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KulTOUR: Wie in guten alten Zeiten

Garagenkino mit Projektorrasseln im „Moulin bleu“ in Wilhelmshorst

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Michendorf - Der alte TK 35 rattert und rattert, es tanzen die Bilder von Vorvorgestern an der Wand der Garage. Zauberhaftes Stummfilm-Kino. Eine 40-köpfige Synchrontanzgruppe schwingt auf einem Hochhaus in Chicago erst das eine, dann das andere Bein, wie hübsch das war, in den Dreißigerjahren! Später sieht man, wie sich einer im Edel-Trickfilm bis zum seligen Exitus mit „Instant Sex“ aus der Dose zupumpt. Georg von Weihersberg gibt im schwarzen Bratenrock die Musik zum stummen Film am Klavier, die Berliner Gruppe „Nobelnoise“ begleitet das Zelluloid live mit Hip-Hop und anderen Rhythmen.

Jeden zweiten Freitagabend im Monat erfüllt sich Jakob Damms in seiner umgebauten Garage den Traum vom allerletzten Kino der ursprünglichen Art. „Moulin bleu“ steht draußen in blauer Leuchtschrift dran, Kino mit Projektorrasseln, Anekdoten zum Film und andere Denkwürdigkeiten gibt es drinnen, nachdem man die kleine Bar passiert hat. Das Meublement besteht aus gebrauchten Sofas und aus Kisten, wie man sie früher beim Drehen verwendete. Scheinwerfer an der Wand, ein bisschen Plüsch hier und da, Filmplakate, Werbeanzeigen, alles zutiefst antik, also urgemütlich.

Kino bedeutete für den gelernten Filmvorführer immer schon Leben. Beim Dokfilm in Babelsberg lernte er sein Handwerk von der Pike auf, schwang zuerst mal die Filmklappe. Arbeit in Berlin, Mauerfall, Umzug nach Wilhelmshorst, in die Peter-Huchel-Chaussee 23.

Leben: Als Filmvorführer mit den alten rasselnden Projektoren in der neuen Zeit nicht mehr gebraucht wurden, konnte und wollte der Kino-Vernarrte nicht aufhören. Jakob Damms schuf sich ein Wanderkino nach Vorbild der alten Art, und zieht damit über Land. Zuletzt hatte ihn Dresdens Lange Nacht der Museen engagiert.

Sein erster Auftritt letzten Freitag vor viel zu wenig Publikum im weißen Anzug mit Kurzzylinder, der zweite mit Kittel und Schiebermütze als ein gewisser Thomas Müller – nein, nicht der mit der Milch. Er erzählt und legt Filme ein, das dauert. Er klebt, wenn der Filmriss geschieht, er zeigt, was hier zu zeigen und zu bereden ist, zwischendurch hört man aus Berliner Rapper-Kehlen Geräusche von der Dampflock bis zum Möwenkreischen, so es ins Bild passt.

Jakob Damms holt für jede Veranstaltung andere Musiker heran, beim nächsten Mal gibt es Elektro-Beat. Eintritt verlangt er nicht, nur eine Spende zur Dämpfung der Unkosten.

Natürlich liebt er das alte Plüschkino und die kurzen Stummfilme jener Zeit, die noch analog sein durften. Aber er liebt auch die Technik. Und zaubert eine Blackbox aus den Dreißigerjahren hervor, selbst repariert. Erzählt, woher er den original DDR-Projektor TK 35 hat, und dass er dringend altes Kinogestühl suche. Von einer betagten Berlinerin, die erst im hohen Alter die Bilder ihrer ersten Gehversuche sah, mit Tränen in den Augen.

Man traut ihm zu, dass er für dieses „Kino Varieté“ noch mehr solcher Schnurren auf Lager hat. Dieser sein Traum hat Stil, hat Flair, ist was fürs Gemüt, hält er es doch mit dem folgenschweren Satz: „Wir waren zwar nicht die ersten, aber wir werden die letzten sein, die noch wissen, was Kinematografie ist.“ Dazu gehört eben nicht nur ein Traum, sondern auch die handkolorierten Slapsticks von 1910, Personal fürs Klavier und die Geräusche, Plüsch, Gemächlichkeit beim Filme-Einlegen, Anekdoten.

Damit genau jene Atmosphäre entsteht, wie man sie, von heute aus, rückwärts sich denkt. Gerold Paul

Im Internet unter:

www.dasletztekino.de

Gerold Paul

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