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Potsdam-Mittelmark: „Wir sind nicht lebensmüde, das ist unser Beruf!“

Für die Oskani-Familie ist Höhenangst ein Fremdwort / Die Hochseilakrobaten zurzeit in der Mittelmark unterwegs

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Für die Oskani-Familie ist Höhenangst ein Fremdwort / Die Hochseilakrobaten zurzeit in der Mittelmark unterwegs Schwielowsee-Geltow. Ihre Spezialität ist der dreifache Todes-Salto mit dem Motorrad - in mehreren hundert Metern Höhe. Ein Twist auf dem 12 Millimeter dünnen Drahtseil oder die lebende Pyramide, frei hängend und ohne Netz: Das Repertoire der Oskani-Truppe ist halsbrecherisch, und gerade deshalb so spektakulär. „Wenn man herunterfällt, macht es keinen Unterschied, ob aus 20 oder aus 200 Metern Höhe“, sagt Karmo Oskani. Er ist zurzeit mit seiner Familie in der Mittelmark unterwegs. Am Dienstag traten die Hochseilakrobaten in Geltow auf. Wenige Schaulustige haben sich am Abend auf dem Marktplatz an der Caputher Chaussee zusammengefunden. Ungefähr 150 Leute, fröstelnd vor Kälte sind gespannt auf das, was da kommen mag. Der angestrahlte 36 Meter hohe Gittermast, zu dem ein langes Stahlseil hinauf führt, zeigt, dass der Beruf der Oskani-Truppe alles andere als ungefährlich ist. Eltern, Kinder, Jugendliche, zufällige Passanten warten zu Schlagermusik, die aus Lautsprechern dringt. Das Snack-Büdchen macht die Luke auf. Nachbarschaftsgespräche erfüllen den Platz, im Ortskern herrscht plötzlich Jahrmarkt-Stimmung. In einem der Wohnwagen am Rande sitzen Karmo und Jeanette Oskani, mit bürgerlichem Namen Neigert. Sie wohnen bei München. Die beiden Söhne Romario (8) und Angelo (4) tollen in der Sitzecke herum, sind kurz vor dem Auftritt etwas aufgeregt. Auch diese mittlerweile achte Generation gehört zum Programm. Bis 1612 lassen sich die Wurzeln der Gaukler-Familie zurückverfolgen. Schon damals balancierten die Vorfahren auf Seilen über Marktplätze, sogar unter dem Beifall des Kurfürsten von Baden. Das Familienalbum liest sich wie das Guinness-Buch: „Die Ziele wurden immer höher gesteckt“, sagt Karmo. Ein altes Foto zeigt Vater Oskar, wie er auf einem Seil in 3000 Metern Höhe über die Salzburger Alpen spaziert. Daneben eine Zeichnung von Till Eulenspiegel. Ist er das Vorbild der Oskanis? „Unsere Vorbilder sind immer die Eltern“, aber natürlich: Eulenspiegel gehöre irgendwie dazu. Auch Berühmtheiten jüngeren Datums finden sich im Fotoalbum: Eins mit dem Papst aus dem Jahr 1987, als die Oskanis in Rom auftraten. Ein weiteres mit Peter Oskani und Rock''n''Roll-Legende Bill Haley. Peter ist jetzt Clan-Chef und damit Träger des fast 400 Jahre alten Familienrings. Sein Weltrekord: Mit dem Motorrad vom Münchener Olympia-Stadion zum Fernsehturm, auf einem 12 Millimeter dünnen Drahtseil. Heute moderiert er die Show der 22-köpfigen Truppe. Zur Musik der TV-Serie Dallas marschiert die Familie über den Platz, winkt dem Publikum. Danach werden Zuschauer gebeten, zu helfen. Mit langen Stricken sollen sie das Stahlseil straffen, während Francesco Oskani darüber läuft. Als das Publikum gerade am Staunen ist, macht der Moderator klar: Die Show soll nicht umsonst sein: Sechs Euro für Erwachsene, drei für Kinder. „Wir müssen davon leben, im Kino oder bei Sportveranstaltungen bezahlen sie viel mehr und bekommen weniger geboten“, wirbt er um Verständnis. Bei vielen vergebens: Die Hälfte der Zaungäste geht einige Schritte zurück, verschwindet schließlich ganz. Gaffer trennen sich vom Publikum. Die wirtschaftlichen Ängste der Familie seien fast größer als die vor einem Absturz, berichtet Karmo Oskani. Benzin, Strom, Wasser, Standmieten – Kosten, die vor zehn Jahren niedriger waren. Das Gelände abzäunen könne man nicht. Die Artisten seien auf Anständigkeit angewiesen. „Normalerweise wären wir schon in der Winterpause, aber wenn das Geld nicht reicht " Die herbstliche Kälte macht die Akrobatik gefährlich, der Draht könnte frieren. Am Montag fiel die Vorstellung in Geltow deshalb aus. Die Größe des heutigen Publikums bietet nicht unbedingt einen finanziellen Anreiz – als die Oskanis 1973 von der Berliner Gedächtniskirche zum Europa-Center balancierten, waren 650000 dabei. Aber jene, die gekommen sind, will man nicht enttäuschen. Also schwingt sich Karmo auf das Motorrad, eine 600-Kubik-Honda. Funken sprühen aus dem Auspuff, als er am Gashebel dreht. Mit Karacho geht es das Drahtseil hinauf. Oben stellt sich der Fahrer mit einem Bein auf den Lenker, beugt sich nach vorn und breitet die Arme aus. „Das lebende Oskani-Denkmal“, wird moderiert. Wenig später: Eugen sitzt auf dem Motorrad, Karmo hängt am Trapez darunter. Dreimal drehen sich Mensch und Maschine um das Stahlseil. Die unten Stehenden besinnen sich erst nach einer Pause auf den Applaus für den Todessalto. „Wir sind nicht lebensmüde, das ist unser Beruf“, schallt es durch die Lautsprecher. Nunmehr ernten die jüngsten Familienmitglieder staunende Blicke: Auf einem Seil in 1,50 Meter Höhe schreiten die beiden Achtjährigen Romario und Marwin vorbei. Die kleinsten, Mandy (5) und das Nesthäkchen Angelo (4), zeigen ihre Künste in 50 Zentimetern Höhe. Den Höhepunkt des Abends verbucht jedoch Karmo für sich: Er hat mittlerweile auf einer Enduro Platz genommen – mit normalen Geländereifen. Fünf Jahre habe er an dieser Nummer gearbeitet. Karmo schaut noch einmal nach unten, reist das Motorrad an und fährt auf dem Hinterreifen die hundert Meter auf dem Seil bis zum Gittermast. Kurz zuvor haben ihm die anderen „Hals- und Beinbruch“ gewünscht. Seine obligatorische Antwort: „Beinbruch genügt.“ Die Oskanis gastieren heute und morgen um 19 Uhr in Wildenbruch an der Dorfstraße.

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