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Von Thomas Lähns: Wenn’s oben piept und zwitschert

In den Wilhelmshorster Bäumen leben unzählige Vogelarten. Ein Fest für Naturfreunde und Ornithologen

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Michendorf – Sonntag früh scheint Wilhelmshorst fast menschenleer. Die Rollläden sind noch unten, niemand ist unterwegs. Das Leben spielt sich ein Stück weiter oben ab: In den Kronen der riesigen Kiefern wird laut gezirpt und gesungen, gegurrt und gezwitschert. Die Vögel geben den Ton an. Karsten Siems steigt lächelnd vom Fahrrad und hält einen Moment inne, um das Konzert auf sich wirken zu lassen. Der Hobby-Ornithologe liebt den Klang der Natur – einer der Gründe, warum er vor zwölf Jahren von Berlin aus hierher gezogen ist. Seit Kurzem bietet er Spaziergänge durch die Waldgemeinde an, bei denen er sich mit seinen Gästen auf die Spuren einzelner Vogelarten begibt. Gestern stand der Girlitz auf dem Programm.

Der finkenartige grüne Singvogel ist vor 120 Jahren aus dem Mittelmeerraum „eingewandert“. Dort verbringt er auch heute noch die Winter, bevor er im Frühjahr nach Deutschland zurückkehrt. Landesweit gehört er zwar noch nicht zu den bedrohten Arten, sein Bestand ist in Brandenburg aber zuletzt deutlich zurückgegangen. In Wilhelmshorst ist er nach wie vor relativ häufig anzutreffen: Bis zu 30 Exemplare schwirren hier von Baum zu Baum, schätzt Siems. Der gebürtige Schleswig-Holsteiner hat eigentlich seinen Doktor in Chemie gemacht, aber die heimische Natur habe ihn schon immer interessiert, sagt er. Auf seiner Internetseite kann jeder markieren, wo er Girlitz, Nachtigall oder Grünspecht gesehen hat. Das nötige Rüstzeug wie eine Beschreibung dieser Vögel, Fotos und eine Audiodatei mit dem Gesang gibt es dazu.

Wie schwierig es ist, die Stimmen auseinanderzuhalten, zeigt sich bei der Wanderung durch Wilhelmshorst. Hier piept eine Meise, dort eine Grasmücke – und manchmal auch ein Star, der andere Vögel imitiert. Erst bei genauerem Hinhören lässt sich der hohe Gesang des Girlitz’ heraushören: Manche vergleichen ihn mit einem quietschenden Kinderwagen, andere mit klirrendem Glas, sagt Siems, während er den Standort in einer Karte vermerkt. „Die eigentliche Kunst ist, zu erkennen, ob es sich um den gleichen Vogel handelt, der den Standort gewechselt hat, oder einen anderen“, erläutert er seinen Gästen. Eine Handvoll Naturfreunde folgt dem Ornithologen, den Blick nach oben gerichtet. Jeder hat ein Fernglas dabei, das in regelmäßigen Abständen zum Einsatz kommt. Das unentbehrliche Vogel-Bestimmungsbuch klemmt bei Karsten Siems auf dem Fahrradgepäckträger.

Auf dem Blanken Teich ziehen Stockenten ihre Spuren im Wasser – die Vögel sind die einzigen, die hier Wellen schlagen. Auch Mandarinenten würde es hier mittlerweile geben, zugewandert seien sie vor wenigen Jahren aus Potsdam, berichtet der Ornithologe. Ein Kollege habe einige Exemplare markiert und beobachte sie schon seit einer ganzen Dekade. Das Erstaunliche an den bunten Wasservögeln: In Wilhelmshorst brüten sie in den verlassenen Baumhöhlen des Schwarzspechtes. Im Laufe der Tour wird Siems den überraschten Naturfreunden noch eine solche Höhle präsentieren: In einer Buche nahe der Peter-Huchel-Chaussee, in über zehn Metern Höhe, klaffen zwei große Löcher, in denen Mandarinenten brüten. „Und wie kommen die kleinen Enten dann raus?“, fragt eine Frau. „Sie springen“, erläutert Karsten Siems. Weil sie so leicht sind, gehe das aber meistens gut.

Es geht weiter durch die Siedlung. Die ersten Bürger sind jetzt wach, manche holen die Sonntagszeitung, andere haben schon in den Blumen zu tun. Von einer Anwohnerin kommen skeptische Blicke, als sechs Leute mit Fernglas vor ihrem Grundstück stehen. Sie hält sich aber zurück mit mahnenden Worten. Das erlebe er öfter, sagt Karsten Siems und stellt sein Fernrohr aufs Stativ. „Als wir in einem Potsdamer Hochhausviertel Mauersegler und Schwalben beobachtet haben, dachten einige Leute auch, wir spähen ihre Balkone aus.“ Ein dickes Fell ist eine der Tugenden, die ein Vogelbeobachter mitbringen muss, Geduld eine weitere. Und die wird an diesem Morgen belohnt: In der Straße Am Ginsterberg ist ein Girlitz endlich auch mal zu sehen: Auf einer hohen Birke hat er Platz genommen und lässt sich die Sonne aufs Gefieder scheinen, während er laut piept. Für die meisten Wilhelmshorster ist das nur ein Geräusch unter vielen. Für die Gruppe um Karsten Siems ist es die Belohnung dafür, heute früh aufgestanden zu sein.

www.karsten-siems.de

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