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Auf diesem Foto ist eine Mannschaft von Lichtenberg 47 aus den frühen 60er Jahren zu sehen.

© Lichtenberg 47

Ausstellung im Stasi-Museum: So behauptete sich Lichtenberg 47 in der DDR neben der Staatssicherheit

Das Hans-Zoschke-Stadion lag mitten im riesigen Areal des MfS. Der Verein war der Stasi ein Dorn im Auge. Doch er konnte in seinem Stadion bleiben.

Halbzeit im Hans-Zoschke-Stadion beim Spiel von Lichtenberg 47 in der DDR-Liga, zweithöchste Klasse. Der Platzwart spielt Musik ein, „flotte Rhythmen“, erinnert sich Henry Berthy, einer von mehreren tausend Zuschauern. Die Rhythmen kommen vom West-Berliner Radiosender Rias. Die Musik ist auch auf der anderen Straßenseite zu hören, in der Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Mehrere Mitarbeiter ermahnen den Platzwart eindringlich, nie wieder den Rias anzumachen. Zudem werden auf dem Radio die erlaubten Sender markiert.

Diese Geschichte von Ende der 60er Jahre erzählt Henry Berthy im halbstündigen Film „Fußball im Hinterhof der Stasi“, der Teil einer Ausstellung im Stasi-Museum ist, in der es um den jetzigen Fußball-Oberligisten Lichtenberg 47 zu DDR-Zeiten geht. Berthy ist 66 Jahre alt und heute Geschäftsführer. Im Verein ist er seit 1963. Auch vier weitere jahrzehntelange Mitglieder erinnern sich im Film von Christian Booß.

Führungen zum Thema Stasi im Kiez

Der Historiker gehört zum Verein „Bürgerkomitee 15. Januar“, der Name ist angelehnt an die Erstürmung der Stasi-Zentrale 1990. Es gibt Führungen zum Thema Stasi im Kiez, so ist Booß auf die besondere Situation rund um das Hans-Zoschke-Stadion aufmerksam geworden. „Mich hat die Konstellation David gegen Goliath interessiert.“ Anhand von Zeitzeugen und Aktenrecherche erzählt er, wie sich der Verein Tür an Tür mit der Stasi die gesamte DDR-Zeit über behauptete. Der Film ist das Herzstück der kleinen Ausstellung im Erdgeschoss. Auf Schautafeln ist außerdem unter anderem zu sehen, wie genau die Stasi die Fußballer im Auge hatte: „10.00 - 11.45 Uhr Fußballspiel der alten Herren. Keine Zuschauer“, heißt es in einer Aktennotiz.

Der Verein war 1947 gegründet worden, galt als bürgerlich. Gewerbetreibende und Handwerker unterstützten ihn finanziell. Das war in der DDR höchst selten und nicht gern gesehen. Zudem gab es Bedenken, was die Einstellung der Vereinsmitglieder zum Sozialismus anging. „Wir waren der letzte Privatverein in Ost-Berlin“, sagt Vereinsmitglied Bodo Trapp, „mussten uns dann aber beugen.“ Ab 1970 firmierte man unter dem sperrigen Namen Betriebssportgemeinschaft Elektroprojekt und Anlagenbau Lichtenberg 47. Etwas kürzer: BSG EAB Lichtenberg 47.

Abgeschirmte Stadt in der Stadt

Zuerst war der Fußballplatz da. Anfangs nur Schotter, dann ausgebaut zum zweitgrößten Stadion Ost-Berlins. Die Stasi baute nah der Frankfurter Allee eine abgeschottete Mini-Stadt, mehr als 5000 Mitarbeiter arbeiteten dort, mit eigenen Kindergärten und Einkaufsmöglichkeiten. „Erkannt haben wir die sofort an der Sprache. Die kamen hauptsächlich aus Sachsen“, sagt Trapp im Film und erntet bei den 80 Gästen bei der Eröffnung wissende Lacher. „Die Stasi gehörte nicht zu uns. Das waren Außenstehende. Aber sie hatten die Macht“, sagt Mitglied Günter Krause.

Das Areal der Stasi wuchs immer weiter, auf mehr als 40 Einzelgebäude. Zu Anfang mussten Kleingärten weichen, später sogar vom Architekten Bruno Taut erbaute Häuser. Das Stadion stand immer noch. Warum, darüber gibt es verschiedene Versionen. Eine geht so: Die Witwe von Widerstandskämpfer Hans Zoschke, der im Zweiten Weltkrieg von den Nazis ermordet worden war, habe beim Politbüro dafür gesorgt, dass das nach ihrem Mann benannte Stadion nicht abgerissen wird. So schreibt es auch Politikerin Gesine Lötzsch (Die Linke) in ihrem Buch „Immer schön auf Augenhöhe“. Historiker Booß hat dafür keine Beweise gefunden. Im Film ist von Plänen des MfS die Rede, auf dem Gelände Sport- und Schießanlagen zu erreichten. Doch dazu hätte es eines Ersatzstadions für Lichtenberg 47 bedurft. Als schließlich ein Gelände am Stadtrand gefunden worden war, kam die Wende.

Tabellenführer in der Oberliga

Der Verein spielt bis heute am alten Ort, das Stadion gilt als eines der schönsten Berlins. Derzeit ist Lichtenberg Tabellenführer in der Oberliga. „Wir sind die Gejagten aber das kennen wir ja aus der Hinrunde“, sagt der Sportliche Leiter Benjamin Plötz. Die Mannschaft ist noch ungeschlagen, hat einen Punkt mehr als Tennis Borussia. Der Aufstieg in die Regionalliga Nordost wäre eine Riesensache für den Klub. Planen tut Lichtenberg zweigleisig, geschaut wird aber nur auf das nächste Spiel, „wir machen uns da keinen Druck“, sagt Plötz.

Das nächste Spiel ist gleichzeitig das erste im Jahr 2019 und findet am Samstag um 13.30 Uhr im Hans-Zoschke-Stadion gegen die TSG Neustrelitz statt. Musik gibt es auch: Aktuelle Hits, sowie Songs aus den 80ern und 90ern. Aber nicht vom Rias. Der hat, anders als das Stadion, nicht überlebt.

Die Ausstellung im Stasi-Museum in der Ruschestraße 103, Haus 1, 10365 Berlin läuft bis zum 27. März. Eintritt für das Museum: acht Euro Erwachsene, sechs Euro ermäßigt, drei Euro Schüler.

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