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„Bei Postecoglou ist nix mit Kuschelkurs“: Thomas Broich über seine Zeit unter dem Trainer von Tottenham Hotspur
Im Interview spricht Thomas Broich über seinen früheren Trainer Ange Postecoglou, der mit Tottenham Hotspur im Finale der Europa League auf Manchester United trifft.
Stand:
Herr Broich, was war die heftigste Beleidigung, die Ange Postecoglou Ihnen an den Kopf geworfen hat?
Keine Beleidigung, aber wir hatten mal einen heftigen Disput. Da war er nicht happy mit meiner Körpersprache nach einer Auswechslung. Am nächsten Tag hat er mich zu sich geholt und gesagt: „Pass auf! Wenn du mir gegenüber noch einmal so respektlos auftrittst, wirst du keine einzige Minute mehr für diesen Klub spielen.“ Und ich war damals wirklich sein wichtigster Spieler.
Hätte er das tatsächlich durchgezogen?
Postecoglou ist wirklich straight. Er ist so, so, so, so sehr bei sich, das ist total krass. Wenn jemand divenhaft unterwegs war, hat er ihn nicht mehr eingesetzt, egal wie wichtig der Spieler war. Niemand war größer als die Idee oder die Mannschaft oder wie auch immer man das nennen mag. Ich hab‘ das geliebt.
Hatten Sie sich denn überhaupt respektlos verhalten?
Nicht in seine Richtung. In dem Spiel hatte ich mir das Schlüsselbein angebrochen, trotzdem weiter gespielt, in diesem verletzten Zustand zwei Tore vorbereitet, dann aber auch mit einem Fehlpass ein Gegentor verschuldet. Direkt danach wurde ich ausgewechselt.
Die Auswechslung war lange vorbereitet, hatte also mit meinem Fehlpass nichts zu tun. Aber in meinem Kopf war halt: „Was soll der Scheiß? Ich mache einen Fehler und muss sofort runter.“ Ich war mit der Welt unzufrieden, habe das zur Schau getragen und the Boss hat das nicht geliked.
War er das: der Boss?
Aber so was von. Postecoglou ist wirklich sehr autoritär. Da ist nix mit Kuschelkurs oder Spielerbonding. Als er nicht mehr unser Trainer war, haben wir alle erst mal aufgeatmet. Das war schon ein extremes High-Performance-Klima, das dich als Spieler ganz schön schlaucht. Aber im Nachgang merkst du, wie besonders das ist. Die Australier oder Engländer nennen das tough love: Ich bin so streng zu dir, weil ich es gut mit dir meine.
Postecoglou war über den Fußball hinaus ein Lehrer für uns, ein Life-Coach, wenn man so will. Gerade in diesen Haltungsthemen war er sehr klar: Wie hart muss man zu sich selber sein? Welche Ansprüche hat man? Bei ihm hieß es: No Bullshit! Keine Ausreden! Findet eine Lösung!
Ich habe nie jemanden erlebt, der mutiger war und konsequenter in seinem Handeln. Für ihn gibt es keinen Plan B.
Thomas Broich
Wie ist die Mannschaft damit umgegangen?
Du hast ja keine Wahl. Das war halt sein Stil. Wenn es super läuft und du merkst, dass du auch individuell davon profitierst, wenn die Mannschaft so gut wird, dann hinterfragst du das auch gar nicht mehr. Das ist dann in Ordnung – auch wenn du dir manchmal ein bisschen mehr Nachsicht oder Nähe wünschst.
Sie sind unter Postecoglou mit Brisbane Roar zweimal Meister in Australien geworden. Trotzdem hat er der Mannschaft gesagt: Ich habe euch ausgesucht, weil ihr ein Haufen Loser seid.
Das war, als es schon relativ gut lief. Da hat er gesagt: „Guckt mal, wo ihr hergekommen seid – und wo ihr jetzt seid.“ Er wollte, dass wir das wertschätzen. Aber er hat tatsächlich Spieler gesucht, die noch etwas zu beweisen hatten.
Er wollte keine satten Jungs, die in Australien ihre Karriere noch ein bisschen austrudeln lassen oder nur des Lifestyles wegen ins Land gekommen waren. Er hat Leute bewusst aus Sackgassen rausgeholt. Leute, bei denen er gesehen hat: Da brennt ein Feuer, da ist eine Leidenschaft, eine Liebe zum Fußball. Da ist noch Hunger, da ist die Gier, es allen zeigen zu wollen. Das war ihm total wichtig.
War er ein Typ, den man gut lesen konnte?
Gar nicht. Dadurch, dass er so emotionslos rüberkommt und eigentlich immer sehr, sehr ernst wirkt, war es sogar eher schwierig. Selbst wenn er total happy mit einem war, hat man ihm das nicht schon aus zehn Meter Entfernung angesehen. Einmal hat er uns auch ziemlich hopsgenommen.
