifel, ob die bislang zugesagten 180 Millionen Euro reichen werden, um die Schäden des russischen Einfuhrstopps auszugleichen. Die Obstbauern aus Werder und Märkisch-Oderland fürchten, dass auf der EU-Ebene gar nicht verstanden wird, wie ernst die Situation inzwischen ist. „Wenn Berlin und Brandenburg weiter einen regionalen bäuerlichen Obst- und Gemüseanbau wollen, muss die Politik handeln“, sagt Cheflobbyist Bröcker, der selbst einen Obsthof bei Frankfurt (Oder) betreibt.

Er macht eine ganz andere Rechnung auf. „Unsere einzige Überlebenschance ist eine radikale Umstellung der Anbaustruktur“, meint Bröcker. Arbeitsintensive Kulturen wie Erdbeeren und Sauerkirschen müssten aus den Betrieben verschwinden. Pflaumen und Apfelanlagen modernisiert werden, um durch höhere Pflückleistungen und Erträge die Kostensteigerungen zu bewältigen. Auch der Süßkirschanbau müsse auf kleinkronige Bäume umgestellt werden. Obstbauern müssten in neue Anbauflächen und Frostschutzberegnung investieren. Bröcker: „Für diesen Strukturwandel brauchen wir die Unterstützung der Politik.“

Ein solches Strukturprogramm würde das Land in den nächsten drei Jahren insgesamt fünf Millionen Euro kosten. Damit könnte die Existenz von 45 Familienbetrieben gesichert werden, rechnet Bröcker vor. Das entspreche 21 000 Euro für den Erhalt eines Arbeitsplatzes. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })