zum Hauptinhalt
Am Freitag trifft Thomas Tuchel mit England auf Albanien.

© IMAGO/Shutterstock/IMAGO/Matt West/Shutterstock

Debüt als England-Trainer: Thomas Tuchel ist nicht zum Singen da

Seine ersten Monate als Englands Nationaltrainer hat Thomas Tuchel mit einer klugen Charmeoffensive souverän gemeistert. Für den Deutschen zählt aber am Ende nur der WM-Sieg im kommenden Jahr. 

Stand:

Singen, oder nicht singen? Das war die Frage. Und am Ende lieferte Thomas Tuchel eine klare Antwort.

Wenn am Freitagabend im Wembley-Stadion „God Save The King“ ertönt, wird der neue Nationaltrainer Englands still bleiben.

Das mag den meisten förmlich egal sein, war für Tuchel aber wichtig zu klären. Denn die Frage mit der Hymne hatte im neurotischen Fußball-England das Zeug, die erste große Krise seiner Amtszeit zu werden – und das schon bei seinem Debüt an der Seitenlinie. Singt er nicht, kommt die blöde Frage um seine Loyalität. Singt er, dann könnte das übertrieben wirken. Als wollte sich der listige Deutsche hier irgendwie einschleimen.

Tuchel löste das Rätsel aber geschickt. Als bekennender Anglophil wusste er doch wohl, dass Demut auf der Insel manchmal Wunder wirkt. Also sagte er vergangene Woche, dass er diese „kraftvolle, emotionale und bedeutsame“ Hymne zunächst nicht singen werde. Und zwar, weil er das Recht dazu sich erst einmal erarbeiten möchte.

Kennen Sie schon unsere Sport-Videos?

Um das zu schaffen, gibt es für den ersten deutschen Trainer der „Three Lions“ wohl nur einen sicheren Weg. Und der lautet: Weltmeister werden. 

Dafür wurde er am Ende geholt. Tuchels erstes Spiel am Freitag gegen Albanien ist gleichzeitig auch der Start in die WM-Qualifikation und damit der erste Schritt Richtung Heiliger Gral. 60 Jahre nach dem Triumph von Wembley sehnt sich das Mutterland des Fußballs mehr denn je nach seinem zweiten großen Titel und wittert bei der WM 2026 die vielleicht letzte Chance einer Goldenen Generation. Tuchel soll das richten, und das weiß er auch. Direkt bei seiner ersten Ansprache soll er der Mannschaft klargemacht haben, dass es um nichts anderes geht als „den zweiten Stern“. 

Für den englischen Verband ist der frühere Bayern-Trainer ein Risiko, nicht nur, weil er auch in England den Ruf eines cholerischen Genies genießt. Er ist auch der erste ausländische Nationaltrainer seit dem Abschied des glücklosen Fabio Capello 2012. Und noch schlimmer: ein Deutscher. „Ein dunkler Tag für England“ titelte die Daily Mail bei seinem Amtsantritt. 

Jene blanke Xenophobie ist zum Glück eher die Ausnahme. Durch die Premier League ist der englische Fußball heute deutlich internationaler ausgerichtet als vor zehn oder zwanzig Jahren. Dennoch steht Tuchel für einen Kurswechsel. Bei seinem Vorgänger Gareth Southgate war der Blick immer eher aufs große Ganze gerichtet. Es ging um Nachhaltigkeit und die Pflege einer neuen Kultur im gesamten Verband. Tuchel hingegen wird streng nach Ergebnissen gemessen. 

Dafür hat er eine gute Basis gelegt. In seinen ersten Monaten hat Tuchel eine Charmeoffensive gestartet. Er hat Prinz William besucht und auch mit seinen Vorgängern Southgate und Lee Carsley gesprochen. Auch mit seiner offenen und aktiven Kommunikation mit den Spielern hat er viele beeindruckt. Seit seinem Amtsantritt soll er mit mehr als fünfzig Profis das direkte Gespräch gesucht haben, um ihre Chancen auf eine Nominierung zu besprechen.

Daraus ist jetzt ein Kader entstanden, der etwas für alle hat. Einerseits wurden erfahrene und zuletzt aussortierte Legionäre wie Jordan Henderson und Marcus Rashford zurück ins Boot geholt. Andererseits gab es auch eine erste Chance für formstarke Debütanten wie Newcastle-Verteidiger Dan Burn und Arsenal-Talent Myles Lewis-Skelly. Am meisten kritisiert wurde die Nicht-Nominierung von Morgan Gibbs-White (Nottingham Forest). Nach der Verletzung von Cole Palmer durfte er am Sonntag dann doch nachreisen. 

So geht Tuchel ohne große Kontroverse in sein erstes Länderspiel als England-Trainer. Und auch intern ist die Stimmung vor dem Spiel gegen Albanien offenbar prächtig. Nach dem ersten Trainingstag am Montag schwärmten die Spieler von dem neuen Chef. „Wir waren alle sehr beeindruckt von seiner Art und seiner Vision. Das konnte man schon sehen, wenn man in der Kabine umgeschaut hat. Die Jungs werden wirklich mitgenommen“, sagte Burn. 

Noch wurde aber kein Ball gekickt. Ob die Vision am Ende zur Realität wird, wird man weder auf dem Trainingsplatz noch am Freitagabend im Wembley erfahren, sondern im Sommer des kommenden Jahres in New Jersey. Dort soll Tuchel die Three Lions im WM-Finale endlich wieder an die Weltspitze führen. Und von der Schwere dieser Aufgabe können viele große Trainer ein Liedchen singen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })