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Doppelter Rassismus-Eklat: „Wir müssen an das Verhalten der Massen und die Strukturen des Fußballs ran“
Nach den rassistischen Vorfällen im DFB-Pokal stellt sich erneut die Frage: Wie soll der Fußball reagieren? Ein Fankultur-Forscher erklärt, warum es nun auf die Fans selbst ankommt.
Stand:
Die Reaktion auf rassistische Vorfälle in einem Fußballstadion folgt in nahezu allen Fällen immer ein und demselben Muster. Schon während des laufenden Spiels macht sich Empörung breit, nach Abpfiff melden sich die ersten Vereinsvertreter mit Entschuldigungen, schließlich folgen laute Forderungen nach Sanktionen, öffentliche Appelle und letzten Endes ein Statement des DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf.
Genau so lief es auch am Sonntag und Montag nach der ersten Runde des DFB-Pokals ab, bei der es zu mehreren rassistischen Vorfällen kam.
Beim Duell zwischen Lok Leipzig und Schalke 04 wurde Schalke-Profi Christopher Antwi-Adjej rassistisch beleidigt, beim Gastspiel des 1. FC Kaiserslautern bei Pokaldebütant RSV Eintracht in Potsdam passierte einem Wechselspieler des FCK das Gleiche. „Rassismus und Diskriminierung, Hass und Ausgrenzung haben im Fußball keinen Platz. Wir stehen für Vielfalt und Respekt“, sagte Bernd Neuendorf am Montag und kündigte Ermittlungen durch den DFB-Kontrollausschuss an.
Für Prof. Dr. Harald Lange, Leiter des Lehrstuhls für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg, ist eine solche Stellungnahme sicherlich nicht zu kritisieren. Für Lange, der seit 2012 umfangreich zur Fankultur im Fußball forscht, bleiben solche Appelle allerdings auf einer symbolischen Ebene. „Wir müssen einen Schritt weitergehen. Wir müssen an das Verhalten der Massen, an das Verhalten der, in Anführungszeichen, vielen Einzeltäter und an die Strukturen des Fußballs ran.“
Auf die beiden rassistischen Vorfälle gab es unterschiedliche Reaktionen seitens des Publikums. Während es in Potsdam nach einer Durchsage des Stadionsprechers von beiden Fanlager „Nazis raus“-Sprechchöre gab, der mutmaßliche Täter später ausfindig gemacht und aus dem Stadion verwiesen wurde, folgten auf die Spielunterbrechung in Leipzig mitsamt einer Stadiondurchsage hingegen Pfiffe, sobald Antwi-Adjej den Ball berührte – bis die 120 Minuten Spielzeit vorbei waren.
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„Diese Situation kann man nicht wegstecken und das werden wir auch nicht, wir werden sie auch nicht kleinreden lassen. Zur Situation selbst und zum Wording kotz‘ ich mich an, weil wir immer verharmlosen, mit sogenannten Einzelpersonen“, hatte Schalkes Trainer Miron Muslić unmittelbar nach Abpfiff gesagt. „Das ganze Stadion hat ein Gefühl gehabt, warum das Spiel unterbrochen ist und das ganze Stadion hat gepfiffen. Das ist keine Einzelperson.“
Der Amateurfußball bietet mehr Gelegenheiten für Rassismus
Für Harald Lange sind solche Vorfälle schon lange nicht mehr auf einzelne Personen zurückzuführen. „Es ist aus meiner Sicht ein generelles Problem in der Gesellschaft, aber im Fußball ganz besonders“, meint der 57-Jährige. „Es fällt zurzeit vor allem deshalb im Amateurfußball auf, weil dieser natürlich viel, viel größer ist als der Profifußball und es viel mehr Gelegenheiten gibt, dass so etwas passiert.“ Alarmierend sei dabei, dass Rassismus flächendeckend vorkomme, sowohl in Bundesliga-Mannschaften als auch in Kreisliga-Teams.
Letztlich ist kein Stadion davor gefeit, am nächsten Spieltag Mittelpunkt solcher Diskussionen zu sein.
Harald Lange, Fan-Forscher
Das Problem sei zudem auch kein exklusives in Leipzig oder anderen Städten im Osten. Vielmehr verlagere es sich im Verlauf der Jahre nur in unterschiedliche Regionen. „Letztlich ist kein Stadion davor gefeit, am nächsten Spieltag Mittelpunkt solcher Diskussionen zu sein. Auch dann nicht, wenn es die letzten zwei Jahre keine Grenzüberschreitung gegeben hat“, erklärt Lange.
Umso wichtiger sei Fanarbeit, etwa die der aktiven Fanszenen, die immer bestimmte Werte vertreten, die sich meistens mit denen des Vereins decken. „Solche Werte sichern, dass das Spiel Fußball gelingt, indem alle mitspielen dürfen und niemand unfair behandelt wird“, erklärt Lange.
Daher sei nun gerade die Fanszene in Leipzig gefragt, die „bundesweit in der Kritik und am Pranger steht“, die richtigen Schlüsse zu ziehen, indem man auf Ausreden verzichte und die Problematik im Vereinsumfeld erkenne und sich ein solcher Vorfall nicht wiederholt.
Doch auch unregelmäßige Stadiongänger sind in Sachen Prävention gefordert. Als Vorbild kann dabei die Reaktion in Potsdam dienen. Für Lange gehe es darum, unmittelbar nach einer solchen verbalen Entgleisung Verantwortung zu übernehmen und die „Übeltäter zu denunzieren, sichtbar zu machen und auszupfeifen“.
Potsdam ist ein Vorbild für andere Fanszenen
Oftmals schrecken Fans aus Angst vor physischer oder verbaler Gewalt davor zurück, sich den Tätern entgegenzustellen. Eine Unterstützung könnten dabei laut Lange Ordner und Polizei darstellen, „aber die beste Unterstützung, die in solchen Fällen hilft, ist das Bewusstsein und die Haltung der Masse“.

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Dass man genau wisse, dass ein solches Verhalten im Stadion untragbar sei, Maßnahmen ergreift und dabei sicher sein kann, sofort die Unterstützung anderer Fans zu erhalten. „Und dann sind wir an dem Punkt, wo man eine Verbindung zwischen diesen Anti-Rassismus-Kampagnen und Appellen, all dieser Symbolpolitik, und dem konkreten Verhalten im Stadion herstellen kann.“
Damit Fans im Stadion dieses Selbstvertrauen erlangen, brauche es eine glaubhafte, authentische Klimaveränderung, die durch Initiativen zustande kommt, welche eine solche Haltung wie die in Potsdam sichtbar machen. „Hinter diesem Verein und seiner Fan-Kultur, die sehr wertesicher ist, steht nun ein großes Ausrufezeichen. Und diese Fälle müssen wir uns genauso anschauen, weil dort die Lösung drin liegt.“
Nämlich die, in der Emotionalität eines Fußballspiels nicht auf Appelle und Symbolpolitik zu setzen, sondern vielmehr darauf, dass die richtige Reaktion aus der Fankultur selbst kommt.
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