Wie das?
Postecoglou hat die Spiele immer unabhängig vom Ergebnis beurteilt. Das Resultat kommt zustande, weil wir eben Sachen gut oder schlecht machen. Einmal haben wir zur Pause 4:0 geführt. Wir kommen in die Kabine, und du merkst: O, Shit, der hat keine gute Laune. Und dann macht er uns richtig rund. Bei uns gehen die Köpfe runter, alle denken: What the fuck…!
Aber dann fängt er an zu lachen, sagt: „Hey, Leute, macht euch mal locker! Ihr spielt gerade die Sterne vom Himmel. Das ist überragend.“ Den Scherz hat er sich einfach gegönnt.

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Was zeichnet Postecoglou als Trainer aus?
Seine Kompromisslosigkeit. Ich habe nie jemanden erlebt, der mutiger war und konsequenter in seinem Handeln. Für ihn gibt es keinen Plan B. Es war immer klar: Wir spielen diese Art von Fußball, und den spielen wir in der ersten Minute, in der dreißigsten und in der vierundneunzigsten Minute. Den spielen wir gegen den Tabellenersten und gegen den Tabellenletzten. Den spielen wir auswärts und zu Hause und egal, wie das Wetter ist oder der Platz. Wir bleiben bei uns.
Und an Tagen, an denen es nicht klappt, üben wir halt unseren Fußball. Weil wir besser werden, wenn wir auch mal an Grenzen stoßen und uns an Widerständen abarbeiten müssen. Das hat mich nachhaltig geprägt.
Wir waren dem Gegner immer gefühlt zwei, drei Schritte voraus. Wir wussten, was kommen wird, hatten Mechanismen, auf die wir uns verlassen konnten.
Thomas Broich über seine Zeit unter Postecoglou
Was sind die Grundzüge dieses Fußballs?
Sein Fußball war angelehnt an den FC Barcelona in seiner Hoch-Zeit mit Xavi, Iniesta, Messi und so weiter. Er wollte, dass wir genauso spielen, und seine Ansage war recht lapidar: „Ist es so schwer, Pässe über sieben, acht Meter aneinander zu reihen? Helft euch, lasst den Ball zirkulieren, baut überall Dreiecke auf, zeigt euch!“
Jeder musste permanent anspielbar sein und wenn wir den Ball verlieren, muss ein Blitz durch die Mannschaft zucken, und wir müssen uns den Ball so schnell wie möglich wiederholen. Wir wollten das Spiel komplett beherrschen. Dazu brauchen wir den Ball.
Wenn Sie sich ein Spiel von Tottenham anschauen: Woran erkennen Sie, dass Postecoglou der Trainer ist?
Es ist nicht mehr eins zu eins das, was wir damals gespielt haben. Man merkt zum Beispiel, dass er ganz anders mit den Außenverteidigern umgeht. Die sind so was wie Joker-Spieler und tauchen quasi überall auf. Postecoglou nennt das: eliminate the fullback. Der Außenverteidiger kann seine Position einfach aufgeben.
Sein Credo war: Lasst uns unseren eigenen Weg gehen. Lasst uns was ausprobieren, was nie einer für möglich gehalten hat.
Thomas Broich
Sonst ist es dieses total Mutige, das Offensive, dieses Zocken, no matter what. Das ist immer noch da. Obwohl die Spurs so eine Katastrophen-Saison spielen, hatten sie bis vor kurzem immer noch eine der besten Offensiven der Liga. Das Problem ist, dass sie so viele Gegentore schlucken.
Ich weiß wirklich nicht, wie das so schiefgehen konnte. Das kann er sich wahrscheinlich selbst nicht erklären. Postecoglou ist die letzten 15 Jahre nur erfolgreich gewesen, er hat immer oben mitgespielt, und eigentlich hat es sich auch in Tottenham super angelassen. Aber auf einmal hast du so eine total verkorkste Saison in der Liga. Total strange.
Sie haben wirklich keine Ahnung, woran es liegt?
Ich habe zu wenig gesehen, um mir ein profundes Urteil erlauben zu können. Ich bin auch ein bisschen ratlos. Dass Postecoglou mit seiner Mannschaft in der Liga auf Platz 17 liegt, das kann ich mir eigentlich gar nicht vorstellen.
Was passiert da? Ist das jetzt so eine Freak-Season, wo alles gegen dich läuft? Oder ist das tatsächlich ein belastbarer Trend, und die sind gerade einfach wirklich nicht besser? Da kommen schon auch ganz fiese Fragen, selbst bei mir. Es scheint gerade so ein Negativmomentum im Verein zu geben, das es ihnen nicht ermöglicht, in der Liga frei aufzuspielen. In der Europa League ist es ja anders.
