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Die Begeisterung in England über den EM-Titel ist riesig: Englische Fans schwenken Fahnen, während sie auf die Ankunft ihrer Fußballnationalmannschaft am Trafalgar Square warten.

© dpa/James Manning

„Die Welt feiert mit den Lionesses“: Die Bedeutung des EM-Titels ist riesig in England

Der Titel der Engländerinnen ist ein Sieg für den gesamten englischen Fußball und hat eine enorme Begeisterung entfacht.

Einige Minuten nach dem Abpfiff stand Chloe Kelly erschöpft vor der Kamera der BBC und wurde nach ihren Emotionen gefragt. Da es der Siegtorschützerin schwer fiel, diese in Worte zu fassen, drehte sie sich einfach kurz um. „Just look at ’em“, sagte sie. Schaut die Leute doch einfach mal an. Denn sowohl bei den fast 90.000 Zuschauern auf den Rängen als auch auf dem Platz ließ man seinen Emotionen freien Lauf. Englands Kapitänin Leah Williamson weinte vor Freude. In der Trafalgar Square und in Manchester Piccadilly tanzten Tausende bei den Public Viewings. Auf der Pressekonferenz stürmten die Spielerinnen den Raum und sangen „Football's Coming Home“.

Wie Trainerin Sarina Wiegman dort betonte, hatte ihre Mannschaft mit ihrem 2:1-Sieg im EM-Finale Geschichte geschrieben. Die 56 Jahre des Schmerzens waren vorbei, und England hatte endlich wieder einen großen Titel im Fußball gewonnen. Wie schon beim legendären Finale der Männer-WM 1966 hatten sie im heimischen Wembley-Stadion in der Verlängerung gegen den alten Lieblingsrivalen Deutschland gesiegt.

Dass man die alte Titel-Dürre ausgerechnet in diesem Stadion gegen ausgerechnet diesen Gegner beendet, war schon immer der Traum eines jeden englischen Fußballfans. Doch nur wenige hätten wohl damit gerechnet, dass die Frauen das als erste schaffen würden.

Als sie zum letzten Mal in einem Finale standen, verloren die Engländerinnen als krasser Außenseiter gegen die Übermacht aus Deutschland. Diesmal starteten sie selbst als Favoritinnen in den Tag. Als die Nacht fiel, waren sie schon Legenden.

„Roarsome!“

Am Montagmorgen war der Triumph der Lionesses allgegenwärtig auf der Insel. Jede Zeitung – sogar die sonst so seriöse Financial Times – hatte ein Bild der Spielerinnen auf der ersten Seite. „Roarsome!“ titelte die Daily Star. „Es war kein Traum, wir haben die Deutschen tatsächlich in einem Finale besiegt!“, schrieb die Daily Mail.

Der Guardian bezog sich eher auf die größere Bedeutung für den Fußball der Frauen, lobten die EM-Heldinnen als „Game Changers“. Wie immer bei solchen Anlässen war auch ein wenig englische Selbstüberschätzung dabei. „Die Welt feiert mit den Lionesses“, sagte eine Kommentatorin kurz nach Schlusspfiff in der BBC.

In einer Kneipe in Nordwales bejubelten aber nur wenige Zuschauer den Sieg. An der Bar bestellte ein schottischer Tourist eine Portion Pommes und erzählte dem Wirt, dass er immer gegen England ist, egal in welcher Sportart.

Ein Triumph für die ganze Welt oder gar für die ganze Insel war es also nicht, dafür aber sehr wohl ein äußerst wichtiger Triumph für die Zukunft des Fußballs in England. Wie in Deutschland schalteten mehr als 17 Millionen Zuschauer im Fernsehen ein, und wie in Deutschland hofft man, dass sich diese plötzliche Popularität als nachhaltig erweisen wird. „Sie haben für viele Mädchen und Frauen heute und auch für künftige Generationen ein Beispiel gesetzt“, schrieb die Queen in ihrer offiziellen Gratulationsbotschaft.

Der gesamte englische Fußball profitiert von dem Titel

Doch nicht nur der Fußball der Frauen dürfte von diesem Sieg profitieren, sondern der englische Fußball insgesamt. Denn es hat sic gezeigt, dass man mit kluger Investition, langfristiger Planung und Fachleuten an den richtigen Stellen eine titelfähige Mannschaft bauen kann.

In einem hart umkämpften Finale zeigten sie auch genau jene Tugenden, die so vielen englischen Mannschaften in der Vergangenheit gefehlt hatten. Die Cleverness, eine Führung über die Zeit zu bringen, und die kämpferische Hartnäckigkeit in der Verlängerung.

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Letzteres strahlte vor allem die erfahrene Jill Scott aus, deren profane Tirade Richtung Sydney Lohmann in der Verlängerung sofort zu einem der ikonischsten Momente in der Geschichte des englischen Fußballs wurde. Scott wurde mit ihrer Einwechslung übrigens zur ersten englischen Fußballspieler oder Fußballspielerin überhaupt, die zweimal in dem Finale eines großen Turniers gespielt hat.

Allein das spricht Bände über die Bedeutung dieses Sieges für das Mutterland des Fußballs. Ob bei den Männern oder bei den Frauen: große Endspiele waren in der Geschichte der Nationalmannschaft eine Rarität, und Titel so gut wie unbekannt.

Das ist seit Sonntag aber anders. Am Tag danach pilgerten in London schon wieder tausende Fans zum Trafalgar Square, um unter der Statue von Lord Nelson ihre Mannschaft zu feiern. „England erwartet, dass jeder Mann seine Pflicht erfüllt“, hat der alte Admiral vor einem seiner glorreichen Seesiege im 18. Jahrhundert gesagt. Am Ende waren es aber die Frauen, die geliefert haben.

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