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Roger Kluge und Theo Reinhardt gewinnen das 112. Berliner Sechstagerennen.

© IMAGO/frontalvision.com/IMAGO/Arne Mill

Update

Tränen, Tradition und Theos letztes Rennen: Das Sechstagerennen zwischen Abschied und Aufbruch

Eine Radrenn-Ikone beendet seine Karriere beim 112. Berliner Sechstagerennen. Theo Reinhardts Abschied gibt Anlass, einen Blick auf die Zukunft des Sportevents zu werfen.

Stand:

Die Tränen schimmerten in Theo Reinhardts Augen, als er den Arm um seinen Sohn neben sich legte. Kaum einer der Zuschauenden saß in diesem Moment auf seinem Tribünenplatz. Sie alle standen aufgerichtet, jubelten und pfiffen, als der Radrennfahrer in die Pedale trat, beim Einbiegen in die Kurve seine Cap in die Höhe streckte und sich so von seinem „zweiten Wohnzimmer“ verabschiedete.

Es waren Reinhardts letzte Runden, die er an diesem Sonnabend auf der Holzbahn seiner Heimatstadt, im Velodrom Berlin, drehte.

Einen symbolträchtigeren Moment für das diesjährige Berliner Sechstagerennen, das seit 2024 nur noch an zwei Tagen stattfindet, hätte es vermutlich nicht geben können. Denn in diesem Jahr drehte sich alles um das Ende einer Ära, um den Abschied einer Ikone im Bahnradsport. Es drehte sich um Theo Reinhardt.

Am Samstagabend beendete der 34-Jährige seine Karriere in derselben Halle, in der er als Kind noch von der Tribüne aus zugeschaut hatte. Und das am Ende sogar mit einem Sieg gemeinsam mit Partner Roger Kluge, mit dem er bereits zweimal Weltmeister und dreimal Europameister wurde.

Obwohl bei den Sixdays in diesem Jahr viele Tränen flossen, dominierten weder Wehmut noch das Schwelgen in alten Erinnerungen den Abend.

8.000
Zuschauende füllten am Samstagabend das ausverkaufte Velodrom Berlin.

Ganz im Gegenteil: Einige Stunden nach Einlass war es zwischen Popcorn-Maschinen, Currywurst-Buden und Bierzapfanlagen bereits ziemlich voll im Velodrom. Auch die Tribünenplätze für die großen Bahnradfans waren komplett belegt.

Am ersten Tag waren es rund 6.500, am zweiten und ausverkauften Tag dann 8.000 Zuschauende, die für ausgelassene Stimmung sorgten. Damit sei dem Event ein eindeutiges Wachstum gegenüber dem Vorjahr gelungen, sagte Sixdays-Chef Valts Miltovics am Sonnabend.

Trotz Kostensteigerung habe der Etat in diesem Jahr bei 800.000 Euro gelegen. „Über die letzten drei Jahre spüren wir ein deutliches Zuschauerwachstum, das Interesse wird größer“, so Miltovics.

Trotzdem schien auch er ein wenig überrascht angesichts des jungen Publikums. Neben den Traditionsgänger:innen, die jedes Jahr aufs neue kommen, waren dieses Mal viele junge Gesichter und Familien mit dabei.

Zum Ende des Sechstagerennens wurde die ein oder andere Träne vergossen. Theo Reinhardt wird zu seinem Karriereende verabschiedet.

© imago/Nordphoto/IMAGO/nordphoto GmbH / Engler

Und da waren es nur noch zwei

Eine überraschende Entwicklung, wenn man sich die vergangenen fünf Jahre des Sechstagerennens anschaut, in denen die Veranstaltung in eine kleine Existenzkrise geraten war. Nach der coronabedingten Pause musste das Rennen aus wirtschaftlichen Gründen zunächst auf drei Tage gekürzt werden. Seit 2024 sind es nur noch zwei Tage, an denen die Radprofis über die hölzerne Schräge rasen.

