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Hilfe, wir ergeben uns! Herthas Torhüter Rune Jarstein kassierte schon nach 75 Sekunden das erste Gegentor.

© imago/Jan Huebner

Niederlage gegen Bayer Leverkusen: Hertha BSC: Eindeutig zu lieb

Die vierte Niederlage schmerzt Hertha BSC. Trainer Pal Dardai ärgert sich vor allem über seine Offensivkraft Salomon Kalou.

Mitchell Weiser schritt in letzter Sekunde zu einem Akt der Selbstjustiz. Herthas Mittelfeldspieler ahndete gewissermaßen das nicht geahndete Foul an seinem Kollegen Alexander Baumjohann, das in Wirklichkeit eine ziemlich peinliche Schwalbe gewesen war. Aber das hatte Weiser vermutlich, anders als der Schiedsrichter, nicht sehen können. Und so rutschte er mit dem gestreckten Bein dem Leverkusener Verteidiger Ömer Toprak von hinten in die Hacken – und musste am Ende froh sein, dass sein Vergehen lediglich mit einer Gelben Karte geahndet wurde.

Weisers Attacke war gesundheitsgefährdend, sie war nicht gerade zielführend, weil sie Hertha BSC im verzweifelten Kampf um den Ausgleich wichtige Sekunden kostete; aber sie war eben auch ein Akt der Auflehnung: der Auflehnung gegen die vermeintliche Benachteiligung durch den Schiedsrichter, vor allem aber auch gegen die devote Haltung seiner eigenen Mannschaft, die dazu geführt hatte, dass der Berliner Fußball-Bundesligist das wichtige Spiel im Kampf um einen Platz in der Champions League gegen Bayer Leverkusen schon verloren hatte, bevor es richtig begonnen hatte. Nach 75 Sekunden stand es 0:1, nach der zweiten Offensivaktion der Leverkusener eine Viertelstunde später 0:2.

„Wir wollten in den ersten paar Minuten offensiver agieren, in die Zweikämpfe kommen, damit wir ein gutes Gefühl aufbauen können“, sagte Niklas Stark. „Das ist nach hinten losgegangen.“ Vor dem ersten Tor ließ sich Hertha von einem schnell ausgeführten Einwurf überrumpeln. Drei Ballberührungen später stand Julian Brandt frei vor Torhüter Rune Jarstein. „Das ist eine Fehlerkette, die man einfach mal unterbinden muss – wenn man schlau ist“, klagte Stark. Hertha aber war in den entscheidenden Momenten nicht nur nicht schlau genug, sondern auch eindeutig zu lieb.

Exemplarisch war das zu sehen, als Salomon Kalou zu Beginn der zweiten Halbzeit ausgewechselt werden sollte. Hertha lag mit einem Tor zurück, hatte also keine Zeit zu verlieren. Kalou aber trottete wie ein Sonntagsspaziergänger im Schlosspark von Sanssouci Richtung Seitenlinie. Per Skjelbred schimpfte ein wenig vor sich hin, doch sonst sah sich keiner von Kalous Kollegen bemüßigt, ihn zu ein bisschen mehr Eile anzuhalten. Beim Auslaufen am Tag nach dem Spiel führte Trainer Pal Dardai ein fast zehnminütiges Einzelgespräch mit dem Ivorer. „Wir haben uns ausgetauscht, die Meinung gesagt, alles ist gut“, berichtete der Ungar.

Das Spiel in Leverkusen war Kalou nicht gerade entgegen gekommen. Aggressive Körperlichkeit und zweikampfstarke Spieler hätte Hertha dort gebraucht, sagte Dardai. Spieler wie Vedad Ibisevic und Mitchell Weiser also, die mit ihrem Eifer auch deshalb so sehr auffielen, weil sie sich deutlich abhoben vom Rest der Mannschaft. Es war kein Zufall, dass Ibisevic sein Tor zum Anschluss mit einer Grätsche im Mittelfeld hinaus zum Flankengeber Peter Pekarik sogar noch selbst eingeleitet hatte.

"Es fehlt momentan irgendwas"

„Es fehlt momentan irgendwas“, sagte Kapitän Fabian Lustenberger. „Was es genau ist, wissen wir nicht. Wir haben vielleicht nicht den letzten Biss, die letzte Konzentration in gewissen Momenten.“ Das 1:2 in Leverkusen war die vierte Pflichtspielniederlage hintereinander. In der Liga hat Hertha nur einen Punkt aus den vergangenen fünf Partien erlöst; in der Tabelle ging es dadurch von Platz drei runter auf Platz fünf. Ein bisschen was hat in den vergangenen Wochen immer gefehlt: mal die körperliche Frische, mal der Mut oder die Cleverness und gegen Leverkusen eben der nötige Biss.

Dass sich Hertha am Samstag die Qualifikation für den Europapokal sicherte, fiel der allgemeinen Enttäuschung zum Opfer. Doch wenn man sieht, wo die Mannschaft herkommt, ist diese Leistung gar nicht hoch genug einzuschätzen. „Das hätte uns vor der Saison niemand zugetraut“, sagte Lustenberger. Aber dieser Erfolg wird mehr und mehr von dem Gefühl überlagert, dass Hertha etwas noch viel Größeres verspielt hat. „In der Rückrunde haben wir nicht das Gesicht gezeigt wie in der Hinrunde“, sagte Trainer Dardai. „Die Hinrunde war gut, aber jetzt ist die Wahrheit da.“ Die Spekulationen über eine Teilnahme an der Champions League haben die Mannschaft nicht etwa beflügelt, sondern eher gehemmt. „Wenn wir ehrlich sind: Das haben wir nicht gut verarbeitet“, gab Dardai zu.

Für die Spieler, von denen sich viele erstmals auf diesem Niveau behaupten müssen, ist das auch ein Lernprozess. „Das kann kein Psychologe lösen, das kann kein Trainer lösen“ sagte Dardai. „Das kommt mit der Erfahrung.“ Ein wenig erinnert die Situation an die vergangene Saison, als sich die Mannschaft mit einem beherzten Zwischenspurt im Abstiegskampf schon vorzeitig den Klassenerhalt zu sichern schien. Doch weil Hertha von den letzten sieben Spielen kein einziges mehr gewinnen konnte, hielt das Zittern bis zum letzten Spieltag an. Über den Vollzug – nach einer Niederlage in Hoffenheim – konnte sich niemand mehr so richtig freuen.

Ergeht es Hertha in dieser Saison ähnlich, weil es am Ende nur die Europa League wird und nicht die Champions League? „Ich möchte keine schlechte Laune sehen. Ich erwarte, dass die Spieler jetzt frei sind und nicht mehr blockiert“, verfügte Dardai. „Wir haben die Aufgabe, den fünften Platz zu verteidigen. Das ist ein angenehmer Platz für uns.“

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