zum Hauptinhalt
Thomas Müller ärgert sich nach seiner verpassten Torchance.

© Christian Charisius/dpa

Update

Die Ära von Joachim Löw ist zu Ende: Deutschland scheitert im EM-Achtelfinale mit 0:2 an England

Es ist vorbei: Für Joachim Löw endet die Amtszeit als Bundestrainer mit einer Niederlage gegen England im Achtelfinale der Europameisterschaft.

Der Fußball schien sich eine wirklich nette, ach was, eine geradezu wahnwitzige Pointe ausgedacht zu haben. Thomas Müller war auf dem Weg zu seinem ersten Tor bei einer Europameisterschaft. Ausgerechnet jetzt. In seinem 15. EM-Spiel bei seiner dritten EM-Endrunde würde es endlich passieren. Müller lief nach einem Pass von Kai Havertz allein auf Jordan Pickford, den Torhüter der Engländer, zu. Niemand konnte ihn jetzt noch aufhalten.

Und einen besseren Zeitpunkt hätte es nicht geben können. 0:1 lag die deutsche Nationalmannschaft im Wembleystadion gegen England zurück, es waren nur noch zehn Minuten zu spielen.

Aber es sollte nicht sein. Müller, vor der EM in die Nationalmannschaft zurückgeholt, setzte den Ball links am linken Pfosten vorbei. „Das muss man halt auch mal akzeptieren“, sagte Bundestrainer Joachim Löw, für den Müllers Fehlschuss die gravierendsten Folgen hatte.

Denn Statt 1:1 hieß es kurz darauf 2:0 (0:0) für die Engländer – nachdem deren Kapitän Harry Kane, anders als Müller, seinen ersten Treffer im Turnier erzielt hatte. Und so endete am Dienstagabend in London für die deutsche Nationalmannschaft nicht nur die Europameisterschaft schon im Achtelfinale. Es endete auch eine Ära auf der Trainerbank.

Um 18.51 Uhr Ortszeit war die Zeit von Joachim Löw als Bundestrainer endgültig abgelaufen. Nach 198 Spielen und insgesamt 15 Jahren im Amt. Joshua Kimmich weinte. Löw legte sein Sakko über den Arm und verschwand in den Katakomben.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Manuel Neuer, den Kapitän, befiel schon kurz vor dem Schlusspfiff ein Gefühl von Wehmut. Er blickte Richtung Trainerbank. „Das ist schon ein trauriges Gefühl, als ich Jogi gesehen habe“, sagte er. „Er ist einfach ein klasse Mensch. Dass es so zu Ende geht, ist schon auch traurig.“

Beiden Teams war die Achtung vor dem jeweils anderen anzumerken

Dem großen Triumph mit dem Titelgewinn bei der WM 2014 folgten drei Turniere, in denen die Nationalmannschaft, mal mehr, mal weniger, hinter den Erwartungen zurück blieb. Die EM 2016 endete im Halbfinale, 2018 war bei der WM schon nach der Vorrunde Schluss und diesmal im Achtelfinale. „Wir hätten uns was anderes erhofft“, sagte Löw. „Es tut mir leid, dass die große Begeisterung im Land dahin ist.“

Drei Änderungen hatte der Bundestrainer an seiner Startelf vorgenommen. Zwei von ihnen waren erwartet worden, eine kam etwas überraschend. Müller und Leon Goretzka rückten für Leroy Sané und Ilkay Gündogan ins Team. Außerdem ersetzte Timo Werner in der Offensive den bisher glücklosen Serge Gnabry.

Joachim Löw gratuliert Englands Trainer Gareth Southgate zum Sieg.
Joachim Löw gratuliert Englands Trainer Gareth Southgate zum Sieg.

© REUTERS/John Sibley

Mehr Tiefe erhoffte sich Löw von den Wechseln. Die Idee war gut und richtig, und sie ging zumindest punktuell auf. Die Deutschen begannen sehr schwungvoll. Sie attackierten sehr hoch, angeführt von Müller, der mit rudernden Armen den ballführenden Engländer anlief. Kai Havertz ließ sich aus der offensiven Dreierreihe immer wieder nach hinten fallen, um im Aufbau eine Überzahl im Mittelfeld zu schaffen. Sein Zuspiel in die Tiefe war es, das nach einer guten halben Stunde die beste Chance für die Gäste einleitete. Timo Werner scheiterte jedoch aus aussichtsreicher Position an Pickford.

[Verfolgen Sie die EM hier im Live-Blog]

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Engländer vor 45.000 Zuschauer die Angelegenheit schon deutlich besser in den Griff bekommen. Beiden Teams war die Achtung vor dem jeweils anderen anzumerken. Englands Trainer Gareth Southgate war sogar von seinem bewährten System mit Viererkette abgegangen und hatte das deutsche 3-4-3 gespiegelt. Es ging um viel. Manche behaupteten sogar, dass es sich bei diesem Spiel bereits um das vorgezogene Halbfinale handelte.

Die Engländer hatten bei ihren Angriffen erneut einen Sicherheitsgurt angelegt. So war von Mittelstürmer Kane lange wenig zu sehen. In der ersten Hälfte kam er auf gerade mal eine Handvoll von Ballkontakten. Aber ein exzellenter Stürmer zeichnet sich dadurch aus, dass er geduldig auf seinen Moment wartet und dann eiskalt zuschlägt.

Bei Kane schien dieser Moment wenige Sekunden vor der Pause gekommen zu sein: als er den Ball an Neuer vorbeilegte und das deutsche Tor in seiner vollen Pracht vor sich hatte. Doch Mats Hummels rettete mit einer Grätsche in höchster Not. Allein für diese Rettungstat hat sich seine Wiedereingliederung in die Nationalmannschaft gelohnt.

Für England endeten 55 Jahre voller Schmerzen

Auch nach der Pause hatten die Deutschen die erste gute Chance. Havertz versuchte es von der Strafraumgrenze, der Schuss kam jedoch recht mittig aufs Tor, so dass Pickford den Ball über Latte lenken konnte. Die Gäste blieben die bestimmende Mannschaft, dazu überzeugten sie mit seriöser Defensive. Und doch schafften sie es auch im vierten Spiel der EM nicht, ohne Gegentor zu bleiben.

Harry Kane feiert sein Tor.
Harry Kane feiert sein Tor.

© Andy Rain / POOL / AFP

Eine Viertelstunde vor Schluss leitete Raheem Sterling auf der rechten Seite mit einem kurzen Sprint einen viel versprechenden Angriff ein. Über Kane landete der Ball bei Luke Shaw, der von links flach in die Mitte passte, wo Sterling bereits angelangt war und das 1:0 erzielte. Es war Sterlings drittes Turniertor – und das dritte der Engländer.

„Beide Mannschaften haben sich ein bisschen neutralisiert“, sagte Toni Kroos. „Aber das 1:0 hat natürlich alles verändert.“

Die Deutschen versuchten nach dem Rückstand alles, sie hatten durch Müller die riesige Chance zum Ausgleich – und kassierten schließlich noch das 0:2. Der Jubel der englischen Fans in Wembley war groß. Über den Einzug ins Viertelfinale. Aber auch über das Ende so vieler Jahre voller Schmerzen. 55 Jahre hatte es für die Three Lions bei großen Turnieren keinen Sieg mehr gegen die Deutschen gegeben. Nach dem Schlusspfiff sangen sie: „Football’s coming home.“

Zur Startseite