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Ein Foto Pelés ist auf einer Leinwand in Frankreich zu sehen.

© AFP / AFP/Nicolas Tucat

Erinnerungen an Pelé: Als der Mond die Welt verdeckte

Pelé sagte einst, es sei leichter, eine Karriere zu beginnen als zu beenden. Unser Autor erinnert sich an die größten Momente der Fußballikone und einen emotionalen Abschied.

Von Hartmut Scherzer

Pelé  weinte bitterlich. Der Himmel über New Jersey öffnete seine Tränen-Schleusen. Auch die Fußballstars, unter ihnen Franz Beckenbauer, hatten feuchte Augen, als sie den Vergötterten auf die Schultern hievten und vor 75.646 gerührten Zuschauern durchs Giant Stadium trugen. In der Kabine brauchte Pelé ärztlichen Trost, so sehr war ihm der Abschied aufs Gemüt geschlagen. „Ich bin heute ein bisschen gestorben“, schluchzte er mit seiner tiefen Stimme. Da war er 36 Jahre alt.

Pelé spielte je eine Halbzeit für die beiden Vereine seiner Karriere, für seinen Heimatklub FC Santos (1956-1974) und seinen Krösusklub Cosmos (1975-1977): Er schoss zum Abschied sein 1281. Tor und vermachte sein legendäres Trikot mit der zehn jenem Mann, Waldemar de Brito mit Namen, der ihn als Elfjährigen in dem ärmlichen Ort Tres Coracoes in Brasilien entdeckt hatte.

Doch es sollte noch nicht das allerletzte Hurra gewesen sein. Als Beckenbauer drei Jahre später, am 24. September 1980, Cosmos, New York und Amerika „bye, bye“ sagte, zog Pelé ihm zu Ehren als „Spezial Guest Player“ für „Franz Beckenbauer’s Farewell Game“ gegen eine Auswahl aus der National Soccer League noch einmal das Trikot mit der 10 an. Pelé schoss vor 71.413 Besuchern sein 1282. Tor und gab endgültig sein letztes Hemd her.

Pelé und Franz Beckenbauer verband eine Freundschaft.
Pelé und Franz Beckenbauer verband eine Freundschaft.

© Imago Images/Colorsport

Unter dröhnendem Applaus des Publikums hängte Pelé bei seinem Abgang nach 42 Minuten das Trikot mit der Nummer 10 Franz Beckenbauer um den Hals. „Er ist der wunderbarste Sportler, den ich je kennengelernt habe“, sagte Beckenbauer. Die Wertschätzung beruhte auf Gegenseitigkeit. Pelé sagte über Beckenbauer: „Franz ist der genialste Spieler der Welt.“

Eine Saison lang hatten Pelé und Beckenbauer noch zusammen bei Cosmos gespielt. Gegeneinander in einem offiziellen Spiel aber nur ein einziges Mal: Beim 2:2 im Länderspiel am 14.Dezember 1968 in Rio de Janeiro. Pelé schoss kein Tor.

„Es ist viel einfacher, eine Karriere zu starten, als sie zu beenden“, klagte Pelé bei seinem New Yorker „Farewell“. Womit die Rückblende in das Jahr 1958 und die Weltmeisterschaft in Schweden angeknipst ist. Pelé schoss das 1:0 im Viertelfinale gegen Wales, vollbrachte beim 5:2 gegen Frankreich im Halbfinale einen Hattrick und erzielte im Endspiel in Stockholm zwei Tore zum 5:2-Sieg gegen Schweden. Sechs Tore, eines schöner, kunstvoller, akrobatischer, trickreicher, wuchtiger als das andere.

 „Es ist viel einfacher, eine Karriere zu starten, als sie zu beenden.“

Pelé

Als Kapitän Bellini aus der Hand des schwedischen Königs die goldene Fifa-Trophäe entgegennahm, Brasilien mit Traumfußball und einem Wunderknaben im sechsten Anlauf erstmals Weltmeister geworden war, weinte der Teenager hemmungslos vor Glück. Bei der Titelverteidigung 1962 in Chile wurde Pelé in der Vorrunde durch einen Muskelriss außer Gefecht gesetzt. Beim Finale 1970 in Mexiko schoss er ein Tor zum 4:1-Sieg gegen Italien und wurde zum dritten Mal Weltmeister.

Zwischen seinem Profidebüt mit 15 Jahren beim FC Santos und dem Karriere-Ende mit 36 in New York liegt ein historisches Datum: Der 19. November 1969, an dem Pelé sein 1000. Tor erzielte.

Als sich der spätere „Weltfußballer und Sportler des 20. Jahrhunderts“ der magischen Marke bis auf einen Treffer genähert hatte, wurde alles arrangiert, dass dieses Ereignis nicht irgendwo in der Provinz stattfand, sondern als gigantische Show im Maracana von Rio de Janeiro. 100.000 Zuschauer wollten Zeuge des historischen Tores beim Spiel FC Santos gegen Vasco da Gama sein.

Nach dem Finalsieg gegen Italien bei der Weltmeisterschaft in Mexico wird Pelé umjubelt. 
Nach dem Finalsieg gegen Italien bei der Weltmeisterschaft in Mexico wird Pelé umjubelt. 

© imago/Horstmüller

Die 78. Minute: Pelé wurde im Strafraum zu Fall gebracht. Ein Foul. Schiedsrichter de Lima zeigte auf den Elfmeterpunkt. „Pelé, Pelé, Pelé“ brüllten die Massen. Pelé trabte heran. Es wurde mucksmäuschenstill im Stadion.

Die lauten Rundfunkreporter flüsterten nur noch. Pelé lief an, schoss. Torwart Andrade stürzte in die falsche Ecke und der Ball flog ins Netz. In dieser Minute läuteten Tausende Glocken in Brasilien. Ein Schrei aus Millionen Kehlen: „Goooooooal!“

Der Autor und Schriftsteller Hans Blickensdorfer brachte in seinem Jahresrückblick 1969, dem Jahr der Landung von Apollo 12 auf dem Erdtrabanten, das Pelé-Märchen auf den Punkt: „Der 19. November war der Tag, an dem der Fußball für 90 Millionen Brasilianer den Mond verdeckte.“ 

Auf den stets freundlichen Pelé , zu dessen Bilanz auch zwei gescheiterte Ehen und sieben Kinder gehören, wartete 2016 der vielleicht größte und ergreifendste Auftritt ohne Ball: Die Entzündung des Olympischen Feuers in Rio de Janeiro. Der 75-Jährige sagte aber nach zwei Operationen an Hüfte und Wirbelsäule seine Teilnahme an der Eröffnungsfeier ab.

Anders als der von der Parkinson-Nervenkrankheit schwer gezeichnete Ali, der 1996 in Atlanta zitternd  die Olympische Flamme entzündete hatte und 2012 in London kurz die Olympische Fahne „mitgetragen“ hatte, obwohl er allein nicht mehrlaufen konnte, wollte Pelé sich nicht auf Krücken der Welt präsentieren.

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