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Um diesen Pokal geht es. Die Qualifikationsrunde beginnt am Freitag.

© IMAGO/mix1/Daniel Lakomski

Blick in die Glaskugel vor dem Start: Dieses Märchen könnte es im Berliner Fußballpokal geben

Vor der Qualifikationsrunde im Landespokal blicken wir nicht ganz ernst gemeint nach vorn und begleiten einen Klub von ganz unten durch die unglaublich erfolgreiche Saison.

Stand:

Im Berliner Fußball-Landespokal steht die Qualifikationsrunde an, fast 100 Teams sind ab Freitagabend im Einsatz. Wir haben zum Thema Pokalsaison in die Glaskugel geschaut und Interessantes entdeckt. So könnte das Pokalmärchen des fiktiven FC Ganzweitunten (kurz GWU) ablaufen. GWU steht stellvertretend für die sehr vielen Klubs aus den Kreisligen, die jedes Jahr zu Anfang dabei sind.

Der Berliner Pokal ist der kürzeste Weg nach Europa: Achtmal gewinnen (inklusive Qualirunde), dadurch in den DFB-Pokal einziehen, sechs Siege bis zum erneuten Titelgewinn nachlegen. Das weiß auch der Trainer des FC Ganzweitunten aus der Kreisliga C.

Aber er ist gleichzeitig als Psychologe gefragt. Deswegen sagt er am Sonntagmorgen vor der Qualifikation in der Kabine: „Männer, der Pokal ist unser Wettbewerb! Da waren wir vor sechs Jahren in der zweiten Runde.“ Einige der am Sonntagmorgen noch müden Augen weiten sich. Ach ja, das 1:21 gegen einen Landesligisten. „Wenn wir das Anschlusstor zum 1:13 früher gemacht hätten …“, führt der Trainer weiter aus und schließt fünf Minuten später mit einem kraftvollen: „Heute ist unser Tag.“

Dann klopft es an der Kabinentür. Ein Innenverteidiger und der Linksaußen schrecken aus dem Dämmerschlaf hoch. Auftritt Schiri: „Das Spiel fällt aus, der Gegner hat nur sechs Mann zusammenbekommen.“ In der ersten Hauptrunde zaubert sich GWU Mitte August vor fünf Zuschauern gegen ein Team aus der Freizeitliga zu einem souveränen 1:0.

In Runde zwei wartet Anfang September ein richtiges Schwergewicht aus der Kreisliga B (Platz acht in der vorigen Saison). „Echter Pokalfight“, sind sich die diesmal immerhin 14 anwesenden Zuschauer einig. Endstand 2:1.

In der Kreisliga C läuft es mittelprächtig (zwei Siege, sechs Niederlagen). Vielleicht wegen der Doppelbelastung, grübelt der Trainer. Das wollte er kürzlich am Abendbrottisch mit seiner Familie diskutieren. Komischerweise war der Satz „Papa, gibst Du mir mal das Salz?“ von seiner Tochter der einzige Beitrag. Egal, jetzt braucht es frische Leute, Stichwort Belastungssteuerung.

Aber auch mit sechs Neuen in der Startelf ist im Oktober gegen einen Berlin-Ligisten nicht viel zu holen – 0:6. Drei Tage später die Wende: Umwertung, der Gegner hatte einen nicht einsatzberechtigten Spieler dabei. „Das passiert doch sonst immer nur uns“, wundert sich der GWU-Vorsitzende.

Männer, der Pokal ist unser Wettbewerb!

Trainer des FC Ganzweitunten

Es ist Mitte November – und Ganzweitunten als einziger Verein aus der Kreisliga C weiterhin dabei. „Ist ja wie damals“, freut sich im Vereinsheim eines der ältesten Mitglieder, „wir waren auch eine echte Pokaltruppe. 1962 waren wir im Endspiel des Einladungsturniers der Kleintierfreunde Reinickendorf-Süd schon fast geschlagen. Dann hat Erwin noch zwei Dinger eingeklinkt.“

Im Achtelfinale zahlen 77 Zuschauer Eintritt. „Da kommt ein hübsches Sümmchen zusammen“, bilanziert der Kassierer ungläubig. Was angesichts des unerwarteten Geldregens fast untergeht: GWU kegelt den nächsten Favoriten raus (4:3 nach Verlängerung). In der Kabine hat jemand ein Plakat aufgehängt: „Der Pokal ist unser Wettbewerb“.

Normalerweise steht der Trainer im Winter unter der Woche mit vier Leuten auf dem Platz. Diesmal sind es Ende Februar 27. Einige dürften das letzte Mal vor dem Amtsantritt des Trainers im Jahr 2013 vor Ort gewesen sein. Alle wollen in den Kader fürs Viertelfinale.

