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Arsène Wenger: Arsenal-Trainer seit den Neunzigern.

© dpa/Andreas Gebert

Kolumne: Meine Champions League: Arsène Wenger und der FC Arsenal: Abschied eines Unvollendeten

Gegen den FC Bayern nimmt Arsène Wenger Abschied von einem Wettbewerb, den er zwei Dekaden dominiert hat - und trotzdem nie gewinnen konnte.

Ein letztes Mal noch. Heute Abend gegen halb neun wird Arsène Wenger aus dem Spielertunnel des Emirates Stadiums schreiten, den dunkelblauen Klubanzug nebst weißem Hemd und rotem Schlips mit einer wattierten Jacke bedeckt, denn in London ist es Anfang März doch recht frisch. Der Franzose wird das berühmte hagere Gesicht in die berühmten Falten legen, wie immer ohne jedes Lächeln auf den Lippen, und wann war dieser freudlose Gesichtsausdruck schon mal so angebracht wie an diesem Dienstagabend? Arsène Wenger nimmt heute Abschied von der Champions League. Von dem Wettbewerb, den er mit dem FC Arsenal in den vergangenen zwei Dekaden so dominiert hat wie kein anderer, ohne ihn ein einziges Mal zu gewinnen.

Die englischen Reporter haben ihre Nachrufe formuliert, denn niemand rechnet ernsthaft damit, dass Arsenal nach dem 1:5 vor drei Wochen beim FC Bayern München im Rückspiel des Achtelfinales noch ein mittelschweres Wunder vollbringen kann. Arsène Wenger ist an seine Grenzen gestoßen, nicht zum ersten Mal in der jüngeren Vergangenheit, als ihn die Kritik vernichten wollte und die Anhängerschaft zum Teufel wünschte oder mindestens doch zum Mond, weil er das im Londoner Norden durchaus vorhandene Geld nicht so großzügig und risikofreudig investierte, wie es alle anderen immer von ihm verlangt hatten. Wenger war es immer ziemlich egal, was der Rest der Welt oder Londons von ihm dachte, und im Klub hat ihm ohnehin niemand widersprochen. Wenger ging es bei Arsenal so wie zuvor Alex Ferguson bei Manchester United. Entlassen konnte er sich nur selbst. Und deswegen wird nach dieser Saison auch endgültig Schluss sein, nach 21 Jahren in Highbury, dem Arbeiterviertel mit den kleinen, windschiefen Häuschen, das einst auch Arsenals Stadion seinen Namen gegeben hatte.

Im Frühling ist Schluss für Wenger, obwohl die Bestätigung noch aussteht

Eine offizielle Erklärung steht noch aus, aber kaum jemand zwischen Southampton und Sunderland zweifelt daran, dass im Frühling Schluss sein wird. Arsène Wenger mag nicht mehr. Er wird bald 70 und hat für sich akzeptiert, dass er sich den letzten großen Traum nicht mehr erfüllen kann. Er hat Meisterschaften und Pokale mit Arsenal gewonnen, einmal sogar die Premier League ohne eine einzige Niederlage durchlaufen, das liegt jetzt auch schon 13 Jahre zurück. Der Henkelpott für Europas Champion aber blieb unerreichbar. Einmal nur in seinen 21 Londoner Jahren scheiterte Wenger an der Qualifikation zur Champion League. Das war in seiner Premieren-Saison 1996/97, aber damals durften auch nur zwei englische Klubs melden und Arsenal wurde hinter Manchester und Newcastle United Dritter, distanziert nur durch die schlechtere Tordifferenz. Seitdem sind Wenger und Arsenal immer mit dabei gewesen. Aber nie ganz oben.

Thierry Henry, Dennis Bergkamp, Patrick Vieira, Robert Pires … Alle haben sie in der Blüte ihrer Kunst für Arsenal gespielt und wurden stets als Favorit auf den Gewinn der Champions League gehandelt. Nie waren sie so dicht dran wie im Mai 2006, als es im Finale gegen den FC Barcelona ging. Es war damals wie heute eine Spielzeit des Umbruchs, die letzte im alten Highbury Stadium, dieser Stein gebliebenen Reminiszenz an die romantischen Tage des Profifußballs. Wenger selbst hatte den Umzug in das neuen Emirates Stadium durchgesetzt, in einen dieser modernen Kästen, wie sie heute überall auf der Welt stehen, aber immerhin im historischer Umgebung. Das neue Stadion klotzten sie nur ein paar hundert Meter vom alten auf die grüne Wiese, so dass die Fans weiterhin auf der Piccadilly Line bis zur Tubestation Arsenal fahren durften. Es heißt, Wenger habe sich beim Neubau bis zur Farbe der Sitzschalen um alle Details selbst gekümmert.

Henry, Bergkamp, Vieira, Pires... was war das für ein Team!

Im Mai 2006 war Arsenal schon hinaus über den Zenit der großartigen Invincibles, der Unbesiegten von 2004. Der Franzose Vieira hatte sich ein Jahr zuvor nach Turin verabschiedet, der Niederländer Bergkamp absolvierte mit 37 Jahren seine letzte Saison. In der Liga reichte es nur zu Platz vier, in Europa spielten sich die Londoner zwar ohne Gegentor durch die K.o-Runde, aber sie zeigten mehr Minimalistenfußball denn die furiose Offensivwucht der vorherigen Jahre. Am knappsten war es im Halbfinale gegen den FC Villarreal. Das 1:0 im Hinspiel war das letzte Europapokalspiel im alten Highbury. Beim Rückspiel hätten die Spanier in der Schlussminute gleichziehen können, als der Argentinier Juan Roman Riquelme zum Elfmeter antrat und Deutschlands Nationaltorhüter Jens Lehmann mit seiner Parade schon mal vorwegnahm, was die Argentinier ein paar Wochen später im WM-Viertelfinale von Berlin zu erleiden hatten.

Auch das Finale im Stade de France von Paris stand ganz in Lehmanns Zeichen. Nach einer Viertelstunde riss er Barcelonas Samuel Eto’o um. Ludovic Giuly kickte den austrudelnden Ball ins leere Tor, aber der norwegische Schiedsrichter Terje Hauge mochte den Vorteil nicht gelten lassen. Er entschied auf Freistoß für Barça und Rote Karte gegen Lehmann. Zehn Londoner gingen zwar kurz vor der Pause durch Sol Campbells Kopfball in Führung, aber in der turbulenten Schlussphase legte Henrik Larsson zweimal auf, was Eto’o und Juliano Beletti zu den entscheidenden Toren für Barcelona nutzten.

Arsenal war geschlagen – und wurde daheim doch gefeiert wie ein Champion. Ähnliches steht nicht zu erwarten für die Retrospektive des Achtelfinales gegen die Bayern, des letzten Champions-League-Spiels von Arsène Wenger.

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