Da hat er mit Tottenham das Finale gegen Manchester United erreicht. Was ist das Geheimnis seines Erfolges?
Dass er die Welt im Sturm erobern will, würde ich sagen. Sein Mut. Sein Glaube, Dinge für möglich zu halten, obwohl jeder sagt: Es geht nicht. Er hat immer von the road less traveled gesprochen, von der Straße, die sonst keiner befährt.
Das war sein Credo: Lasst uns unseren eigenen Weg gehen. Lasst uns was ausprobieren, was nie einer für möglich gehalten hat. Wenn wir immer nur auf ausgetretenen Pfaden laufen, wissen wir, wo wir maximal rauskommen können. Da war dann aber auch schon jemand vor uns.
Methodisch war er einfach gigantisch. Egal, was der Gegner anbietet: Wir haben immer Lösungen. Wir verstehen dieses Spiel.
Thomas Broich
Die Widerstände dagegen hat er eingepreist. Das hat ihn nicht angefochten. Egal! Wir machen unser Ding. Wir halten als Gruppe zusammen. Und wir halten die Standards hoch. Das ging schon bei den Warmlaufrunden los. Am Anfang habe ich mich gefragt: Sprinten wir uns hier warm?
Aber im Training war es halt so: Jetzt brennt‘s hier zwei Stunden, und wenn wir fertig sind, hat jeder alles auf diesem Platz gelassen. Seine Überzeugung war: Wenn wir so arbeiten, ist der Erfolg nicht zu vermeiden.
Sie haben mal erzählt, dass er Ihnen das Fußballspielen beigebracht hat. Was haben Sie damit gemeint?
Er hat Strukturen geschaffen und eine Art von kollektivem Spielverständnis bei uns eingepflanzt, sodass die Dinge auf dem Platz so einfach schienen. Wir waren dem Gegner immer gefühlt zwei, drei Schritte voraus. Wir wussten, was kommen wird, hatten Mechanismen, auf die wir uns verlassen konnten.
Für mich war krass, dass Fußball so gut erklärt, so gut analysiert und dann eben auch vermittelt werden konnte. Methodisch war das einfach gigantisch. Egal, was der Gegner anbietet: Wir haben immer Lösungen. Wir verstehen dieses Spiel.
Bei ihm hieß es: No Bullshit! Keine Ausreden! Findet eine Lösung!
Thomas Broich
Würden Sie so weit gehen, dass Sie den Fußball durch Postecoglou noch mal neu kennengelernt haben?
Ja, komplett. Ich habe vorher nie mit einem Trainer gearbeitet, der so eine Art von Fußball bauen konnte. Eigentlich verrückt, das zu sagen. Da kommt, übertrieben ausgedrückt, eine australische Hammerwerfer-Truppe, und du sagst denen: Wir spielen jetzt wie Barça. Im Grunde total bescheuert.
Natürlich hat er das nicht wortwörtlich so gesagt, aber er hat immer wieder den Bezug zum Barça-Fußball hergestellt. Und weil wir Brisbane Roar waren, hat die Presse das irgendwann aufgenommen und uns Roarcelona getauft.
Würden Sie Postecoglou gerne mal in der Bundesliga sehen?
Saugerne.
Würde das funktionieren?
Natürlich funktioniert das. Nur weil er jetzt mal eine schlechte Saison hat …

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Die Frage galt eher seinem Auftreten und seiner speziellen Art.
Am Ende musst du es über Ergebnisse regeln. Und das ist ihm bis auf dieses Jahr in der Premier League eigentlich immer gelungen. So wehrst du dich gegen Kritik. Du hast immer die Wahl: Reagier ich auf Kritik? Oder bin ich so überzeugt von meiner Idee, dass ich daran festhalte? In fast allen Fällen hat es geklappt.
Es ist ja irre, wie er die Ligen zerlegt hat, selbst in Japan, obwohl er die Sprache nicht beherrscht hat. Er hat diese Gabe, einfach dranzubleiben. Deshalb bin ich super gespannt, was jetzt in Tottenham passiert. Der Verein hat Jahrzehnte nichts gewonnen, aber nach dieser ultraschlechten Saison kannst du jetzt noch einen großen Titel holen und wieder in die Champions League einziehen.
Was, glauben Sie, wird Postecoglou seinen Spielern vor dem Finale gegen Manchester United sagen?
Das ist hochspekulativ. Aber nach allem, was ich weiß, würde ich sagen: Bleibt euch einfach treu. Dieser Fußball, dieser Glaube hat uns genau hierher gebracht. Wir werden nichts anders machen. Und wenn wir unseren Scheiß gut machen, ist es egal, was der Gegner macht. Wir werden das Ding ziehen.
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