zum Hauptinhalt
Schöne Versuchung: Die Frau als Verführerin bei 
Lucas Cranach d. Ä.. Sein Gemälde „Schlummernde Quellnymphe“ entstand um 1537.

© Musée des Beaux-Arts et d’Archéologie de Besançon/Arcanes

Sex und Religion im Diözesanmuseum Freising: Anmalen gegen die Bigotterie der Kirchenväter

Die Ausstellung „Verdammte Lust – Kirche. Körper. Kunst“ im wiedereröffneten Museum der Erzdiözese München und Freising wirbt für mehr Aufklärung und Toleranz.

Stand:

Eine Ausstellung über Sexualität und Kirche? Da sträuben sich vielen die Haare. Ein Missbrauchsskandal nach dem anderen erschüttert derzeit die katholische Kirche, jüngst in Polen und Portugal. „Kirche und Sex – na, das kann was werden“, begann Kardinal Reinhard Marx entsprechend seine Eröffnungsrede für die Kunstschau „Verdammte Lust“ im Diözesanmuseum Freising. Und holte sich dann Applaus mit seinem Aufruf „Sexualität ist ein Geschenk Gottes“ und seinem Bekenntnis „Geschlechtervielfalt diskutieren wir heute, das gehört zum Menschsein dazu“.

Die Idee zu dieser Ausstellung hatte der Erzbischof bereits vor fünf Jahren, 2018 zusammen mit Peter Beer, damals Generalvikar der Erzdiözese und Auftraggeber des ersten Missbrauchsgutachten, auf das 2022 ein zweites, korrigiertes folgte. Geplant war „Verdammte Lust – Kirche. Körper. Kunst“ für die Kongresshalle in München. Das frisch sanierte Museum auf dem Domberg war noch eine Baustelle. Gedacht war sie als Auftakt für eine weitreichende Veranstaltungsreihe mit Diskussionen, Aufklärung und Aufarbeitung zum Thema. Dann kam Corona.

Es ist ein Glücksfall, dass die mutige Schau „Verdammte Lust!“ erst jetzt zu sehen ist, in lichtem neuem Haus und mit so glänzenden Leihgaben wie Leonardo da Vincis zugeschriebenen „Angelo incarnato“ (1513/15). Auf dem kostbaren Blatt „fleischgewordener Engel“ zeichnete sich der Künstler mit dezent weiblicher Brust und erigiertem Glied.

Verbotene Lust: Der Priester verzehrt sich nach Maria Magdalena in dem Andrea Vaccaro (1604-1670) zugeschrieben Gemälde „Die Heiligen Kajetan von Thiene und Maria Magdalena“ (um 1640).

© Diözesanmuseum Freising/Walter Bayer

Für Sigmund Freud war das eine „würdige Darstellung der göttlichen Vollkommenheit“, ein Hermaphrodit, der bestens zur aktuellen Geschlechter-Debatte passt. Das Buch des Psychoanalytikers mit der Deutung Leonardos liegt in einer Vitrine aus. Daneben schwebt die Zeichnung fast im Raum, beidseitig sichtbar in einem Rahmen.

Überhaupt ist die Inszenierung der 150 Werke aus 2000 Jahre Kunstgeschichte glänzend. In acht Kapiteln haben Museumschef Christoph Kürzeder und sein Kuratorenteam Carmen Roll, Steffen Mensch und Marc-Aeilko Aris Lust und Last von Körper und Glaube unterteilt. Das Dilemma des „schamlosen“, „sündigen“, „sinnlichen“, „reinen“, „verbotenen“, „erlaubten“ und „verletzten“ Körpers wird untersucht.

Der letzte Raum heißt „Es bleibt schwierig“ und zeigt, dass kirchliche Sexualmoral bis heute durch die Kunst nicht aufgearbeitet werden kann. Bigotterie und Brutalität der Kirchenväter sind vor allem in den Bildern vom Mittelalter bis ins frühe 19. Jahrhundert sichtbar. Viele Maler haben ihre Kritik an starren Lehren und Missbrauch ins Bild gesetzt, mal versteckt, mal offener.

Die meisten Kabinette sind in sündiges Rot getaucht, die Wandfarbe lässt die Gemälde von Tintoretto, Lucas Cranach oder Guido Reni leuchten. Historische Dokumente und Alltägliches wie eine Tanzkarte als Liebesgabe ergänzen die Bilderreihen. Dazwischen finden sich einige wenige zeitgenössische Werke wie Petr Weigls Film von 1984 über den heiligen Sebastian als homoerotische Fantasie. Kein anderer Heiliger hat so schön gelitten wie er. Jusepe de Ribera malte seinen „Heiligen Sebastian“ 1651 sogar mit fein gestrichelter Brustbehaarung.

Überall geht es um Sünde, Scham, Buße. Der römische Gott Pan bespringt eine Ziege (nach dem 2. Jahrhundert vor Christus) und greift, mit erigiertem Gemächt, lüstern nach einem Jüngling. Maria Magdalena als Schutzheilige der Prostituierten muss meist als nackte Versuchung herhalten. Es ist ein ausschließlich männlicher Blick, der auf diese religiöse Welt fällt.

Bis auf eine Ausnahme. Die Barockmalerin Artemisia Gentileschi malte 1610 in „Susanna mit den beiden Alten“ ihre eigene Vergewaltigung. Und im Raum der antiken Phallus-Symbole hängt ein Fresko-Porträt der lesbischen Dichterin Sappho. Die Leihgabe aus Pompei kam in letzter Minute hinzu.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })