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Alternative Narrative: Wie kann die Geschichte des Fußballs diverser erzählt werden?
Lange dominierten Männer die Geschichte des deutschen Fußballs. Das wird immer mehr zum Thema, auch in der Wissenschaft.
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Wenn man das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund besucht, dann kann man Blicke auf den gold glänzenden WM-Siegerpokal und die silber schimmernde EM hinter einer Glasvitrine erhaschen. Dort werden Spieltaktiken analysiert und natürlich auch das sogenannte „Wunder von Bern“ beleuchtet. Auf den ersten Blick sind alle diese Exponate und Tafeln, die an die größten Erfolge der Männer-Nationalelf sehr beeindruckend, aber auch sehr männlich geprägt.
Ähnlich sieht es in der Hall of Fame aus, wo bekannte Fußballer wie Franz Beckenbauer oder Gerd Müller gewürdigt werden. Erst seit einiger Zeit wird dort auch Frauen im Fußball mehr Raum gegeben, so heißt es auf der Website des Museum: „Seit Jahrzehnten engagieren sich Frauen im und für den Fußball“. Ihre Geschichten blieben allerdings lange ungehört, werden bis heute in den Narrativen über den Fußball in Deutschland häufig nicht berücksichtigt. Ähnlich sieht es in Bezug auf queere Personen oder People of Color aus. Aber wie können Geschichten vom Fußball aus anderen Blickwinkeln erzählt werden? Wie können alternative Narrative sichtbar gemacht werden?
Geschlechter- und Machtverhältnis spielen eine zentrale Rolle.
Mit diesen Fragen setzten sich Teilnehmer*innen der Veranstaltung „Ist Fußball alles?“ an der Freien Universität Berlin in den vergangenen Tagen auseinander. „Für die Verbreitung des Fußballs in Deutschland waren vor allem männliche Akteure und männliche Institutionen wie das Militär verantwortlich“, sagt Geschichtswissenschaftler Martin Lücke. „Im Fußball geht es immer auch um die Vereinnahmung von öffentlichem Raum und die Frage, wer wie und in welchem Kontext sichtbar sein darf.“
Schon bei dem gängigen Begriff „Volkssport“ spielten Geschlechter- und Machtverhältnis eine zentrale Rolle. „Bereits die Verwendung dieser Semantik verstellt den Blick darauf, wer überhaupt in inkludiert war, nämlich weiße heterosexuelle, christliche Männer.“ Frauen, schwule Männer oder auch People of Color seien hingegen diffamiert worden.
Für die Verbreitung des Fußballs in Deutschland waren vor allem männliche Akteure und männliche Institutionen wie das Militär verantwortlich.
Martin Lücke
Diesem Narrativ versucht auch Veronika Springmann etwas entgegenzusetzen, die aktuell die künftige Dauerausstellung im Olympiapark erarbeitet. „Im deutschen Fußball wurde lange eine Homogenität inszeniert, an der der DFB und Vereine beteiligt waren.“ Gleichzeitig sei es wichtig, nicht nur Geschichten von Ausschlüssen zu erzählen, sondern ebenso „Geschichten von Menschen, die Fußball spielten, obwohl sie nicht ins Bild passten.“
Sie warnt vor Affirmierung und verweist dabei auch auf andere Länder wie die USA, in denen Fußball anders funktioniere. „Männlichkeit, wie sie hier in Deutschland performiert wurde, kann nicht allein aus dem Spiel selbst erklärt werden.“ Politische Diskurse, beispielsweise zu Intersektionalität, die in anglo-amerikanischen Ländern bereits sehr viel weiter fortgeschritten seien, spielten eine Rolle. „Im Sport geht es um Körper, die normiert, vergeschlechtlicht und rassifiziert werden und wurden.“
Konstruktion von Fußball-Mythen
Rassistische Strukturen im Fußball werden auch in dem Dokumentationfilm „Schwarzer Adler“ und in den Interviews mit den Fußballern beleuchtet. In den Interviews des Films würden zugleich auch „Geschichten von Subversion, Aneignung und Protest“ deutlich, sagt Springmann. Das sei auch für queere Geschichtsschreibung relevant. „Denn nicht immer waren die Akteur*innen bereit, den ihnen zugewiesenen Raum einzunehmen.“
Das Fußballmuseum in Dortmund ist vermutlich einer der letzten Orte, der queere Geschichte schreibt. Für Martin Lücke stellt er sogar die „Maximaldistanz zum queeren Fußball“ dar. Auch die Darstellung von Frauen im Fußball sei problematisch, ebenso wie die Konstruktion von Fußball-Mythen innerhalb der Hall of Fame. „Es gibt mittlerweile eine Führung zur Geschichte des Frauenfußballs, aber diese wird als additive Geschichte erzählt.“
Dabei werde die Geschichte des Männerfußballs allerdings weder gebrochen noch reflektiert. „Hegemoniale Narrative werden dadurch insgesamt stabilisiert.“ Eine alternative Möglichkeit bestehe in einem inklusiven Ansatz. Dabei solle aufgezeigt werden, wer beim Erinnern marginalisiert oder sogar vergessen werden. „Erinnerung wird als Mittel von Herrschaft und Erinnerungskultur zu Herrschaftskritik.“ Ob dieser Ansatz es auch in die gängigen Fußball-Museen schafft, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.
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