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Preis der Leipziger Buchmesse vergeben : Der schwierigen Zeit gemäß
Kristine Bilkau, Irina Rastorgueva und Thomas Weiler haben den Preis der Leipziger Buchmesse in den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Übersetzung gewonnen. Wer sind die Drei?
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Kristine Bilkaus Roman „Halbinsel“ beeindrucke „mit seinen lauten und leisen Fragen an unsere Gesellschaft“, hieß es am Ende der beinahe noch vergessenen Laudatio auf das Gewinnerbuch in der Kategorie Belletristik. Darunter ging es an diesem Frühlingstag in der sonnendurchfluteten Glashalle der Buchmesse selbst bei den Romanen nicht: Nämlich, dass jener, der den Preis der Leipziger Buchmesse gewinnt, mindestens gesellschafts- und zeitkritisch ist und die vielfältigen Krisen unserer Gegenwart in den Blick nimmt.
So wie es Bilkau gleich auch in ihrer Dankesrede tat, als sie die Jahre seit 2015 von der Flüchtlingskrise bis heute kurz Revue passieren ließ: „Die junge Generation kennt nur diese atemlosen Jahre. Wir schulden es den Teenagern und jungen Erwachsenen, uns besser um diese Zukunft zu kümmern und uns mit allem, was wir haben, für eine Sprache der Menschlichkeit und der Aufrichtigkeit einzusetzen.“
Weshalb die Stars auf der Roman-Shortlist, Christian Kracht und Wolf Haas, mit „Air“ und „Wackelkontakt“ keine großen Chancen gehabt haben dürften: Zu eskapistisch der eine, zu verspielt und verschachtelt der andere, beide zu konzentriert auf Wesen und Kern der Literatur und dabei zu wenig mit bedenkend, dass unsere Zeit eine so bedrängende, disruptive und eben womöglich Antworten erfordernde ist.
Mutter-Tochter-Roman
Bilkaus Mutter-Tochter-Roman auf jener Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer ist bei aller stofflichen Interessantheit (inklusive Climate-Fiction-Spuren) im Vergleich konventioneller, sprachlich formal. Trotzdem fand die Jury, dass unter dieser konventionellen Oberfläche „Widerhaken“ stecken würden und der Roman nur „scheinbar geradlinig“ erzählt sei. Vielleicht konnte sie sich aber auch einfach nicht einigen.
Der Preis für Bilkau passt jedenfalls ins Bild dieser Verleihung, die mit recht weihevollen Worten zur Wichtigkeit des Lesens und von Literatur durch die Juryvorsitzende Katrin Schumacher begann. Wie gewohnt ging es los mit dem Übersetzungspreis, den der in Leipzig lebende Thomas Weiler gewann, und zwar für seine Übertragung eines ungewöhnlichen Textes.
Weiler übersetzt auch Bacharevič
Den verfassten Anfang der siebziger Jahre Ales Adamowitsch, Janka Bryl und Uladsimir Kalesnik, nachdem sie Gespräche mit Überlebenden der Wehrmachtsmassaker 1970-1973 in belarussischen Dörfern geführt und auf Tonband aufgenommen hatten. Daraus machten sie mit „Feuerdörfer“ eine vielstimmige Erzählung und kontextualisierten diese, ganz nach Art einer Svetlana Alexijewitsch, die für ihre Bücher 2015 den Literaturnobelpreis gewann.
Weiler sprach in seiner Dankrede von einer „aufregenden Woche“. Tatsächlich wurde ihm indirekt schon am Eröffnungsabend viel Ehre zuteil: Er ist auch der Übersetzer von Alhierd Bacharevičs Roman „Europas Hunde“, für den Bacharevič im Gewandhaus den Leipziger Preis zur Europäischen Verständigung erhalten hatte. Viel Belarus als auf dieser Leipziger Buchmesse, ein Land, das unter den Wehrmachtsverbrechen litt und nun seit dreißig Jahren unter der Diktatur seines Präsidenten Alexander Lukaschenko leidet, der nicht zuletzt fest an der Seite von Putins Russland steht.
Fast naturgemäß bekamen vor diesem Hintergrund nicht Maike Albath mit ihrem Neapel-Buch oder Sandra Richter mit ihrer Rilke-Biografie den Sachbuchpreis. Sondern die 1983 auf der Insel Sachalin im fernen Osten Russlands geborene Autorin und Kulturjournalistin Irina Rastorgueva für ihre „Epikrise der Russischen Selbstvergiftung“ mit dem Titel „Pop-Up-Propaganda“. Darin analysiert Rastorgueva die Sprache und die Verschwörungsnarrative des Kremls.
Sehr zeitgemäß also, diese Verleihung, und dem aufklärerischen politischen Engagement in Buch- und Literaturform verpflichtet. Da blieben erstmal keine Fragen offen.
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