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Der Abstiegskampf hat begonnen: Die Existenz von Hertha BSC in der bekannten Form steht auf dem Spiel
Die Berliner müssen mit einer Situation zurechtkommen, die in ihren Planungen nicht vorgekommen ist. Das macht die Herausforderung für das Team nicht leichter.
Stand:
Stefan Leitl, der Trainer von Hertha BSC, tat, was ein guter Trainer tun muss: Er erkannte die Zeichen der Zeit, bevor alle anderen sie erkannten.
Zehn Minuten waren in Herthas Zweitligapartie bei der SV Elversberg vor der Pause noch zu spielen. Im Stadion an der Kaiserlinde feierte die Heimmannschaft mit ihrem Anhang gerade das Tor zum zwischenzeitlichen 3:0, und Leitl nutzte den allgemeinen Trubel, um sein Team für ein kurzes Impulsreferat zu sich an die Seitenlinie zu zitieren.
Herthas Trainer holte allerdings nicht die Taktiktafel hervor. Er versuchte, seine Mannschaft emotional zu packen. „Ich habe den Appell an die Jungs gerichtet, dass wir diszipliniert bleiben müssen und dass wir nicht auseinanderbrechen dürfen“, berichtete er später.
Es ging schon nicht mehr darum, dem Spiel noch eine irgendwie geartete Wende zu geben. Es ging nur noch darum, Schlimmeres zu verhindern.
Was dem breiten Publikum in der vollen Wucht womöglich erst nach der peinlichen 0:4-Niederlage des Berliner Fußball-Zweitligisten in Elversberg aufgegangen ist, stand Leitl bereits in dieser 37. Minute klar vor Augen: Hertha BSC steckt knietief im Abstiegskampf. Es kann daher nur noch ein Ziel geben: den Absturz in die Dritte Liga mit aller Macht zu verhindern.
Nur noch vier Punkte liegt Hertha vor dem Relegationsplatz. „Mir braucht keiner mehr zu erzählen, diese Saison anständig zu Ende zu spielen“, sagte Herthas Trainer. „Es geht darum, zu punkten, um in dieser Liga zu bleiben.“
Diese Erkenntnis spiegelte sich auch in den Maßnahmen wider, die Leitl in der Pause ergriff. Zum einen nahm er Florian Niederlechner, den einzigen verbliebenen Mittelstürmer, vom Feld. Für ihn kam Routinier Toni Leistner, ein dritter Innenverteidiger, der die Vierer- zur Fünferkette erweiterte.
Zum anderen richtete Herthas Trainer in der Kabine eindringliche Worte an sein Team. „Er hat an die Ehre appelliert, dass wir eines ganz sicher nicht mehr bekommen: ein Tor gegen uns“, berichtete Fabian Reese. Immerhin: Das gelang den Berlinern in der zweiten Hälfte.
Keiner kann es sich mehr schönreden.
Herthas Offensivspieler Fabian Reese über Herthas Tabellensituation
Das Gerede vom Absturz in die Dritte Liga ist jetzt kein billiger Gag mehr auf Kosten von Hertha BSC. Der Abstieg ist inzwischen eine reale Option. „Jedem, dem das vor diesem Spiel nicht klar war, dem ist es jetzt klar“, sagte Reese nach dem 0:4 in Elversberg. „Keiner kann es sich mehr schönreden.“
In der Formtabelle, in der die jeweils letzten fünf Spiele berücksichtigt werden, liegt Hertha bereits zum zweiten Mal nacheinander auf dem letzten Tabellenplatz; in der Rückrundentabelle reicht es gerade noch zu Rang 17 – mit einem Törchen Vorsprung auf den fast sicheren Absteiger Jahn Regensburg, der sich bisher als nur bedingt zweitligatauglich erwiesen hat.

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Ein einziges Tor haben die Berliner in den vergangenen fünf Spielen erzielt; in den beiden Begegnungen unter Leitls Verantwortung noch kein einziges.
Die Defizite im Kader, der immer noch einer der teuersten der Zweiten Liga ist, lassen sich nun nicht mehr kaschieren. 20,5 Millionen Euro hat Hertha im zweiten Halbjahr 2024 fürs Personal ausgegeben. Geht man davon aus, dass ein Großteil davon auf die Profimannschaft entfällt, dürfte dessen Etat bei immer noch mehr als 30 Millionen Euro liegen.
