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Im Berliner Amateurfußball gibt es große Diskussionen um eine Trikotnummer.

© IMAGO/Lazarenka Sviatlana

„Das war eine Art Kulturkampf-Debatte“: Antrag auf Verbot der Trikotnummer 88 im Berliner Fußball abgelehnt

Özgür Özvatan hatte den Antrag für den Verband eingebracht. Der BFV-Vizepräsident spricht über die hitzige Debatte und die aus der Ablehnung resultierenden Folgen.

Stand:

Herr Özvatan, Sie haben auf dem Verbandstag des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) am vergangenen Samstag für das Präsidium den Antrag eingebracht, die Trikotnummer 88 zu verbieten, die Zahl gilt als rechtsextremer Code. Auf der BFV-Webseite ist von „längeren Diskussionen“ dazu die Rede. Wie haben Sie es erlebt?
Der Vereinsvertreter von Germania 1888 hat ein Plädoyer gegen das Verbot gehalten. Spieler würden sich aus Gründen der Identifikation mit dem Verein diese Nummer wünschen. Das lassen wir mal so stehen.

Ich jedenfalls habe noch keinen Verein erlebt, in dem jemand sich das Gründungsjahr als Rückennummer gewünscht hat, aber das mag gut möglich sein. Für solch einen sehr speziellen Fall könnte kann man im Zweifel auch über Sondergenehmigungen nachdenkengeben.

Danach meldeten sich weitere Vereinsvertreter?
Zwei haben gefragt, wo überhaupt das Problem sei und ob als nächster Schritt die 18 verboten wird …

… auch diese gilt als Code in rechtsextremen Kreisen.
Die Nummer sei beispielsweise wichtig für den deutschen Fußball wegen Jürgen Klinsmann, sagte ein Vereinsvertreter. Aber darum ging es gar nicht. Es wurde dann zu einer Art Kulturkampf-Debatte, was nie unser Ansinnen war.

Wie meinen Sie das?
Viele haben es als eine Auseinandersetzung zwischen dem Präsidium und den Vereinen verstanden. Ich bin mir sicher, nicht wenige Vereine wollten einfach dem Präsidium eins auswischen, weil wir schon viele Anträge eingebracht hatten.

Zahlreiche Vereine haben sich danach bei mir gemeldet, um mitzuteilen, wie beschämend sie diese Diskussion und das Abstimmungsergebnis empfunden haben. Auch in meinen Augen fand eine Relativierung des in Nazi-Ideologien verwurzelten Codes statt.

Viele Vereine äußerten zudem, dass ich in der Diskussion vom Präsidium allein gelassen wurde. Das sehe ich nicht so. Ich habe den Antrag eingebracht und wir haben im Präsidium gemeinsam beschlossen, dass es ihn geben soll.

Wissen Sie ungefähr, wie viele Spieler in Berlin die Rückennummer 88 tragen?
Das war am Samstag auch Thema. Da hat sich niemand gemeldet, der davon weiß. Da habe ich mir gedacht: Wenn die Nummer ohnehin keiner trägt, nehmen wir doch keinem etwas weg, dann kann man sie doch verbieten. Was in einigen Landesverbänden bereits der Fall ist.

Mit welchem Ergebnis endete die Abstimmung?
Sehr knapp gegen den Antrag. 48:52, bei vier Enthaltungen. Eine einfache Mehrheit hätte gereicht. Man kann mit Blick auf das diesmal knappe Ergebnis zumindest sagen, dass wir einen Schritt weitergekommen sind.

Im Vorfeld hatten mir noch Vereine geschrieben, dass sie den Antrag toll finden. In der Diskussion aber waren die Vereine zu still. Daher wirkte es wie eine Debatte zwischen Vereinen und BFV und nicht wie eine zwischen Vereinen. Das müssen wir besser hinbekommen, wenn wir einen organisierten Fußball in Berlin wünschen, der rechtsextremen Übernahmeversuchen gegenüber stabil sein soll. Und ich denke, es lag auch an meiner Person.

48
Ja-Stimmen erhielt der Antrag zum Verbot der Rückennummer 88. Dagegen standen 52 Nein-Stimmen.

Erklären Sie das doch bitte kurz.
Ich war bisher kommissarisch im Amt, viele kennen mich noch nicht. Sie wissen nicht, dass ich ein Kind des Berliner Fußballs bin und unter anderem Junioren-Nationalspieler für Deutschland war.

So wirkt es dann eher wie: Da kommt der im Vergleich mit dem Durchschnitt der Verbandsfunktionäre sehr junge Typ, mit Migrationshintergrund, und stellt wieder diesen Antrag, der vor vier Jahren schonmal abgeschmettert wurde. Dann hat der auch noch einen Doktortitel, das suggeriert sehr viel Bevormundung, wenn man in Schubladen denkt.

Dann ging es gar nicht mehr in erster Linie um das eigentliche Thema?
Die eben genannten Aspekte dürften sehr stark reingespielt haben. Und bei ganz vielen ist es einfach Unwissenheit. Was schlimm genug ist.

Aber mir wurde anschließend unter der Hand gesagt, dass es bei einigen Vereinen besonders im Seniorenbereich schon Spieler gibt, die womöglich als Bekenntnis zu Nazi-Ideologien die Rückennummer 88 tragen. Das werden wir prüfen müssen, aber bezüglich der Sensibilisierung der Vereine und der Sanktionierung haben wir weiterhin keine Handhabe.

Hatten Sie solch große Diskussionen erwartet?
Nein. Ich hatte gedacht, dass die Vereine einfach dafür oder dagegen stimmen. Und sehr gehofft, dass der Antrag durchgeht. Auch weil er für das Hauptamt im Verband, die Abteilung Gesellschaftliche Verantwortung, extrem wichtig gewesen wäre. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war das Ergebnis emotional ein Supergau.

Sie haben oft genug mit den Betroffenen von antimuslimischem und antischwarzem Rassismus, Antisemitismus und Antiziganimus zu tun. Diese Betroffenen sind das gemeinsame Feindbild von Menschen, die aus ideologischen Gründen die Rückennummer 88 tragen.

Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war das Ergebnis emotional ein Supergau.

Özgür Özvatan, BFV-Vizepräsident

Hat der Berliner Fußball ein Problem beim Thema Rechtsextremismus?
Bei den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus hatten wir eine in Teilen gesichert rechtsextreme Partei, die erhebliche Zustimmungswerte bekommen hat. Ein Problem mit Rechtsradikalismus, wenn nicht mit Rechtsextremismus gibt es in der Stadt definitiv.

Und es ist kein Geheimnis, dass Rechtsextreme versuchen, Sport- und insbesondere Fußballvereine zu unterwandern, um ihre Ideologie zu verbreiten. Die Statistiken zur politisch motivierten Gewalt zeichnen ein eindeutiges Bild. Der Anstieg von antisemitischen und antimuslimischen Fällen ist enorm.

Was heißt das Abstimmungsergebnis für den Verband?
Es braucht noch mehr Sensibilisierung. Da werden sich die Vereine nicht drüber freuen. Aber das muss gemacht werden, das ist unsere historische Verantwortung in diesem Land. Von unserer Seite ist es auch ein Frühwarnsystem für die Vereine. Damit sie wissen, was los ist, falls plötzlich mehrere Spieler die Nummer 88 tragen wollen und wie sie mit ihnen arbeiten müssten. Allerdings sehe ich beim BFV ein großes Problem auf uns zukommen.

Inwiefern?
Auch wir werden von den geringeren Etats für Soziales stark betroffen sein und müssen zusehen, wie wir das Personal und die Expertise in der Abteilung Gesellschaftliche Verantwortung aufrechterhalten.

Analytisch ist die Situation heikel: Bei offensichtlich steigenden Herausforderungen auf und neben den Plätzen wird das Angebot des Verbandes reduziert. Das ist ein sozialer Sprengstoff für die Berliner Stadtgesellschaft.

Was wären Ihre Ansätze für dieses Problem?
Eigentlich müssen wir schleunigst am Generationswechsel und der Transformation des Verbandes arbeiten, Stichwort Wandel des Ehrenamts, damit wir als Sportverband unsere so wichtige Funktion für die Berliner Stadtgesellschaft aufrechterhalten oder gar optimieren können. Wir werden dabei leider durch derlei Herausforderungen teilweise ausgebremst.

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