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Siegerinnenfaust: Bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen holte Antje Buschschulte Bronze über 200 Meter Rücken.

© Kay Nietfeld/dpa

Ex-Schwimmerin Antje Buschschulte: „Die DDR war nicht nur wegen des Dopings erfolgreich“

Antje Buschschulte ging in den Osten, als es sonst niemand tat. Im Interview spricht sie über Träume, verpasste Chancen und typische Reflexe aus dem Westen.

Antje Buschschulte wurde in West-Berlin geboren. Die heute 40-jährige Schwimmerin gewann Gold bei Welt- und Europameisterschaften sowie olympisches Bronze, später promovierte sie in Neurobiologie. Sie ist mit Ex-Schwimmer Helge Meeuw verheiratet, mit dem sie drei Töchter hat.

Frau Buschschulte, träumen Sie heute noch nachts vom Schwimmen?
Oh ja, ich träume ganz häufig davon! Das war wahrscheinlich emotional so aufwühlend und hatte so viele Höhen und Tiefen, dass man gut davon träumen kann.

Was genau träumen Sie?
Ich habe schon ein paar Mal den Start verpasst. Der totale Horror ist dann, dass man sein Finale verpasst bei einer großen Meisterschaft, weil man sonst was gemacht hat – das ist mir in echt aber nie passiert.

Haben Sie auch schon bestimmte Rennen nachgeträumt?
Ja, tatsächlich. Dass man irgendwo vorne liegt zum Beispiel. Oder wie man sich dabei im Wasser fühlt.

Können Sie diese Rennen dann noch zuordnen?
Es ist nicht so, dass ich sagen kann: Das war jetzt genau der Wettkampf. Manchmal träume ich auch einfach nur von dem Zoff in der Mannschaft, den wir früher ab und zu hatten.

Obwohl Ihre aktive Karriere jetzt mehr als zehn Jahre her ist, arbeitet da also etwas weiter in Ihnen.
Auf jeden Fall. Aber es sind bestimmt mehr gute als schlechte Träume, die ich vom Schwimmen habe. Es ist eben eine Zeit gewesen, die so intensiv war, dass man sie auch nie verliert – selbst wenn man irgendwann ganz alt ist.

Sie haben in Neurobiologie promoviert und sich damit beschäftigt, wie das Gehirn funktioniert. Haben Sie sich auch mit Träumen beschäftigt?
Das, was die Neurowissenschaften gut betrachten können, sind meistens die weniger komplizierten Gedankengänge. Da schaut man sich zum Beispiel elektrische Ableitungen von den Aktivitäten der Nervenzellen an. Aber das ist ja durch die Schädeldecke immer alles sehr grob. Dass man sich komplexe Gedanken wie einen Traum anschaut, so weit sind wir da immer noch nicht.

Roter Teppich: Antje Buschschulte ist mit ihrem früheren Schwimmkollegen Helge Meeuw liiert.
Roter Teppich: Antje Buschschulte ist mit ihrem früheren Schwimmkollegen Helge Meeuw liiert.

© Stephanie Pilick/dpa

Kann man sich nicht mit den Gedanken von schlafenden Menschen befassen?
Es gibt Schlafforschung, klar. Das ist dann häufig im medizinischen Interesse. Wenn jemand Schlafstörungen hat, dann sieht man sich die Schlafphasen an und schaut, was da so passiert. Das geht schon, aber dann weiß man trotzdem nicht, was die Leute träumen. Außer sie erzählen es einem. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass die Digitalisierung uns dorthin bringt.

Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, in Neurobiologie zu promovieren?
Meiner Meinung nach ist das Gehirn das interessanteste unserer Organe. Das macht uns Menschen doch zum größten Teil aus. Und am Ende war es reines Interesse, weil ich – naiv, wie ich war – gedacht habe: Na ja, wenn man etwas gut kann, dann wird sich da auch beruflich was finden.

So naiv war das in Ihrem Fall gar nicht. Jetzt arbeiten Sie als Referentin für Digitalisierung in der Staatskanzlei Sachsen-Anhalt.
Ich bin wahrscheinlich nicht die typische Beamtin. Aber ich mag es sehr gerne, mir Sachen zu erarbeiten, Konzepte zu schreiben. Ich bin jemand, der immer mal wieder Neues braucht, und bei Digitalisierung hat man genau das. Das ist unheimlich schnelllebig, komplex und das, was gerade große Teile der Welt bewegt.

