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Normalerweise ist Olympia für Athlet*innen, Zuschauende und Arbeitende ein einmaliges Fest.

© dpa/ Peter Kneffel

Anhalter Bahnhof statt Winterspiele in Peking: Das ist einfach nicht mein Olympia

Unser Autor hat sich entschieden: Er wird nicht nach Peking reisen, um über Olympia zu berichten. Dabei sind die Spiele für ihn ein einmaliges Fest.

Seit Wochen liegt sie auf meinem Schreibtisch. Die Akkreditierung für die Olympischen Winterspiele erinnert mich täglich daran, dass es bald so weit ist. 2018 in Pyeongchang war mir klar, in Peking würde es weitergehen mit meiner Karriere als Olympia-Berichterstatter. Ich war 2014 in Sotschi und 2016 bei den Paralympics in Rio, habe auch mal von Tokio 2020 geträumt, das aber verworfen. Winterspiele sind mehr mein Ding. Skifahren und Eishockey sind Sportarten, die ich auch aktiv liebe. Aber nun kam Peking. Und rückte immer weiter weg. Bis ich mich dann entschieden habe: Ich fahre nicht nach China. Es ist einfach nicht mein Olympia.

Wie soll man sich diesen Spielen nähern, die so viel Ferne versprühen? Die politische Situation in China, der Umgang der Verantwortlichen mit dem Virus, das die Spiele viel Substanz kosten wird: Was bleibt in einer Coronablase übrig von Olympia, abseits der Wettbewerbe für die Aktiven? Wenig für die Menschen vor Ort, die nicht selbst auf Eis oder Schnee unterwegs sind.

Olympia, das ist auch für Zuschauende und Arbeitende ein einmaliges Fest. Ich trage Geschichten mit mir herum, die ich immer wieder abrufe: Die Menschen in Sotschi haben mein Bild von Russland geprägt. Sie waren freundlich, lustig. Als ich mal nicht von einem Biathlonwettbewerb zurück ins Tal kam, weil Tausende in zu wenige Gondeln drängten, riet mir ein russischer Fan: „Das hier ist das verdammte Russland, hier läuft nichts. Such dir einen Platz zum Schlafen auf dem Berg und fahr morgen runter.“ Ich kam doch ins Tal, da waren die Russen immer gut organisiert.

Noch müde. Aber später dann hellwach - unser Autor vor dem Hockey Centre in Pyeongchang.
Noch müde. Aber später dann hellwach - unser Autor vor dem Hockey Centre in Pyeongchang.

© Caus Vetter

In Südkorea war es schon mal abenteuerlicher: Das Ausharren bei der späten Pressekonferenz nach dem Skispringen hätte ich fast mit einer Nacht auf dem Bahnhof bezahlt: Es gab zu wenig Taxis. Ich sprang kurz nach Mitternacht in den letzten Zug, fuhr eine Station weiter. Dann ein Sprint zum Ausgang. Ich gewann ihn mit zwei Kollegen aus den USA vor rund 100 Verfolgern. Wir teilten uns atemlos das einzige Taxi, das vorm Bahnhof wartete. Ich konnte doch im Hotel schlafen – nachdem der Taxifahrer lachend in Schlangenlinien die Serpentinen hochgeschossen war und gesagt hatte: „Wir sind in Asien das, was die Italiener bei euch sind. Wir haben einfach am meisten Temperament auf dem Kontinent.“

Olympia verlangt einem Redakteur olympische Leistungen ab

Die, die in Südamerika angeblich fürs Temperament zuständig sind, habe ich 2016 in Rio übrigens während der Paralympics oft als zurückhaltend erlebt. Gut, es gab den Aufreger: Als ich zur Abschlussfeier ins Maracana ging, wurde ich am Einlass gefragt, woher ich denn käme. „Deutschland? Ah ja, die sind Klasse im Fußball, wir dafür nicht.“ Das 1:7 bei der WM 2014 wirkte nach, heute würde das in Brasilien wohl keiner mehr sagen.

Unser Autor fragt sich: Was bleibt in einer Coronablase übrig von Olympia, abseits der Wettbewerbe für die Aktiven?
Unser Autor fragt sich: Was bleibt in einer Coronablase übrig von Olympia, abseits der Wettbewerbe für die Aktiven?

© dpa/ Michael kappler

Olympia verlangt auch einem Redakteur olympische Leistungen ab, aber das klappt nicht immer: Sotschi 2014, es war gegen Mitternacht, als ich mit dem Bus in die Berge zum Hotel fuhr. Nach sieben Artikeln Tagewerk, fünf besuchten Veranstaltungen. Rechts neben der Fahrbahn leuchtete die olympische Skisprungschanze, das Handy klingelte. Der Kollege aus der Redaktion rief aufgeregt was von einer Sensation: „Gold für Carina Vogt auf der Schanze! Bist du da?“ Nein, ich fuhr gerade vorbei. Passiert, wenn man nicht hellsehen kann und die Kondition nachlässt: Der leider inzwischen selige Kollege Günter-Peter Ploog fragte mich am letzten Tag der Spiele 2014 in der Pause des Männer-Eishockeyfinales, wann ich denn heimfahre. Ich antwortete nach knapp drei Wochen mit viel Arbeit und wenig Schlaf: „Was soll ich machen?“ Günter lachte, klopfte mir auf den Rücken. „Mann, Alter. Du bist fertig!“

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Die Frage mit dem Heimkommen wird es diesmal nicht geben. Wenn es mir zu langweilig wird, kann ich ja am Anhalter Bahnhof mit einem Sprint aus dem Verlagsgebäude simulieren, dass ich den letzten Zug ins Heimquartier erwische. Nein, im Ernst. Ich freue mich trotz allem auf die Wettbewerbe und schiele bestimmt mal auf die Eintrittskarte vom Eiskunstlauffinale 2018. Sie hängt gerahmt in der Sportredaktion und erinnert mich nun daran, dass ich ab jetzt von den Winterspielen 2026 in Mailand träume.

Und natürlich hoffe ich, dass alle Athlet*innen diese Spiele von Peking gesund hinter sich bringen werden und es zumindest von ihnen schöne Geschichten gibt, die wir und unsere Kolleg*innen vor Ort dann aufschreiben können.

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