KulTOUR: „Wie der Herre – so’s Gescherre“
Caputher Fotoausstellung über Herrenhäuser in Estland klärt über deutschen Kultureinfluss im Baltikum auf
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Schwielowsee · Caputh - Kyda, Wack, Palms, Wrangelstein oder Saggard, welch klingende Namen! Sie alle bezeichnen Herrenhäuser im estnischen Land. In Zusammenarbeit mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten präsentiert das Deutsche Kulturforum östliches Europa seit gestern eine sehenswerte Foto-Ausstellung dieses Themas, welche 2003 in Estland entstand. Ants Hein hatte sie für das Eesti Instituut in Tallin konzipiert, aber gedacht waren die 20 mit informativem Bildtext ausgestatteten Tafeln exklusiv für Deutschland.
Man wollte, wie Claudia Tutsch vom Kulturforum in ihrem historischen Einführungsvortrag sagte, „Zeugnisse deutschbaltischer Kultur“ von der frühen Neuzeit bis zum 1. Weltkrieg chronologisch vermitteln, ohne jeden Hintergedanken. Derer sind viele. Seit der Eroberung des Baltikums durch den Deutschen Schwertbrüderorden im 13. Jahrhundert gab es eine Art „deutsche Leitkultur“. Die dünne Adelsschicht, auch wenn sie aus Schweden, Russland, oder gar Schottland kam, sprach durchweg Deutsch, für alle galt nach der Reformation das „Augsburger Glaubensbekenntnis“, deutsch war bis weit ins 19. Jahrhundert hinein Amtssprache. Andererseits sorgten deutsche Pastoren durch Bibel- und andere Übersetzungen für die Begründung einer estnischen Schriftsprache. Zuvor gab es (Sagas, Lieder) nur mündliche Tradierungen – ein Musterbeispiel, wie „Kultur“ im heutigen Sinne entsteht.
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem zweiten Nordischen Krieg Anfang des 18. Jahrhundert setzte auch eine rege Bautätigkeit ein. Zwar gehörten die baltischen Landen nunmehr zu Russland, aber die Barone verstanden es ganz geschickt, ihren Getreidebrand gewinnbringend an die Armee des Zaren zu verkaufen: Wodka brachte Reichtum, Reichtum ließ all diese Herrenhäuser erstehen – mithin auch die Ausstellung in Caputh.
Sehr merkwürdig. „Wie der Herre – so''s Gescherre“: Die zuvor in Kiel, Marburg und Bad Homburg gezeigte Wanderausstellung präsentiert mit pompösen Schlössern und bescheideneren Herrensitzen nicht nur den monetären Zustand ihrer Begründer, sondern auch ein oft historisierendes Stil-Allerlei. Neogotik, Neorenaissance, Neobarock, Victorianisches, Eklektisches – Estlands Erde war in dieser Hinsicht nicht weniger geduldig als die Brandenburgische.
Allerdings sind sie, soweit zu besichtigen, weitgehend leer. Ein Teil wurde von den 1918er Revolutionären verbrannt, aber wieder aufgebaut, Hitlers Umsiedlungspolitik um 1939 entfernte auch ihr Interieur, und auch sonst mag sich mancher geholt haben, was er brauchte. Anders als in Polen, gibt es heute in Estland zwar keine Stiftung für diese kulturelle Hinterlassenschaft, aber hilft der Staat viel beim Wiederaufbau. Sogar die jetzigen Barone sind an der Pflege ihres Familienerbes interessiert, so Claudia Tutsch.
Erstaunliche Tatbestände also, soweit Estland reicht: Obwohl es nie zum Deutschen Reich gehörte, orientiert man sich bis heute nach Deutschland, man hegt und pflegt, was Fremde ins Land gebracht hatten, nimmt es sogar völlig konfliktfrei als eigenes Kulturerbe an, ohne den eigenen Zweig – Sagas und Lieder – zu vernachlässigen. Weiterhin ist an diesem Exempel zu lernen, wann Geschichte entsteht. Mehr zu diesen Themen erfährt man aus zwei ergänzenden Vorträgen (6. und 14. September, jeweils 19 Uhr) in Potsdams Altem Rathaus. Ach ja, hinfahren sollte man auch, nach Kyda, Palms oder Wrangelstein.
Bis 15. Oktober täglich außer Montag
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