Dem Kader fehlt eine gesunde Struktur
Trotzdem fehlt dem Kader eine gesunde Struktur aus verlässlich verfügbaren Führungsspielern und hungrigen Talenten. Vor allem aber fehlt ihm nach dem Abgang von Haris Tabakovic ein torgefährlicher Mittelstürmer. Dass Hertha darauf nicht wenigstens im Winter reagiert hat, lenkt den Blick auch auf die Verantwortung der sportlichen Führung um Sportdirektor Benjamin Weber und Andreas „Zecke“ Neuendorf, den Direktor Lizenzspielerabteilung und Akademie.
Der neue Trainer muss nun mit den vorhandenen Mitteln zurechtkommen. „Uns war bewusst, dass es eine schwierige Aufgabe wird“, sagte Stefan Leitl nach der Niederlage in Elversberg. „Wir freuen uns auch auf diese Aufgabe.“
Leute, die sich darauf freuen, mögen vermutlich auch Wurzelbehandlungen, Umzüge in eine Altbauwohnung im vierten Stock und die Einweisung in die Notaufnahme des Urban-Krankenhauses samstagnachts um halb drei.
An den nächsten zehn Spieltagen steht nun nicht weniger als die Existenz von Hertha BSC in der bisher gekannten Form auf dem Spiel. „Es sind die Wochen der Wahrheit“, sagte Fabian Reese.
Der Sturz von der Ersten in die Zweite Liga, der die Berliner vor knapp zwei Jahren an den Rand der Insolvenz befördert hat, war für den Klub schon ein gravierender Einschnitt. Aber das wäre ein Kindergeburtstag im Vergleich zu dem, was bei einem Abstieg in die Dritte Liga drohte. 21,6 Millionen Euro Fernsehgeld erhält Hertha in dieser Saison. Eine Klasse tiefer sind es 26,2 Millionen Euro – für alle 20 Drittligaklubs zusammen.
Vieles erinnert an die Saison 2022/23
Die erste Frage, die sich daraus ergibt: Ist sich die Mannschaft dieser Gefahr tatsächlich bewusst? Die zweite: Ist sie den Herausforderungen des Abstiegskampfs auch gewachsen? Nach der ersten Halbzeit in Elversberg muss man daran ernste Zweifel anmelden.
Herthas aktuelle Situation erinnert in vielem an die Abstiegssaison 2022/23 – nur eine Liga tiefer eben. Auch da war die Mannschaft mit einem neuen Trainer in die Spielzeit gestartet. Auch Sandro Schwarz war angetreten, dem Team eine klare Spielidee zu vermitteln, so wie im vergangenen Sommer Cristian Fiél.
Positive Ansätze waren durchaus zu erkennen, doch auch damals fehlte es an entsprechenden Ergebnissen, um den Entwicklungsprozess mit dem nötigen Vertrauen in die Idee des Trainers zu unterfüttern.
Viel zu lange hat Hertha vor zwei Jahren die Gefahr eines Abstiegs ignoriert. Viel zu lange hat die Vereinsführung damals auch an Trainer Schwarz festgehalten.
Diesen Fehler immerhin hat sie diesmal nicht gemacht. Nach vier Niederlagen in Folge hat sich Hertha vor zwei Wochen von Fiél getrennt und ihn durch einen Trainer ersetzt, der zumindest ausreichend Zweitligaerfahrung vorweisen kann – und der in Ingolstadt und Fürth auch schon bewiesen hat, dass er taumelnde Mannschaften vor dem Absturz retten kann.
„Ich bin davon überzeugt, dass wir in der Liga bleiben können, wenn wir hart arbeiten und diszipliniert Fußball spielen“, hat Stefan Leitl nach der Niederlage in Elversberg gesagt.
Bevor er auf Fragen von Journalisten antwortet, nimmt sich Herthas Trainer immer einen Moment Zeit, um kurz zu überlegen. „Dass wir in der Liga bleiben können“ dürfte er daher nicht nur einfach so dahergesagt haben. Offensiv zur Schau getragene Zuversicht ist bei Hertha im Moment einfach nicht angebracht.
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