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Bereit zum Abheben. In seinem 104. Länderspiel konnte sich Joshua Kimmich (rechts) erstmals als Doppeltorschütze feiern lassen.

© IMAGO/Sports Press Photo/IMAGO/Gabor Baumgarten / SPP

Das ewige Wechselspiel des Joshua Kimmich: Rechts hinten oder im zentralen Mittelfeld? Beides!

Erst vor einem Monat hat Bundestrainer Nagelsmann seinen Kapitän zurück ins Mittelfeld beordert. Gegen Luxemburg hat er sich schon wieder umentschieden.

Stand:

Joshua Kimmich breitete die Arme aus, er drehte sich um seine eigene Achse wie die Rotoren eines Hubschraubers und war wahrscheinlich wirklich kurz davor abzuheben. Jedenfalls bekam er das Lachen gar nicht mehr aus seinem sonst so ernsten, manchmal auch vom Ehrgeiz verzerrten Gesicht.

Beim 4:0-Erfolg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hatte Kimmich seinem Elfmetertor zum 2:0 Mitte der ersten Hälfte kurz nach der Pause auch noch einen zweiten Treffer folgen zu lassen. Doppeltorschütze, das war der Kapitän des Teams in seinen vorherigen 103 Länderspielen noch nie gewesen. „Zu treffen ist nicht mein Kerngebiet“, sagte Kimmich.

104
Länderspiele hat Joshua Kimmich bestritten

Womit wir bei der entscheidenden Frage wären: Was ist das eigentlich: das Kerngebiet des Joshua Kimmich? Das defensive Mittelfeld, in dem er beim FC Bayern München spielt? Oder doch die rechte Außenbahn, auf der er mehr ist als nur eine Notlösung und vor allem der Nationalmannschaft immer wieder über manche Schwierigkeit hinweggeholfen hat.

Erst im September, vor den ersten beiden Spielen der WM-Qualifikation, schien Bundestrainer Julian Nagelsmann eine Grundsatzentscheidung getroffen zu haben. „Als klassischen Rechtsverteidiger sehe ich Josh nach wie vor konkurrenzlos“, sagte er – und versetzte Kimmich auf die Sechs.

Den kann ich auch eine halbe Stunde vor dem Spiel woanders hinstellen, der kriegt das gut hin.

Bundestrainer Julian Nagelsmann über Joshua Kimmich

Das sollte eigentlich erst einmal so bleiben, doch am Freitagabend gegen Luxemburg ließ Nagelsmann seinen Kapitän dann wieder als rechten Verteidiger in der Viererkette auflaufen. Wobei: So ganz stimmte das nicht. Im Grunde lautete die Antwort des Bundestrainers auf die Frage, auf welcher Position Kimmich spielt: auf beiden.

Auf dem Papier lief der 30 Jahre alte Münchner als rechter Außenverteidiger auf, in der Realität rückte er bei eigenem Ballbesitz der Deutschen – also eigentlich fast immer gegen die schon früh dezimierten Luxemburger – ins zentrale Mittelfeld vor, und fünf Minuten nach der Pause stand er dann auch noch drei Meter vor dem Tor der Gäste genau richtig, um wie ein klassischer Mittelstürmer zum 4:0-Endstand abzustauben.

Kimmich war einfach überall und passte damit nicht ins traditionelle Raster. Als zentraler rechter Außenverteidigerstürmer gab er von allen Spielern die meisten Schüsse ab und brachte auch die meisten aufs Tor.

Die Lösung, die Nagelsmann gegen Luxemburg präsentierte, besaß einen gewissen Charme – weil sie vielen Anforderungen gerecht wurde. Sie kaschierte den Mangel, der im deutschen Fußball weiterhin auf der Position des rechten Außenverteidigers besteht, und unterstrich zugleich Kimmichs Anspruch auf eine zentrale Rolle im deutschen Spiel. „Er spielt genau auf der Position, die er bei Bayern München mit Ball auch hat“, sagte der Bundestrainer.

Nagelsmann will das Thema flexibel handhaben

In der Vergangenheit hat es in der Nationalmannschaft mit Philipp Lahm einen ähnlichen Fall gegeben. Auch der war als rechter Außenverteidiger so gut, dass man eigentlich nicht auf ihn verzichten konnte. Er war allerdings auch als linker Außenverteidiger so gut, dass man auf ihn eigentlich nicht verzichten konnte. Anders als Kimmich aber war Lahm leider nicht in der Lage, beide Positionen in einem Spiel besetzen.

Natürlich bleibt die Frage, ob Kimmichs Wechselspiel, das gegen offensiv harmlose Luxemburg funktionierte, auch in einem WM-Viertelfinale gegen deutlich stärkere Gegner wie Spanien, Frankreich oder Argentinien funktionieren würde. Aber diese Frage muss Nagelsmann im Moment noch nicht beantworten. Im Moment muss er sich erst einmal für die WM qualifizieren.

Deshalb will der Bundestrainer das offenbar heikle Thema bis auf Weiteres so flexibel wie möglich handhaben – selbst gegen öffentliche Widerstände. Auf die Vorhaltung, dass er sich ja irgendwann mal entscheiden müsse, entgegnete Nagelsmann im Interview bei der ARD: „Nee. Wo steht das?“

Kimmich ist inzwischen egal, wo er spielt

Er wolle sich gar nicht immer so festlegen, erklärte er. „Letztes Mal habe ich mich offensichtlich zu sehr festgelegt. Dann heißt es überall: Rolle rückwärts.“ Nun habe er sich eben entschieden, Kimmich wieder in der Viererkette aufzubieten. „Mal schauen, wie ich mich am Montag entscheide.“ Dann trifft die Nationalmannschaft in Belfast auf Nordirland.

Joshua Kimmich lässt dem Bundestrainer alle Möglichkeiten. Auf beiden Positionen sei es nicht leicht, an ihm vorbeizukommen, sagte Nagelsmann. Auf beiden sei er top, auch kurzfristig: „Den kann ich auch eine halbe Stunde vor dem Spiel woanders hinstellen, der kriegt das gut hin.“

Auch Kimmich selbst sieht die Angelegenheit inzwischen sehr entspannt. „Mir ist das komplett egal“, sagte er. „Meinetwegen muss sich der Trainer nicht entscheiden.“

Deutschlands Kapitän wurde dann noch gefragt, wo er denn tatsächlich am liebsten spiele, wenn er die freie Wahl hätte. „Eigentlich im Tor.“

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