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Der Berliner Justus Aust (li.) hat das erste Mal an der Seite seines Vaters am Kickertisch gestanden.

© LUKAS PIECHOWSKI

Die Tischfußball-Szene in Berlin: Vom Kneipenspiel zum Hochleistungssport

Das Kickern ist seinem Kneipen-Image längst entwachsen und erfordert neben dem Spaß Strategie und mentale Stärke. Dennoch kann es jeder spielen und die Möglichkeit, schnell aufzusteigen, ist groß.

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Es gibt im Internet eine Webseite, auf der sich Tischfußballer und Tischfußballerinnen über ihre witzigsten Momente beim Kickern – wie Tischfußball umgangssprachlich heißt –, austauschen. Da liest man von Bällen, die in Gläsern oder Ausschnitten landen oder von Frauen, die Männer beim Spiel abzocken.

Diese lustigen Einblicke lassen vergessen, dass der Sport längst über sein Kneipen-Image hinausgewachsen ist und es in Deutschland eine sehr aktive Vereins- und Ligastruktur gibt. Trotzdem stehen noch immer viele Kicker-Tische in Kneipen, meist fangen dort Karrieren an, die teilweise bis hoch in die Weltklasse führen.

Auf diese Weise hat auch die amtierende Weltmeisterin Linh Tran ihre Leidenschaft fürs Kickern in einer Hamburger Kneipe entdeckt. Der Berliner Justus Aust hingegen hat das erste Mal an der Seite seines Vaters am Kickertisch gestanden. „Ich habe mit meinem Vater bei einem Vater-Kind-Turnier in unserem Viertel gespielt“, erzählt Aust. „Mein damaliger Gegner hat mich dann zum Verein geholt. Da war ich 13 oder 14. Seitdem spiele ich im Verein Cubs Berlin und trainiere im New Way. Das ist ein Jugendclub am Nordbahnhof.“

In Berlin hat sich über die Jahre eine lebendige Kicker-Gemeinschaft entwickelt. 2006 gründete sich der Tischfußballverband Berlin (TFVB), der Ranglistenturniere und Ligen organisiert. Präsident Wieland Hagen freut sich über den wachsenden Zuspruch, bemerkt aber auch, dass die Coronazeit dem Berliner Kickersport einen empfindlichen Dämpfer verpasst hat. „Vor Corona hatte Berlin 750 registrierte Spieler*innen, aktuell sind es um die 500.“ Auch er bestätigt, dass der Sport sich aus den Kneipen heraus entwickelt und es trotz der Schwierigkeiten mittlerweile 50 Teams in 14 Vereinen und vier Ligen in Berlin gibt.

Ein bekannter Berliner Treffpunkt für Kicker-Fans ist die „Tante Käthe“ in Prenzlauer Berg. Mit mehreren professionellen Tischen, regelmäßigen Ligaspielen und offenen Turnieren donnerstags und freitags zieht die Kneipe sowohl Anfänger als auch Profis an.

In der Siemensstraße in Moabit stehen in einer Halle zehn Kickertische, wo Frauentraining, Hochschulsport und junge Spielerinnen und Spieler eine Heimat gefunden haben. Der Verein „Kickerfrende Berlin“ ist dort zu Hause und hat sich zum Ziel gesetzt, den Sport in der Hauptstadt zu fördern und vor allem auch barrierefrei zu gestalten. Mit regelmäßigen Veranstaltungen und Turnieren trägt der Verein maßgeblich zur lebendigen Kicker-Kultur Berlins bei.

Es braucht Taktik und mentale Stärke

Die Ursprünge des Tischfußballs sind bis heute nicht eindeutig geklärt. Belegbare Patente weisen einen Engländer als Erfinder des Tischfußballs aus: Harold S. Thornton meldete am 14. Oktober 1922 ein Gerät mit Drehstangen beim Patentamt an. Allerdings weisen andere Dokumente darauf hin, dass es bereits 1863 einen Kicker-Verein in Sheffield gab. Mehr als hundert Jahre später, 1967, wurde die erste Deutsche Meisterschaft durch eine Initiative der Bildzeitung ausgetragen.

Ich muss in der Lage sein, den Gegner zu beobachten, muss seine präferierten Ecken erkennen und für mich nutzen.

Justus Aust, Tischfußballer aus Berlin

Die Faszination des Kickerns liegt darin, dass man sich dem Sog nicht entziehen kann. Es ist ein bisschen wie mit einem Ball – man muss einfach damit spielen. Für die, die dranbleiben und das Sportive darin entdecken, kommen noch andere Faktoren hinzu. Der Berliner Aust sagt: „Mich fasziniert die Vielseitigkeit. Man braucht technische Grundfähigkeiten, Taktik und mentale Stärke. Ich muss in der Lage sein, den Gegner zu beobachten, muss seine präferierten Ecken erkennen und für mich nutzen. Und manchmal muss man psychisch wirklich stark sein.“

Das bestätigt auch Wieland Hagen vom TFVB. „Tischfußball ist ein bisschen wie Schach und Pokern zusammen. Es ist nah, es ist roh, häufig auch ein Psychokrieg, bei dem man dem Gegner immer einen Schritt voraus sein muss“; so Hagen.

Wer da bestehen will, braucht eine Kombination aus Geschicklichkeit, Strategie und Teamarbeit. Eine gute Hand-Augen-Koordination, schnelle Reaktionen, taktisches Verständnis.

Das Gute ist, so Hagen, dass es jeder spielen kann. Und dass die Möglichkeit, relativ schnell an die Spitze aufzusteigen, groß ist. „Linh Tran hat 2014 angefangen und stand 2019 schon auf Platz zwei der Weltrangliste. Ich kenne keinen Sport, bei dem das so schnell geht.“ Auch für Justus Aust ist der Weltmeistertitel ein Ziel, das er noch in diesem Jahr erreichen will.

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