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65. Geburtstag des Weltmeistertrainers steht an: Wie Joachim Löw den deutschen Fußball prägte
Jogi Löws Weg als Trainer beim DFB führte vom Klinsmann-Assistenten bis zum WM-Triumph in Rio de Janeiro. Dabei ging er stets seinen eigenen, modernen und unkonventionellen Weg. Eine Würdigung.
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Es war an einem Freitag, kurz vor 9 Uhr. „Herr Mayer-Vorfelder möchte Sie dringend sprechen“, rief die nette Dame an der Rezeption, als ich in der DFB-Zentrale gerade auf dem Weg zu einem Termin war. Der Anruf ließ Außergewöhnliches vermuten.
Tatsächlich folgte eine überraschende Info: Gerhard Mayer-Vorfelder oder „MV“ kündigte mir das zeitnahe Erscheinen von Jogi Löw in meinem Büro an und teilte mir zugleich sein Präsidenten-Zitat für die Pressemitteilung zum Engagement des künftigen Bundestrainer-Assistenten von Jürgen Klinsmann mit.
Der Satz, der Gerhard Mayer-Vorfelder damals am 30. Juli 2004 am wichtigsten war, erschien nicht wörtlich in dem Text. „Achten Sie bitte darauf, dass wir immer Joachim schreiben und nie Jogi. Denn sonst reden bis zur WM 2006 alle von Klinsi, Jogi und Oli – das ist nicht gut für ihr Standing“, betonte MV mit Nachdruck. Zwei Stunden später informierte ich Jogi bei einem Espresso über die Bitte. Er lächelte und merkte süffisant an: „Das können wir ja machen, trotzdem werde ich immer der Jogi bleiben.“
Was Mayer-Vorfelder damals nicht ahnte: Bald wurde „Jogi“ zu einem Gütebegriff im internationalen Fußball. Und mit „Klinsi“ wurde er zu seinem Dream-Team auf der Trainerbank. Vier Tage nach der Verpflichtung des neuen Bundestrainers ging Löws Engagement ruckzuck über die Bühne. Nachdem ihn Klinsmann irgendwo beim Radfahren im Schwarzwald telefonisch erreicht hatte, wurden sich beide im ersten Gespräch einig.
Es wurden zwei ereignis- und erfolgreiche Jahre, ehe Jogi am 12. Juli 2006 zum neuen Bundestrainer gekürt wurde – nach einer Klausur der sportlichen Leitung der Nationalmannschaft, direkt nach den Sommermärchen-Tagen, hatte das Klinsmann gemeinsam mit Manager Oliver Bierhoff dem DFB-Präsidium vorgeschlagen.
Die Mär von Löw als Taktiker und Klinsmann als Leader
Und das war keine Überraschung mehr. Denn Löw trat nach seinem DFB-Engagement schnell aus dem Schatten von Klinsmann. Die Geschichten, dass Löw der große Taktiker war und sein Chef eher der emotionale Leader des Teams, werden immer eine Mär bleiben.
Doch es ist auch richtig, dass Löw auf der Basis großen gegenseitigen Vertrauens und perfekter Arbeitsteilung des viel beschäftigten Klinsmann der Vordenker und –arbeiter in Sachen Taktik war, ehe der Bundestrainer bei personellen und taktischen Entscheidungen das letzte Wort hatte.
Ein Musterbeispiel: Im WM-Quartier 2006 im Berliner Grunewald traf sich Löw anfangs jeden Abend mit der Defensiv-Abteilung und machte auf dem Rasen direkt neben dem Pressebüro akribisch Trockenübungen, um das Stellungsspiel zu verfeinern. Viele Löw-Interviews, bei denen er seine Fußball-Philosophie erläuterte, gehören ebenfalls zu den markanten WM-Impressionen von einst.
Jogi ist mir über die Jahre ein echter Freund geworden.
Jürgen Klinsmann, ehemaliger Bundestrainer
Über Löw spricht Jürgen Klinsmann auch heute noch in den höchsten Tönen: „Jogi ist mir über die Jahre ein echter Freund geworden. Wir sind uns leider als Spieler nie begegnet.“ Der Trainer Löw habe Klinsmann nicht nur mit seiner Ruhe und Ausgeglichenheit beeindruckt, sondern auch mit seinem grundlegenden Optimismus.
