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Deutsche Halbzeitbilanz bei Vierschanzentournee: Die Überflieger sind mal wieder andere
Bereits nach der zweiten Veranstaltung stehen die Chancen auf einen deutschen Sieg schlecht. Und das, obwohl der vermeintliche Schicksalsberg in Innsbruck noch wartet.
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Für gewöhnlich sorgt vor allem die dritte Veranstaltung der Vierschanzentournee für große Enttäuschungen bei den deutschen Skispringern. Der Bergisel in Innsbruck hat schon häufiger dafür gesorgt, dass Träumereien vom großen Coup sprichwörtlich vom Tiroler Wind verweht worden sind.
In diesem Jahr allerdings stehen die Chancen schon jetzt ziemlich schlecht, ehe am Sonnabend (13.30 Uhr/ARD und Eurosport) dieser Wettkampf überhaupt beginnt.
Dass Pius Paschke als bester Deutscher auf Rang sechs liegt und der Rückstand auf den Führenden Daniel Tschofenig aus Österreich bereits 25,3 Punkte beträgt, ist eine große Enttäuschung. Vor allem angesichts der Tatsache, dass er in diesem Winter bereits fünf Weltcup-Springen gewonnen hat und im Gelben Trikot in die Tournee gestartet war. Die Weltcup-Gesamtführung ist seit dem Neujahrsspringen ebenfalls futsch.
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Sven Hannawald, der 2002 als letzter deutscher Springer nach den vier Springen triumphieren konnte, hat eine solche Entwicklung keinesfalls kommen sehen. Allerdings weiß er aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, den Schwung aus der ersten Saisonphase über die Weihnachtstage in die herausfordernde Tournee mitzunehmen.
Das Gelbe Trikot kann eine Bürde sein
„Ein bisschen die Seele baumeln zu lassen, ist ja auch für einen Skispringer eine tolle Sache“, sagt Hannawald dem Tagesspiegel. „Aber das ist auch der Grund, warum so selten Springer, die im Gelben Trikot nach Oberstdorf angereist sind, am Ende auch die Tournee gewonnen haben.“

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In den letzten zehn Jahren gab es genau zwei Springer, die als Gesamtweltcup-Führende später auch die Tournee gewonnen haben. Sowohl Petr Prevc in der Saison 2015/2016 als auch der Japaner Ryoyu Kobayashi 2018/2019 hatten jeweils eine Ausnahmeform mit 15 beziehungsweise 13 Siegen am Ende des Winters. „Wenn du in einer Form bist, in der du alles dominierst, kannst du diesen Bruch wettmachen, weil du einen größeren Vorsprung hast“, sagt Hannawald.
Einen solchen Überflieger gibt es in diesem Jahr nicht, eher sind es die Österreicher als gesamtes Team. Hinter Tschofenig belegen Jan Hörl und Stefan Kraft aktuell die Plätze zwei und drei. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Springer, die sich in der ersten Weltcup-Phase eher zurückgehalten haben, um beim Höhepunkt auch dank eines Kniffs beim Material ins Rampenlicht zu fliegen. Eine solche Überraschung ist bislang komplett ausgeblieben.
„Es gibt ein klares Bild, was die neue limitierte Anzugsregel betrifft“, sagt Hannawald, dementsprechend gebe es keine Nation in diesem Jahr, „die All-in geht und einen neuen Anzug bringt, der vielleicht grenzwertig ist“.
Experte Hannawald sieht keinen Schicksalsberg
Diese Regel komme den Deutschen und Österreichern zugute, weil es mehr Absprungkraft braucht, um mit dem Anzug ins Fliegen zu kommen. „Sobald mehr Stoff zugelassen wird, kommen die Flieger wieder mehr zum Zug.“ Norwegen und Slowenien seien zum Beispiel typische Fliegernationen.
Natürlich hoffen die deutschen Springer, dass sie ausgerechnet in Innsbruck wieder näher an die Österreicher herankommen. Karl Geiger, der beim Neujahrsspringen als bester Deutscher Sechster wurde, gibt sich trotzig. „Es ist nicht unmöglich. Man muss erstmal acht Sprünge runterbringen“, sagt er zu den bisher so starken Auftritten des ÖSV-Teams.
Im Grund genommen bewahrheitet sich aber nun, was viele Experten prognostiziert haben. Der frühere Bundestrainer Werner Schuster hatte im Interview mit dem Tagesspiegel bereits über die hohe Qualität in seinem Heimatland gesagt: „Keine Nation hat einen solch großen Nachschub an Talenten. Diese Talente schieben die etablierten Springer an, so ergibt sich eine extreme Teamdynamik. Die Jüngeren und die schon Erfahreneren schaukeln sich gegenseitig hoch.“
Wenn es am Bergisel einmal mehr nicht wie erwünscht läuft für die deutschen Springer, wird es kaum an der Konstruktion dieser Schanze liegen. „Ich hasse das mit dem Schicksalsberg“, sagte Hannawald nach dem zweiten Springen in seiner Funktion als ARD-Experte. Die Besonderheiten dieser Schanze beträfen „jeden Springer aus dem ganzen Feld, der in der Nähe ist, eventuell beim Tourneesieg mitsprechen zu wollen“. Wahrscheinlich war bereits Garmisch-Partenkirchen der diesjährige Schicksalsort der deutschen Hoffnungen.
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