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Sport: Die zweite Heimat

Kevin-Prince Boateng droht: Ich würde auch für Ghana spielen! Er wäre nicht das erste Talent, das dem DFB entgeht

Stand:

Kevin-Prince Boateng kann sich also vorstellen, für Ghana zu spielen. Ein bisschen überrascht hat der Mittelfeldspieler von Hertha BSC damit schon. Boateng, 20, gilt als ja großes Talent, er spielt für die deutsche U 21. Dennoch könnte der Sohn eines Ghanaers und einer Deutschen für die Afrikaner spielen. Bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres darf er sich noch entscheiden, sofern er bis dahin noch kein A-Länderspiel gemacht hat. Wahrscheinlich war Boateng einfach nur sauer und wollte Bundestrainer Joachim Löw provozieren, weil der ihn noch nicht nominiert hat. Er wäre nicht das erste Talent – auch andere deutsche Profis haben sich gegen Deutschland entschieden.

Der Zweifler

Adil Chihi hat schon einmal seine Heimat gewechselt. Als 15-Jähriger verließ er Fortuna Düsseldorf und wechselte in die Jugend des 1. FC Köln. Mit 17 Jahren spielte er bei der U20-Weltmeisterschaft in den Niederlanden für Marokko. Nach seinen ersten drei Zweitligaspielen, reiste er nach Marokko, um zu erklären, warum er für Deutschland spielen will. „Wir waren uns eigentlich einig, dass Adil am 14. November 2006 sein erstes Länderspiel für Deutschland machen sollte“, sagte U-19-Nationaltrainer Frank Engel. Letztlich entschied sich Adil wieder um. „Ich hatte ein Gespräch mit Adils Vater. Er hat dem Jungen nun doch geraten, für Marokko zu spielen“, sagte Kölns Manager Michael Meier. „Und der Vater ist in der marokkanischen Kultur die letzte moralische Instanz.“ Der Vater war noch im August einverstanden, dass Adil für Deutschland spielt. Laut Meier hatte sogar der Botschafter des Landes bei Familie Chihi vorgesprochen. Nun scheint die Entscheidung endgültig. Obwohl Chihi noch kein A-Länderspiel für Marokko absolviert hat – und mit 19 Jahren noch jung genug ist, um zu wechseln.

Der Grenzfall

Willi Lippens wurde 1945 in Kleve geboren, an der Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden. Bis heute ist er ein Grenzfall geblieben. „In Deutschland war ich kein richtiger Deutscher, und in Holland war ich kein richtiger Holländer“, hat er dem Tagesspiegel einmal gesagt. Er ist Sohn eines Holländers und einer Deutschen. Lippens hätte gern für Deutschland gespielt – und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wollte ihn auch. „Der Bundestrainer Helmut Schön hat sieben oder acht Mal bei mir angerufen“, sagt er. Aber Lippens konnte nicht, sein Vater stellte sich dagegen. „Dann bräuchte ich nicht mehr nach Hause zu kommen, hat er mir gesagt.“ Schließlich spielte der wegen seines watschelnden Gangs „Ente“ gerufene Stürmer 1971 für die holländische Auswahl. Beim 6:0 gegen Luxemburg erzielte Lippens zwar ein Tor – dennoch war die Partie ein Desaster für Lippens. „Ich bin rauf und runter gerannt, aber die anderen Spieler ignorierten mich.“ Wegen seines deutschen Geburtsorts, glaubt Lippens. Und weil er in Deutschland spielte. In der Bundesliga brachte er es auf 242 Einsätze für Rot-Weiss Essen und Borussia Dortmund, dabei erzielte er 92 Tore.

Die Stolzen

Im Oktober 2005 spielen die Deutschen in Istanbul gegen die Türkei. Das 1:2 ist an diesem Abend nicht die einzige Niederlage, die der DFB einstecken muss. Insgesamt kommen bei den Türken fünf Spieler zum Einsatz, die in Deutschland geboren sind. Die beiden Debütanten Halil Altintop aus Gelsenkirchen und Nuri Sahin aus Lüdenscheid erzielen prompt beide Tore. Sahin hatten die Funktionäre bis zum letzten Augenblick vor dem Länderspiel versucht umzustimmen und für die deutsche Mannschaft zu begeistern. Der DFB hatte seine Trainer Michael Skibbe und Jörg Daniel zu Sahins Eltern geschickt. Vergeblich. „Ich habe kurz darüber nachgedacht, für Deutschland zu spielen“, sagte Sahin. „Aber nachdem die Türken bei mir angerufen haben, habe ich sofort bei den Deutschen abgesagt.“

Der Deutsche

Ilhan Mansiz spielte ebenfalls auf der Seite der Türkei. Er musste sich jedoch gar nicht erst gegen Deutschland entscheiden: Der Junge aus dem Allgäu war lange nicht gut genug für die DFB-Späher. Mit Anfang 20 versauerte er in der Landesliga bei Türk Gücü München, bis er in die Türkei nach Ankara ging. Nach einem halben Jahr kam er zurück nach München. „Ankara war ein Kulturschock für mich“, sagte er später. „Für die Leute in Ankara war ich der Deutsche, der mit den langen Haaren und dem Ring im Ohr.“ Erst beim zweiten Versuch setzte er sich in der Türkei durch: Bei Besiktas Istanbul wurde er mit Mitte 20 Torschützenkönig und Frauenschwarm. Bei der Weltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea wurde er zum Nationalheld: Im Viertelfinale gegen Senegal schoss er das Golden Goal in der 94. Minute – bis heute das wichtigste Tor in der türkischen Länderspielgeschichte. Die deutsche Öffentlichkeit wunderte sich damals über den bayerisch-schwäbischen Dialekt des Stürmers. 2004 nahm ihn Hertha BSC unter Vertrag, doch Mansiz scheiterte und ging zurück in die Türkei. In seiner Heimatstadt Eskisehir ist eine Straße nach ihm benannt worden. In seiner Geburtsstadt Kempten nicht.

Der Exot

Bei Rainer Rauffmann klopfte nie der DFB an. Abstieg mit Blau-Weiß 90, Eintracht Frankfurt und Bielefeld, solide Zweitligajahre in Meppen, irgendwann war sein Ruf daheim hinüber. Dennoch wurde er 1998 erfolgreichster Torschütze Europas – 42 Tore erzielte er in seinem ersten Jahr für Omonia Nikosia. In sieben Jahre erzielte Rauffmann in 152 Ligaspielen sagenhafte 181 Tore und wurde in den ersten vier Jahren jeweils Torschützenkönig. 2002 erhielt Rauffmann die zyprische Staatsbürgerschaft, die es ihm ermöglichte, für die zyprische Nationalmannschaft aufzulaufen. So spielte er 2002 und 2003 fünf Mal während der EM-Qualifikation und erzielte drei Tore. Wegen eines Knorpelschadens beendete er im Mai 2004 seine aktive Karriere. Bei seinem Abschiedsspiel im Juli feierten ihn die Fans mit Standing Ovations und „Trellos Germanos“-Sprechchören. Das heißt so viel wie „Der verrückte Deutsche“. Rauffmann sagt heute: „Das war das beste, was mir passieren konnte.“

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