„Wir sind mal in einem Hubschrauber mit einem Fluglehrer über Los Angeles geflogen. Als er fragte: Wer will übernehmen, hat Jogi sofort gesagt: Ich. Und dann ist er mit dem Hubschrauber zwischen zwei Wolkenkratzer geflogen. Das zeigt sein Selbstvertrauen und all seine positiven Eigenschaften.“
Vom Dauererfolg zum bitteren Ende
Statistisch gesehen ist Löw heute der Bundestrainer mit den meisten Länderspiel-Siegen und -Einsätzen. Hätte er zweimal mehr auf der Bank gesessen, hätte er die Nationalmannschaft 200-mal gecoacht. Und noch eine andere Statistik zeigt eindrucksvoll, welche Ausnahmerolle Löw spielte in seinen 17 DFB-Jahren, in denen der überall nur „Hansi“ gerufene Hans-Dieter Flick nach der WM 2006 zu einem für Jogi enorm wichtigen Helfer auf dem Weg zum Titelgewinn 2014 avancierte.
Bei insgesamt acht WM-, EM- und Confed-Cup-Turnieren von 2005 bis 2017 erreichte er mindestens immer das Halbfinale – eine Erfolgsserie, die international einzigartig ist. Unvergessener Höhepunkt der WM-Triumph 2014, als die DFB-Auswahl durch den Finalsieg von Rio gegen Argentinien als erste europäische Mannschaft ein WM-Turnier in Südamerika gewann.
Erst kürzlich räumte Löw ein, dass es wohl besser gewesen wäre, wenn er nach dem Turnier mit dem legendären 7:1-Coup gegen Brasilien als Bundestrainer seinen Abschied genommen hätte. So musste er nach manch spektakulärer Vorstellung urplötzlich die Enttäuschungen der WM 2018 und EM 2021 verkraften, bevor er demissionierte. Ein angekratztes Image und massive mediale Kritik waren unvermeidbare Folgen. Trotzdem bleiben Löws große Verdienste um den deutschen Fußball unbestritten.

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Beim Blick zurück gehen seine Erinnerungen nicht nur an glorreiche Spiele, sondern außerdem an viele illustre Begegnungen. Und wiederum ist es nicht überraschend, wenn für ihn besonders die Treffen mit der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel am nachhaltigsten geblieben sind.
Ob in der Kabine bei WM-Besuchen, bei Stippvisiten im Bundeskanzleramt mit der Mannschaft oder bei der Einladung des Trainerteams plus Bierhoff beim Lieblings-Italiener. „Wie locker, offen und freundlich sie mit uns redete, hat allen imponiert“, meint Löw. „Zusätzlich beeindruckt hat uns ihre Arbeitsleistung, denn sie hat uns manchen Einblick in ihren politischen Alltag gegeben.“
Xavi gab Löw entscheidenden Tipp
Eine einmalige Begegnung ist bis heute für Löw ein Schlüsselmoment für den Titelgewinn 2014. Nach dem Halbfinal-Aus gegen Spanien bei der WM 2010 in Südafrika rauchte er unbeobachtet im Stadion eine Zigarette. Der spanische Mittelfeld-Stratege Xavi entdeckte ihn und nach der Gratulation tauschten sich beide kurz aus. „Er hat unser Team gelobt für seine spielerischen Fortschritte, und dann gesagt: Entscheidend war, dass wir heute schneller im Kopf waren“, erzählt der ehemalige Bundestrainer.
Mir geht es nicht ums große Geld, sondern dass die sportlichen Perspektiven und Rahmenbedingungen stimmen. Sollte mal was kommen, wofür ich brenne, wäre ich bereit.
Joachim Löw
Die Analyse veranlasste ihn, danach stärker auf die mentale Schnelligkeit seiner Hoffnungsträger für Brasilien zu achten. Typisch Löw! Denn im Widerspruch zu denen, die früher die deutschen Tugenden priesen, ging er ebenso wie Klinsmann seine eigenen, modernen und unkonventionellen Wege.
Und wie sehen mittlerweile Löws Zukunftspläne aus? Er reagiert gelassen auf die Frage, weil er stets einen klaren Blick für die Realitäten hatte und andererseits selbst im größten Stress meist in sich selbst ruhte.
Weiterhin treffen zwar Offerten bei ihm ein, aber bei allem sportlichen Ehrgeiz folgt er klaren Kriterien bei der Entscheidungsfindung – und, so versichert er, ohne Namen zu nennen oder zu hadern, sei bisher nichts dabei gewesen, was ihn tatsächlich gereizt hätte. „Mir geht es nicht ums große Geld, sondern dass die sportlichen Perspektiven und Rahmenbedingungen stimmen. Sollte mal was kommen, wofür ich brenne, wäre ich bereit.“
Kurz vor seinem 65. Geburtstag am 3. Februar hat Jogi noch immer Träume!
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