
© dpa/Tom Weller
Ein besonderes Spiel für den VfB-Stürmer in Istanbul: Die vielen Lügen über Deniz Undav
Deniz Undav hat kurdische Wurzeln – und wird in der Türkei mit irrwitzigen Behauptungen konfrontiert. Was wird ihn am Donnerstag mit dem VfB Stuttgart in Istanbul erwarten?
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Ob Deniz Undav am Donnerstag (18.45 Uhr) in Istanbul in der Startelf des VfB Stuttgart stehen wird? Vermutlich eher nicht. Der Stürmer hatte zuletzt sieben Wochen wegen einer Knieverletzung gefehlt; am vergangenen Wochenende durfte er in Wolfsburg rund 25 Minuten spielen. Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten in der Offensive – etwa Bilal El Khannouss oder Tiago Tomás – fehlt ihm noch etwas die Spritzigkeit.
Vielleicht gibt es aber auch außersportliche Gründe, die Trainer Sebastian Hoeneß dazu bewegen könnten, Undav im Europa-League-Gruppenspiel zunächst auf der Bank zu lassen. Deniz Undav hat kurdisch-jesidische Wurzeln – und ist damit in vielen Fußballstadien der Türkei nicht besonders beliebt.
Hinzu kommt, dass Undav sich, als die Entscheidung anstand, ob er für Deutschland oder für die Türkei spielen wolle, für Deutschland entschieden hat. Seine Begründung: „Ich wusste, dass ich bei zwei, drei schlechten Spielen für die Türkei komplett durchbeleidigt worden wäre.“
Das kam in der Türkei nicht überall gut an. Fairerweise muss man sagen: Menschen mit kurdischer Abstammung haben es in der Türkei ohnehin schwer. Diskriminierung begegnet ihnen überall – auch in den Fußballstadien.
Besonders Klubs aus dem Südosten der Türkei sind Anfeindungen ausgesetzt. Bestes Beispiel ist Amed SK, der Verein aus dem südanatolischen Diyarbakır, einer Stadt mit überwiegend kurdischer Bevölkerung.
„Seit dem Tag seiner Gründung ist Amedspor überall unterschiedlichen Formen von Gewalt und Rassismus ausgesetzt. Das betrifft nicht nur die Fans, sondern auch die Spieler“, sagte Mahsum Kazıkçı, Präsident der Fangruppe Ultramed, vor einigen Jahren dem Deutschlandfunk.
Rassistische Sprechchöre und tätliche Angriffe gegnerischer Fans begleiteten lange Zeit die Spiele von Amedspor. Immerhin: In jüngerer Vergangenheit ist es etwas ruhiger geworden.
Es gibt Vorschläge für eine versöhnliche Kurdenpolitik
Offene Diskriminierung gegen Kurden passt derzeit nicht zum politischen Kurs der Türkei. Seit etwa einem Jahr wird über einen neuen Friedensprozess diskutiert. Die PKK hat im Frühjahr dieses Jahres ihre Waffen niedergelegt, im Parlament wurde eine Kommission gebildet, die Vorschläge für eine neue Kurdenpolitik erarbeiten soll.
Und dennoch: „Lockerungen im Umgang mit dem Thema gibt es bisher nicht“, sagt Amke Dietert, Türkei-Expertin von Amnesty International, dem Tagesspiegel. Das spürten auch Journalistinnen und Journalisten, besonders solche mit kurdischen Wurzeln.
„Ihnen wird bei kritischer Berichterstattung schnell Propaganda für eine Terrororganisation oder – noch schlimmer – die Mitgliedschaft in einer solchen vorgeworfen.“ In weiten Teilen der Türkei ist man noch weit entfernt von einer gesellschaftlichen Akzeptanz der Kurden.
Undav bekommt Hass im Netz zu spüren
Das bekommt sogar Deniz Undav zu spüren – obwohl er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und beim VfB Stuttgart Fußball spielt.
Als im August dieses Jahres ein Bericht der türkischen Zeitung „Fotospor“ erschien, wonach Fenerbahçe Istanbul an einer Verpflichtung von Undav interessiert sei, wurde dies in vielen Internetforen abschätzig kommentiert.
Die meisten Kritiker störten sich dabei weniger an Undavs sportlicher Leistung als an seiner Herkunft. Für Diskussionen sorgte, dass „Fotospor“ ihn als Spieler „kurdistanstämmiger Abstammung“ bezeichnete. Ein Nutzer empörte sich: „Was bedeutet ‚kurdistan-stämmig‘? Ein Kurde ist ein Kurde! (…) Ständig tauchen neue Erfindungen auf.“
Schon im vergangenen Jahr, als der VfB Stuttgart bei Real Madrid antrat, kursierten die abenteuerlichsten Geschichten rund um das Spiel. So hieß es etwa, Reals türkischer Nationalspieler Arda Güler habe sich geweigert, Deniz Undav nach der Partie die Hand zu geben – eine Lüge, ebenso wie die Behauptung mancher Internetnutzer, Undav stehe in Verbindung mit der PKK. „Deniz Undav ist PKK-Sympathisant und bestreitet das nicht“, schrieb ein User auf Reddit. „Soll Arda ihm danken, dass er widerliche Killer unterstützt?“
Die vielen Lügengeschichten über Deniz Undav fanden auch bei einigen Fenerbahçe-Fans Anklang – jenem Klub, gegen den Undav und der VfB im Şükrü-Saracoğlu-Stadion bestehen müssen. Schon der Namensgeber der Arena verrät einiges über den Verein: Mehmet Şükrü Saracoğlu war in den 1940er-Jahren türkischer Ministerpräsident mit ausgeprägt nationalistischer Haltung.
Ein Teil der Fenerbahçe-Fans passt in dieses Raster. Andererseits scheuen sich die Anhänger des Klubs nicht, ihrem Unmut über politische Zustände Luft zu machen. So protestierten viele Fener-Fans lautstark gegen das Krisenmanagement der Regierung nach dem schweren Erdbeben 2023 in der Türkei.
Vor allem aber sind die Fans von Fenerbahçe für ihre fanatische Fußballleidenschaft bekannt. Sie verwandeln das Şükrü-Saracoğlu-Stadion regelmäßig in einen wahren Hexenkessel. Und wer weiß – vielleicht treibt gerade diese Atmosphäre Deniz Undav zu Höchstleistungen an.
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