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Von Gerold Paul: Trolle und Zwerge bei den vier Birken
Zu den Tagen des offenen Gartens an diesem Wochenende wird auch nach Langerwisch eingeladen
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Michendorf - Jeder Mensch ist ein Gärtner, ob er nun will oder nicht. Nach der Bibel ist das Gärtnern sogar der älteste aller Berufe, vom „Welterschaffen“ mal abgesehen. Kinder wollen gepflegt werden, der geliebte Partner, Tiere und Hobbys, das Haus mit dem Land drumherum, alles hat mit Hege, mit Liebe zu tun. Im Falle des Hausgartens von Doro Wiederhold und Ad de Kok in Langerwisch ist das nicht anders. Er ist einer von mehr als sechzig Adressen für die „Tage der offenen Gärten“ im Land Brandenburg und in der Provinz Berlin an diesem Wochenende. Von der Potsdamer Urania mit dem Namen Wilhelm Foerster und der „Initiative Offene Gärten“ gemeinsam ausgerichtet, hat sich in den letzten Jahren eine richtige Fan-Gemeinde herausgebildet.
Das Langerwischer Anwesen „Straße des Friedens 100A“ stellt sich sogar auf eine ganze Busgesellschaft Pilgrims ein, denn dieses extrem lange und mit achtzehn Metern extrem schmale Grundstück hält eine ganze Palette von realen wie virtuellen Möglichkeiten für Gärtner, Poeten, aber auch für den schlichten Genießer bereit. Südwärts, auf der Straßenseite, trennt eine nicht zu hohe Mauer das Areal vom öffentlichen Raum. Man findet eine hofähnliche Situation mit Schmalbeeten an der Seite, ein alter Nussbaum im Zentrum ist mit blühendem Vergissmeinnicht unterwachsen, ein bisschen Rhododendron, etwas Kirschlorbeer, ganz viel Rasen. Blumen.
Der Senkgarten gleich hinterm Haus macht noch einmal deutlich, dass dieser Neubau einen ganzen Meter tiefer gelegt worden ist. Kleingehalten sind die Buxus-Hecken, sehr korrekt und ganz geometrisch geschnitten, hier wohnt der Ordnungssinn. Nach Norden hin offnet sich jetzt der Blick in die Lange Wische (Wiese) bis hin zum Horizont. Obwohl das Gelände gegen die Nachbarn abgezäunt ist, weil Schafe und Heidschnucken sonst das Idyll zerfressen wollten, erinnert rechts und links nichts Heckenhohes an besonders abgrenzungswillige Nachbarn, der Blick bleibt ringsum frei.
Gen Norden also beginnt das Wunder eines gar nicht enden wollenden Gartens: Dort vielleicht an der Birkengruppe, Lieblingsplatz des Paares? Oder hangabwärts, hinter dem künstlichen Teich, wo ein Spalier von vier Meter hohen Hängebirken eine schnurgerade Allee (gedacht auch für das Flugwesen aus Saarmund) simuliert, oder dort ganz hinten? Da steht eine einsame Bank in der Mitte, rechts ein Riese von Weide. Erst hier, ganz weit in der Tiefe, ist dieses „schmale Handtuch“ am Ende. Der Mittelgraben, so erzählt die Hausfrau mit ihren flammroten Haaren, ist jetzt so schmal, früher aber wurde hier Torf nach Potsdam geschifft. Auch Peter Huchel hat einst mit ihm gespielt, nur ein paar hundert Meterchen weiter.
Dieser Garten, wie alle übrigen für den Obolus von zwei Euro zu betreten, hat und ist wirklich besonders. Nicht weil Ad de Kok ihn so hingebungsvoll liebt, nicht weil jeder Hopser einen schwankenden Moorgrund signalisiert, sondern weil die Grenze zwischen Garten und Landschaft ganz bewusst im Flusse sein soll, der Anteil des Gärtnerns, scheint’s, abnimmt.
Hier wird die Kunst des Weglassens zelebriert, niemand vermag noch zu sagen, wo die Kultur endigt und die Natur beginnt, das Reich von Flaneuren wie Wildschwein und Reh und Fuchs und Fasan. Trolle und Zwerge bei den vier Birken vielleicht, hier haben sie noch Ruhe und Platz. Ein verwunschenes Grenzgebiet voller Poesie. Ein Ort zum Träumen und zum Verlieben, so man vor lauter Schwärmerei nicht gleich den Kopf verliert.
Offene Gärten im Internet unter:
urania-potsdam.de, Veranstaltungen
Gerold Paul
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