Zur großen Enttäuschung vieler Stammgäste, denn mit der Kürzung fielen nicht nur einige Renntage, sondern auch der alte Charakter des Rennens weg. Das sagten auch einige Zuschauende am Sonnabend.

Mit dem dritten Tag sei der „Familientag“ weggefallen, sagte Kathrin, Radsportlerin vom BSC Süd 05 Brandenburg, die das Rennen von der Mittelinsel aus verfolgte. Schon vor fünfzehn Jahren ging sie zum Sechstagerennen in Berlin – zu einer Zeit, in der dieses tatsächlich noch an sechs Tagen stattfand.

„Damals war das Programm an einigen Tagen noch tagsüber“, sagte sie. Jetzt, wo es nur noch zwei Tage gibt, sei das nicht mehr möglich. Beide Renntage finden bis spätabends statt. „Für viele Eltern mit kleinen Kindern ist das zu spät. Der Familiencharakter geht dadurch verloren.“

Auch auf das Rennen im Nachwuchsbereich wird seit vergangenem Jahr verzichtet. Dadurch fehle es an einem Rennen für die kommende Bahnrad-Generation, sagte Ullus, der gemeinsam mit Kathrin das Sechstagerennen besuchte. Und das in einem Sport, in dem der Nachwuchs ohnehin schon vom Aussterben bedroht sei.

Dass das Event in den vergangenen Jahren in eine kleine Identitätskrise geriet, zeigt sich auf vielen Ebenen. „Das Format sucht seine neue Identität“, sagte Miltovics bereits im vergangenen Jahr. Ist man dieser neuen Identität mittlerweile einen Schritt nähergekommen?

Wie jedes Jahr erkannte Gino Heinze wieder viele bekannte Gesichter beim diesjährigen Rennen. Als Eigentümer eines Radsport-Ladens hat er bei den Sixdays jedes Jahr einen Stand mit Rennrädern und Rad-Zubehör. Von dort aus hat er einen guten Blick auf die Menschen im Velodrom. „Viele Leute sieht man Jahr für Jahr immer wieder“, sagte er am Sonnabend. „Doch das Publikum hat sich mit der Umstellung verändert.“ Auch er nimmt seit einigen Jahren vermehrt jüngere Gesichter wahr.

Wir wollen eine Treppe zwischen Nachwuchs und Profis bilden.

Valts Miltovics, Sixdays-Chef 

„Es ist unser Ziel, eine junge Zielgruppe zu erreichen“, sagte Miltovics zum Ende der Veranstaltung. Gerade für so eine alte Sportveranstaltung wie das Sechstagerennen sei das eine sehr positive Entwicklung.

Dritter Tag scheint für 2026 noch unrealistisch

Den Nachwuchs versuche man so bald wie möglich wieder in das Sportevent zu integrieren: „Wir wollen eine Treppe zwischen Nachwuchs und Profis bilden“, sagte er. Ganz so leicht sei das jedoch nicht, denn traditionell obliegt die Organisation der Nachwuchsrennen den Verbänden.

Die Hoffnung auf einen weiteren Tag scheint für 2026 noch unrealistisch, sagte Miltovics. Dafür versuche man nun die zwei Tage so weit es geht auszubauen und möglicherweise wieder ein Nachwuchsprogramm stattfinden zu lassen.

Der Blick auf die Zukunft des Sechstagerennens scheint optimistischer als noch in den Vorjahren. Vielleicht ist das auch Theo Reinhardt und seinem emotionalen Karriereende zu verdanken. Denn auch er wird sich in Zukunft als Trainer dem Nachwuchs des Bahnradsports widmen.

Als Theo Reinhardt am Samstagabend seine Ehrenrunde nicht alleine, sondern gemeinsam mit seinem Sohn Pepe Reinhardt fuhr, symbolisierte das in gewisser Weise nicht nur seinen Abschied. Es stand auch für etwas Neues.

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