Das Los hat es gut gemeint mit GWU, der Gegner spielt nur vier Klassen höher. Der Präsident würde gern auf den Hauptplatz wechseln. Als dieser zuletzt in Benutzung war, wurde noch in D-Mark bezahlt. „Aber ein bisschen Rasen mähen und mal über die Wellenbrecher polieren, dann geht das“, sagt der Präsident. Der Trainer lehnt ab. Wäre ja noch schöner, den Vorteil des ramponierten Kunstrasens aus dem Jahr 1984 aufzugeben.

27
Spieler kommen im Februar zum Training.

Die Spieler des Gegners aus der Oberliga kommen gut gelaunt auf die Sportanlage und sprechen schon über das Halbfinale. Die Laune sinkt, als sie sehen, dass der Rasenplatz gesperrt ist. Sie sinkt weiter, als die Partie einige Minuten später beginnt, weil niemand dem Trainer der F-Jugend gesagt hat, dass der Kunstrasen um 18.30 Uhr frei sein muss.

Nach 119 Minuten steht es vor 319 Zuschauern 0:0. Der Trainer wechselt sich ein. Elfmeterschießen, 2:2 nach acht Versuchen. Der nächste Schütze des Gegners holzt den Ball leicht überheblich über den Kasten und in den Swimmingpool des angrenzenden Kleingartens. Der GWU-Coach ist an der Reihe und drischt den Ball flach ins Netz. „Gekonnt ist gekonnt“, denkt er noch, bevor ihn der 110-Kilo-Mann aus der Abwehr jubelnd zu Boden reißt. An der Seitenlinie liegt sich die Familie des Trainers in den Armen.


Der Trainer sieht plötzlich nur noch Fallobst

Vor dem Halbfinale ist dieser ein gefragter Gesprächspartner. Er wundert sich über eine Überschrift: „Ich sehe nur noch Fallobst“. Vielleicht war es doch keine gute Idee, das Interview am Handy parallel zur Gartenarbeit zu führen.

Am Ostermontag wartet ein Gegner, der laut Internet zweimal trainiert. Wie wir, denkt der Trainer. Ach nee, da steht zweimal am Tag. Der Kontrahent will 1500 Tickets für seine Fans ordern. Joa. Hm. Irgendwo muss doch die alte Rolle mit den bunten Eintrittskarten liegen, die es früher immer im Kino gab.

Letztlich kriegt jeder am Eingang einen Stempel und das Geld geht direkt in das lustig dreinblickende Sparschwein, das der frühere Schatzmeister auf seinem Dachboden gefunden hat. 2000 Zuschauer kommen auf den Hauptplatz mit dem frisch gemähten Rasen und den polierten Wellenbrechern. Um dem anderen Halbfinale aus dem Weg zu gehen, wird abends unter eher leistungsschwachem Flutlicht gespielt.

Der Rasen im Stadion wird noch einmal gemäht.

© IMAGO/Funke Foto Services

Der FC Ganzweitunten hat etwa vier Prozent Ballbesitz. Dann schießt der Stürmer, der in der Winterpause zurückgekommen ist, weil das mit dem berühmten nächsten Schritt in der Kreisliga A nicht geklappt hat, aus 31 Metern. „Stand halt keiner frei“, wird er später sagen. Der Ball flippert sich über drei Abwehrbeine ins Tor.

Anschließend wird es dauerhaft dunkel. Jemand muss versehentlich den Inhalt seines Bierbechers über für das Flutlicht wichtige Kabel entleert haben. Weil nicht zweifelsfrei geklärt werden kann, ob der Verursacher aus dem Heim- oder Gästebereich kommt und weil der Terminkalender sehr eng ist, wertet der Verband das Spiel noch vor Ort mit 1:0 für GWU. Es wird eine lange Nacht im Vereinsheim. Die älteren Mitglieder erinnern sich an die Feierlichkeiten nach dem Sieg beim Einladungsturnier 1962.

Die Saison ist zu Ende, Ganzweitunten hat als Elfter zum achten Mal nacheinander den Aufstieg verpasst. Geschenkt. Zum Endspiel gegen einen anderen Überraschungsfinalisten (aus der Landesliga) kommen über 8000 Zuschauer ins Mommsenstadion. Das Fernsehen löst das Berliner Finale sogar aus den Konferenzschaltungen heraus und überträgt komplett live. Die Einschaltquoten sind traumhaft, alle wollen das Sensationsteam aus der Kreisliga C sehen.

Der Trainer hat die Taktik geändert, spielt mit zwei Stürmern und ohne Libero, eine Revolution! Damit hat der Gegner nicht gerechnet. Vor der Pause fliegt dem bisherigen Libero nach einer Ecke der Ball an die Stirn, 1:0. Danach folgen das 2:0 und das 3:0. „Wahnsinn. Der Pokal ist der Wettbewerb des FC Ganzweitunten“, ruft der TV-Kommentator. GWU steht im DFB-Pokal. Nur noch sechs Siege bis Europa …

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