
Sport: Ein Verrückter und kaum Alternativen Stuart Pearce will England
auch bei der EM führen.
Die Zeit ist äußerst knapp. Englands Interimscoach Stuart Pearce bleiben am Mittwoch in Wembley wohl genau 90 Minuten gegen die Niederlande, um sich als Nationaltrainer auch für die EM zu empfehlen. „Ich habe meinen Vorgesetzten gesagt, dass ich die nötige Erfahrung mitbringe, falls sie mich im Sommer brauchen sollten“, sagte der 49-Jährige, der bis vor Kurzem als U-21-Trainer und Assistent des zurückgetretenen Fabio Capello tätig war. „Ich glaube nicht, dass ich schon erfahren genug bin, das Nationaltraineramt dauerhaft auszuüben, aber ich könnte problemlos die EM übernehmen.“
Warum traut sich Pearce die Hochdruckbegegnungen gegen Frankreich, Schweden und die Ukraine bei der EM zu, aber nicht 15 Monate WM-Qualifikation gegen Gegner wie Moldawien und San Marino? Grund ist wahrscheinlich gar nicht Bescheidenheit oder mangelnder Ehrgeiz – eher die Einsicht, dass der beim Volk als „Psycho“ beliebte, aber auch belächelte Patriot nicht dem Anforderungsprofil des Verbandes FA entspricht. Jugendnationalspieler berichten, dass seine Leidenschaft für die englische Sache mitunter in übermotiviertes Brüllen ausarte. Die Zeitungen sind zurzeit voll mit schrecklich-schönen Anekdoten aus seiner Profizeit, in denen der beinharte Linksverteidiger mit gnadenlosem Körpereinsatz selbst eigene Mitspieler das Fürchten lehrte. Der gelernte Elektriker wuchs in der Nähe des Nationalstadions auf, als Jugendlicher sah er den US-Motorradhelden Evel Knievel dort über 13 Omnibusse springen und schwer verunglücken. „Aber er stand wieder auf, wie alle wahren Männer“, erzählte Pearce dem „Observer“. FA-David Bernstein präferiert weiterhin Tottenham Hotspurs Trainer Harry Redknapp als Nationalcoach. Vereins-Chef Daniel Levy weiß allerdings, dass dem Verband Alternativen fehlen und will viel Geld sehen.
Pearce übernimmt ein Team, dem wie bei England üblich Strukturen und eine übergeordnete Spielidee fehlen. Zudem verzichtet er heute freiwillig auf die Routiniers Frank Lampard und Rio Ferdinand, nach dem Ausfall von Wayne Rooney (Halsentzündung) und Sturmpartner Darren Bent (Bänderriss im Sprunggelenk) hat er keine Profis nachnominiert. Die jungen Angreifer Danny Welbeck (21, Manchester United), Daniel Sturridge (22, Chelsea) und Frazier Campbell (24, Sunderland) erwecken nicht unbedingt das Vertrauen der geplagten Fußballnation, die zudem weiter rätselt, auf welcher Position Steven Gerrard – letztes Länderspiel: November 2010 – das Beste aus seinen Fähigkeiten machen kann.
Am Dienstag verschob Pearce überraschend die Bekanntgabe seines neuen Kapitäns. Die Öffentlichkeit vernahm es achselzuckend. Auf die eine Leerstelle mehr kommt es momentan auch nicht an.