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Sport: Der Bart muss ab

Deutschlands Handballer werden erstmals Europameister – Bundestrainer Heiner Brand wird dafür seinen Schnauzer lassen müssen

Ljubljana. Pascal Hens, Klaus-Dieter Petersen und Heiko Grimm rutschten auf dem Boden bäuchlings Richtung deutscher Fankolonie, ihre Teamkameraden sangen „We are the champions“ in die verräucherte Luft der Tivoli-Halle von Ljubljana und der Rest animierte die deutschen Fans zu „Oh, wie ist das schön“. Derweil strich sich Heiner Brand vor Glück strahlend über seinen Schnauzbart. Den wird er nicht mehr lange tragen können. Schon vor Tagen hatten die deutschen Handball-Nationalspieler dem Bundestrainer angedroht, im Falle des Gewinns der Europameisterschaft müsse der Bart ab. Nun muss er. Deutschlands Handballer, mit einer fast schon alle Hoffnung raubenden Niederlage in das Turnier gestartet, krönten ihre imponierende Aufholjagd mit dem kaum noch für möglich gehaltenen Titel. 30:25 (16:10) besiegten sie im Finale den Gastgeber Slowenien. „Ein unbeschreibliches Gefühl“, sagte der sonst eher zurückhaltende Brand.

26 Jahre nach dem Weltmeistertitel, den Brand damals in Kopenhagen gegen die Sowjetunion noch mit gewinnen half, und 24 Jahre nach dem Olympiasieg der DDR in Moskau stehen Deutschlands Handballer also wieder auf der höchsten Stufe des Podestes. Die Befürchtung, es könnte nach dem zweiten Platz bei der Europameisterschaft 2002 in Schweden und bei der Weltmeisterschaft im Vorjahr in Portugal wieder nur Silber geben, bestand eigentlich nie. „Wir haben unser Spiel von Anfang an sicher durchgezogen. Ich hatte eigentlich nie Sorge, dass es nicht klappen würde“, sagte Stefan Kretzschmar.

Stefan Kretzschmar? Ja, Deutschlands bester Linksaußen, von seiner Leistenoperation noch nicht vollständig erholt, war eigens aus Deutschland angereist, um die Mannschaft anzufeuern. Er vermied allerdings alles, um dem Team die Schau zu stehlen. Als alle feierten, saß Kretzschmar, mit dicken, silbernen Ohrringen behängt und im Trikot von Petersen („Er ist mein Idol“), im Hintergrund auf einem Stuhl. Markus Baur dagegen, für den wegen seiner Meniskusverletzung das Turnier schon früh beendet war, ließ es sich nicht nehmen, mit seinen Kollegen die Gratulationen entgegenzunehmen. Er hatte ja auch seinen Anteil an dem Triumph.

Den hatten natürlich auch andere. Henning Fritz, der ins All-Star-Team als bester Torhüter gewählt wurde, wenngleich diese Ehre wohl eher anderen wie dem Dänen Kasper Vidt gebührt hätte. Oder Volker Zerbe, als bester Spieler im rechten Rückraum ebenfalls ins Team der Besten gewählt. Fast wäre Florian Kehrmann der dritte gewesen. Ein einziges Tor fehlte ihm, um mit dem besten Torschützen des Turniers, dem Kroaten Mirza Dzomba, gleichzuziehen. Dzomba warf 46 Tore, Kehrmann 45. Und das, obwohl der Lemgoer im Halbfinale gegen Dänemark eine unfreiwillige Auszeit genommen und leer ausgegangen war.

Gestern freilich, als es um alles ging, war Kehrmann der Mann des Spiels, bei elf Versuchen war er neunmal erfolgreich. „Ich habe noch einmal alles aus mir herausgeholt“, sagte Kehrmann. Das hätten auch Daniel Stephan und Pascal Hens sagen können. Beide, wie Kehrmann tags zuvor körperlich am Ende, schienen sich auch für das Spiel der Spiele geschont zu haben. Mannschaftskapitän Stephan warf acht Tore (davon vier per Siebenmeter), Hens sechs.

Heiner Brand, der Meistermacher, machte in diesem einseitigen, dennoch dank der fantastischen Kulisse enorm stimmungsvollen Finale sein Meisterstück. Ausgerechnet Jan- Olaf Immel, gegen die Dänen noch der Mann des Nachmittags, spielte gestern keine einzige Minute – dafür waren die anderen wieder obenauf. Selbst die chaotischen Würfe von Christian Zeitz konnte der Bundestrainer kompensieren. Dass derselbe Zeitz dann aber mit seinem einzigen Tor beim Stand von 21:18 die kurzzeitig aufkeimenden Hoffnungen der Slowenen erstickte, war kurios. Doch nicht Lamentieren, sondern Feiern war angesagt. Auch bei den tausenden Slowenen, die in der letzten Minute des Spiels aufstanden und singend den Untergang ihrer Mannschaft erlebten. Sie wussten: Gegen diese Deutschen hatte ihr Team von Anfang an keine Chance gehabt. Doch sie erwiesen sich als faire Verlierer. Was diesen Abend noch erfreulicher machte.

Klaus Rocca

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