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Rein sportlich lassen die Leistungen von Casillas (r.) und de Gea nur eine Entscheidung zu – und zwar gegen den Ex-Welttorhüter.

© REUTERS

Fußball-EM 2016: Delikates Duell im spanischen Tor

Iker Casillas oder David de Gea? Vor dem Spiel gegen Tschechien streitet Spanien darüber, wer das Tor hüten darf.

Vor einem Jahr, David de Gea war sich mit Real Madrid über einen Wechsel einig, da bat er die Verantwortlichen um einen Gefallen. Man möge sich doch sauber und mit dem gebotenen Anstand von Iker Casillas trennen. Denn eines wollte er, de Gea, auf gar keinen Fall. Casillas, die Torwartlegende, den Mann, den er immer bewundert hatte, zum Reservisten degradieren. De Gea fand, das wäre eines Spielers seines Formats nicht würdig.

Am Ende kam alles ganz anders. Casillas wurde in Madrid unehrenhaft vom Hof gejagt und de Gea blieb unabhängig davon bei Manchester United.

Das Duell der beiden Torhüter war damit aber nur vertagt, inzwischen konkurrieren David de Gea und Iker Casillas um den Platz im Tor der spanischen Nationalmannschaft. Und sie konkurrieren so heftig, dass sich Spaniens Trainer Vicente Del Bosque erst kurz vor dem ersten Gruppenspiel an diesem Montag gegen Tschechien entscheiden will, wer spielt.

De Gea bestreitet alle Vorwürfe wegen sexueller Gewalt

Die Frage nach der Nummer eins im Tor beschäftigt nicht nur den Nationaltrainer, sondern mittlerweile die gesamte spanische Öffentlichkeit. Das jedoch weniger aus sportlichen Gründen. Am Freitag war bekannt geworden, dass de Gea in eine schmutzige Angelegenheit verwickelt sein könnte. Eine Frau hatte ihn beschuldigt, als Mitorganisator ein Treffen zwischen zwei Männern und zwei Frauen arrangiert zu haben, bei dem es dann zu sexuellen Misshandlungen gekommen sein soll. Die Vorwürfe tauchten im Rahmen von Ermittlungen gegen einen zwielichtigen Unternehmer aus der Pornobranche auf. Angeblich kennen sich der Mann und de Gea seit 2011, obwohl der Torwart das so nicht bestätigen will.

So wie de Gea überhaupt nichts bestätigte, sondern alle Vorwürfe vehement abstritt. „Das ist eine Lüge, alles ist falsch“, sagte er am Freitag während einer Pressekonferenz. Er sei da ganz ruhig, seine Anwälte würden sich der Sache annehmen. Zuvor war schon von der Abreise de Geas berichtet worden, was sich aber als Falschmeldung erwies.

Vicente Del Bosque ist nicht gewillt, den Zweikampf im Tor von außersportlichen Faktoren entscheiden zu lassen. Der Trainer stellt sich vor seinen Torwart. „Mit der Überzeugung, mit der er während der Pressekonferenz aufgetreten ist, muss ich ihm glauben“, sagt Del Bosque. De Gea scheint die Angelegenheit jedenfalls nicht zu belasten. In den Trainingseinheiten seit Bekanntwerden der Anschuldigungen habe der Torwart hervorragend trainiert, berichtete Angreifer Pedro. „Er ist ganz ruhig. Ich glaube nicht, dass ihm das was ausmacht.“

Vieles deutet darauf hin, dass Del Bosque bei dieser Europameisterschaft tatsächlich und trotz der widrigen Umstände den Generationenwechsel im Tor vollzieht. Weg von Casillas, dem 35-Jährigen, hin zu de Gea, zehn Jahre jünger.

Rein sportlich lassen die Leistungen der beiden in den vergangenen Monaten kaum eine andere Entscheidung zu. De Gea ist wohl der einzige im Team von Manchester United, der von sich behaupten kann, eine überragende Saison gespielt zu haben. Nach Manuel Neuer gilt er vielen Experten als bester Torhüter der Welt. Seine Reflexe, seine Strafraumbeherrschung und seine Fähigkeiten bei der Spieleröffnung sind außergewöhnlich und nach fünf Jahren in England verfügt er längst über die nötige internationale Erfahrung, um bei der Nationalmannschaft dauerhaft im Tor zu stehen. Im März hielt er im Freundschaftsspiel gegen Italien beinahe alles, was auf sein Tor zuflog, und das war eine ganze Menge. Seitdem scheint Del Bosque de Gea zu favorisieren, im letzten Test vor der EM durfte er spielen. Es spricht also einiges dafür, dass de Gea auch am Montag gegen Tschechien spielt (15 Uhr/ARD).

Del Bosque muss das Team erneut einen

Es wäre das erste Mal seit der EM 2000, dass jemand anderes im Tor der Spanier steht als Iker Casillas. Zwei Europameisterschaften und eine Weltmeisterschaft hat er seitdem mit spektakulären Paraden für sein Land gewonnen, aber seine größte Tat gelang ihm 2011, als er gemeinsam mit Barcelonas Kapitän Xavi vor der WM in Südafrika die verfeindeten Spielerlager von Barça und Real einte – ohne dieses Eingreifen hätte es den Titelgewinn wohl nicht gegeben.

Dankbarkeit ist im Sport nur ein Kropf am Hals der Gegenwart, nicht so für Del Bosque. Er hielt auch nach der misslungenen Weltmeisterschaft 2014 an Casillas fest, setzte ihn in sieben von zehn Qualifikationsspielen ein, aber das Offensichtliche lässt sich nicht mehr ignorieren. Casillas ist nicht mehr der, der zwischen 2008 und 2012 als Erster fünf Mal infolge zum Welttorhüter des Jahres gewählt wurde. Beim FC Porto hat er genau so danebengegriffen wie in den letzten Jahren bei Real Madrid, seine Reflexe sind langsamer geworden und die Fehlerquote höher. Trotzdem wäre seine Ablösung „eine heikle Angelegenheit“, wie die Zeitung „El Pais“ schreibt, „schließlich handelt es sich um einen Mythos, den ruhmreichsten seiner Zeit und den besten Torwart in der Geschichte der spanischen Nationalmannschaft.“

Den Fans war das egal, sie haben sich in einer Umfrage vor der EM mehrheitlich für de Gea ausgesprochen. Inzwischen hat sich das geändert, mehr als die Hälfte wünschen sich Casillas. Spaniens Öffentlichkeit sind die Vorwürfe gegen de Gea nicht geheuer.

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