Sie leben jetzt schon seit vielen Jahren in Sachsen-Anhalt. Geboren und aufgewachsen sind Sie aber im Westen. Mit 17 Jahren sind Sie von Hamburg ans Sportgymnasium in Magdeburg gewechselt – aus dem Westen in den Osten also. Das war 1996 sicherlich ein ungewöhnlicher Schritt.
Aus Sicht des Westens muss das wohl eine Verirrung bei mir gewesen sein (lacht). Eigentlich hatte ich damals die Wahl zwischen Ossi und Osten. Es gab damals in Hamburg einen Trainerwechsel, und es hieß: Jetzt kommt jemand aus Potsdam, ein Langstreckentrainer. „Das ist ein ganz harter Hund“, erzählte man sich. Und dann habe ich gedacht: Das möchte ich nicht.

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Sie sind vor dem Osten in den Osten geflohen?
Mein Hauptgrund, nach Magdeburg zu wechseln, war die Sportschule. Etwas in der Form gab es für Schwimmen im Westen nicht. In Hamburg war es immer ein Krampf, Ausnahmeregelungen zu bekommen oder Stoff nachzuholen, wenn wir bei Wettkämpfen unterwegs waren. Das hat dort kaum jemanden gekümmert. An der Sportschule war das gänzlich anders.

Wie ist damals im Westen ihr Wechsel aufgenommen worden?
Im Schwimmen war das besonders krass, weil noch dieses Dopingthema im Raum stand. Es hat mich nicht direkt betroffen. Aber ich habe ganz schnell gemerkt, dass es nicht einfach ist, damit umzugehen, weil die Westpresse mich ab Tag eins nicht mehr mochte. Wenn man das andersherum gemacht hat, wie zum Beispiel Heike Drechsler als Leichtathletin, war das kein Problem. Es wurde immer versucht, mir etwas anzuhängen.

Ist der Verdacht bei Ihnen – im wahrsten Sinne des Wortes – mitgeschwommen?
Ich hatte viel mehr Dopingkontrollen als andere, nur weil ich aus Magdeburg kam. Da war nie irgendwas auffällig, aber trotzdem gab es eine Art Sippenhaft für alle. Aber was der Westen nie gesehen hat und auch nach der Wende nicht sehen wollte, ist, dass dieses System nicht nur wegen des Dopings erfolgreich war.

Bronze hoch vier: Gemeinsam mit Sarah Poewe, Franziska van Almsick und Daniela Götz (von links nach rechts) gewann Antje Buschschulte bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen Bronze in der Staffel.
Bronze hoch vier: Gemeinsam mit Sarah Poewe, Franziska van Almsick und Daniela Götz (von links nach rechts) gewann Antje Buschschulte bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen Bronze in der Staffel.

© Patrick B. Kraemer/dpa

Wurde da eine Chance verpasst?
Es wurde nie offen darüber gesprochen, was man übernehmen kann. Von den heute erfolgreichen Schwimmnationen haben sich viele am DDR-System angelehnt – nur wir selbst wollen das nicht. Und wenn wir so etwas heute – und wenn auch nur punktuell – noch einmal machen würden, dann auf jeden Fall nur unter einem anderen Namen. Man kann darüber nicht wertfrei nachdenken.

Das ist ein Phänomen, das sich in Deutschland wohl nicht auf den Schwimmsport beschränkt.
Ich arbeite gerade in einem Referat, bei dem viele Bildungsthemen bearbeitet werden, und da kommt das auch immer wieder zur Sprache. Zuletzt ging es um fehlende Praxisorientierung an Schulen. Da haben die älteren Mitarbeiter gesagt: „Na ja, da gab es doch früher schon mal was.“ Das wissen hier natürlich alle. Aber man könnte etwas aus der DDR hier als Ministerium niemals auf diese Art und Weise vorschlagen.

Wie haben Sie Ihre Anfangszeit in Magdeburg erlebt?
Das war schon intensiv. Es gab nach der Wende gefühlt gar nichts in Magdeburg, nicht einmal das große Kino – nur im Zentrum einen McDonald’s. Wenn wir mittwochnachmittags mal freihatten, sind wir da hingegangen. Es war schon anders.

Auch an der Sportschule?
Die Sportschule war für mich ein El Dorado. Um neun Uhr begann der Unterricht, um halb sieben hatten wir Training. Die Lehrer waren total lieb, teilweise so engagiert, dass es mir fast unangenehm war.

War es ein Thema, dass Sie diejenige aus dem Westen waren?
Den Job, der Wessi zu sein, hatte schon eine Schwimmerin gemacht, die vor mir da war. Die musste sich manche Hänseleien anhören. Unter uns Sportlern war das Thema Ossi/Wessi eigentlich nicht mehr wirklich wichtig. Da waren ganz andere Sachen entscheidend: Für mich war es unheimlich hart, das Training durchzuhalten, weil ich es einfach nicht gewohnt war, morgens und nachmittags in der hohen Intensität zu trainieren. Da habe ich auch sehr gelitten.

Welche Unterschiede gab es noch?
Im Westen war Schwimmen fast überall so ein ehrenamtlich betriebener Sport. Kein Übungsleiter hatte da Sport studiert. Die hatten das in irgendwelchen Kursen gelernt und dann Trainerscheine gemacht, hatten aber nebenher noch einen ganz anderen Beruf. Es war alles sehr viel laienhafter. Die Trainer wurden meistens geduzt, und es gab zwischen Jungs und Mädchen gemischte Gruppen.

In Magdeburg war das anders?
Da wurden alle Trainer gesiezt. Man musste auch morgens früh in der Schwimmhalle herumgehen und überall die Hand schütteln. Das war ich aus dem Westen nicht gewohnt, da galt ich dann manchmal als arrogant. Ich habe schnell gemerkt, dass das total wichtig ist. Und sprachliche Unterschiede gab es auch: Im Westen wurde vieles auf Englisch bezeichnet. Im Osten gab es aber zum Beispiel keine Sit-Ups. Es hieß einfach: Oberkörper aufrichten.

Andere Zeiten: Die ersten Erfolge von Antje Buschschulte liegen inzwischen über 20 Jahre zurück.
Andere Zeiten: Die ersten Erfolge von Antje Buschschulte liegen inzwischen über 20 Jahre zurück.

© Ferdinand Ostrop/dpa

Sie haben jetzt quasi eine Hälfte Ihres Lebens im Westen und eine im Osten verbracht. Ist das für Sie noch ein Thema?
Im Alltag überhaupt nicht. Aber dadurch, dass ich in einem politischen Umfeld arbeite, schon immer mal wieder. Vor allen Dingen ist es aber so, dass ich, wenn ich tief im Westen bin, ganz schnell so eine Verteidigungshaltung bekomme, obwohl ich das eigentlich nicht will.

Sie haben dann das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen?
Neulich war ich morgens in Wiesbaden schwimmen und bin mit einer Frau ins Gespräch gekommen, die zu mir meinte: „Ach, den Osten kenne ich.“ Das ist so eine typische West-Reaktion.

„Den Westen kenne ich“, würde wohl niemand sagen.
Ich habe auch mal in Wuppertal gewohnt. Da fragt niemand: „Wie ist es denn da?“ Wenn man in Magdeburg wohnt, dann fragen das die Leute. Und schon fühlt man sich so, als müsste man erklären, was an Magdeburg gut ist. Es ist schade, dass es gerade bei den älteren Leuten immer noch so viele Vorurteile gibt, die nicht abgebaut wurden, weil man sich nicht wirklich gut kennengelernt hat in der Zeit.

Vielleicht hat das auch etwas mit Träumen auf beiden Seiten zu tun, die enttäuscht wurden.
Ja, da gibt es Erwartungen, die man hatte und die sich vielleicht nicht so erfüllt haben.

Können Sie sich erinnern, wovon Sie heute Nacht geträumt haben?
Mein jüngstes Kind hat heute Nacht einen schönen Marathon des Übergebens hinter sich gebracht. Da war schönes Träumen leider nicht drin.

Leonard Brandbeck

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