zum Hauptinhalt
Energisch und durchsetzungsstark. Jonjoe Kenny (links) zählte in den beiden Zweitligaspielzeiten zu den verlässlichsten Spielern bei Hertha BSC.

© imago/Beautiful Sports/IMAGO/BEAUTIFUL SPORTS/Franke

Hertha BSC und das Problem auf der rechten Seite: Jonjoe Kenny ist nicht so leicht zu ersetzen

Dass Herthas früherer Rechtsverteidiger bei einigen Bundesligisten im Gespräch ist, sagt einiges über seine Qualität. Kennys Weggang trifft die Berliner hart.

Stand:

Die Fans von Hertha BSC könnten sich in den vergangenen Tagen ein wenig gewundert oder zumindest an dem gezweifelt haben, was sie mal im Erdkunde-Unterricht gelernt haben. Ist Köln jetzt ein Ort in England? Liegt Mainz auf der britischen Insel? Und gehören Bremen und Mönchengladbach inzwischen zum britischen Commonwealth?

In all diesen Orten beziehungsweise bei allen dort beheimateten Erstligaklubs ist Jonjoe Kenny zuletzt als möglicher Neuzugang gehandelt worden. Der englische Rechtsverteidiger des Berliner Fußball-Zweitligisten also, von dem es hieß, es ziehe ihn aus familiären Gründen zurück in seine Heimat.

So hat es auch Stefan Leitl, Herthas Trainer, nach dem letzten Spiel der vergangenen Saison noch einmal gesagt: „Wegen seiner privaten Situation geht er zurück nach England. Sonst hätten wir gute Karten gehabt, dass er bleibt.“

Nun: Auch John Anthony Brooks hatte einst den brennenden Wunsch, einmal in der Premier League zu spielen – und wechselte dann von Hertha BSC zum VfL Wolfsburg.

Der Abgang wiegt definitiv schwer.

Herthas Trainer Stefan Leitl über den Abschied von Jonjoe Kenny

Dass es für Kenny auch jenseits seines Heimatlandes einen Markt gibt: Das zumindest dürfte die Fans von Hertha nicht allzu sehr verwundert haben. Sie haben ihn schließlich in der vergangenen Saison ausgiebig beobachten können, und was sie sahen, war vermutlich tatsächlich zu gut für die Zweite Liga. „Das ist auf jeden Fall jemand, der uns im kommenden Jahr fehlen wird“, hat Sportdirektor Benjamin Weber gesagt.

Der Anhang der Berliner war am Ende der vergangenen Saison so sehr mit der Freude über den überraschenden Verbleib von Fabian Reese beschäftigt, dass die Folgen, die Kennys Weggang haben könnte, ein bisschen untergegangen sind. „Der Abgang wiegt definitiv schwer“, sagt Trainer Leitl. „Jonjoe hat sich total identifiziert mit Hertha und der Stadt.“

Abschied nach drei Jahren. Jonjoe Kenny zwischen Herthas Sportdirektor Benjamin Weber (l.) und Geschäftsführer Tom Herrich.

© imago/Jan Huebner/IMAGO/Michael Taeger

Dass sich die Verbindung einmal als derart innig herausstellen könnte, war zeitweise nicht unbedingt zu erwarten. Kenny war im Sommer 2022 ablösefrei von seinem Heimatklub FC Everton nach Berlin gekommen; aber in seiner ersten Saison, an deren Ende Hertha aus der Bundesliga abstieg, konnte der Rechtsverteidiger seinen potenziellen Wert nicht mal ansatzweise unter Beweis stellen. Kenny blieb ein Mitläufer. Im besten Fall.

„Aus England in ein anderes Land zu kommen ist nicht immer einfach“, hat er zum Abschied aus Berlin gesagt. „Viele Spieler machen es im Ausland nicht gut.“ Dass es bei ihm am Ende anders war, das mache ihn wirklich stolz. „Meine Leistungen sind besser geworden, weil ich den Fans etwas zurückgeben wollte. Die Liebe, die ich von ihnen bekommen habe, auch vom Team, vom Staff, von den Trainern, war großartig. Ich habe jede Minute geliebt.“

Keiner stand länger auf dem Rasen als Kenny

In den beiden Spielzeiten seit dem Abstieg aus der Bundesliga war der Engländer eine prägende Figur bei Hertha BSC – auf dem Platz, aber auch daneben. Kenny sei nicht nur jemand, „der vor allem über Leistung geführt hat, über Emotionen in der Ansprache“, wie Stefan Leitl es ausgedrückt hat. Für Herthas Trainer war er auch „einer der besten Spieler, den es in der Zweiten Liga auf dem Flügel gibt“.

Griffig in der Defensive, entschlossen in der Offensive: Nicht alle Außenverteidiger bringen ein derart ausgewogenes Gesamtpaket mit. Kenny war in beiden Zweitligaspielzeiten für Hertha an je acht Toren beteiligt. Trotz seines ausgeprägten Offensivdrangs aber erledigte er aber seine Abwehraufgaben mit großer Verlässlichkeit.

In der vergangenen Saison fehlte der 28-Jährige nur in zwei Ligaspielen: Einmal war er gelbgesperrt, ein anderes Mal, zu Beginn der Rückrunde, fühlte er sich mental nicht bereit, weil Hertha seinen kurzfristig möglich gewordenen Wechsel nach England verhindert hatte. Bis dahin war er der einzige Spieler seines Teams gewesen, der nicht eine Sekunde gefehlt hatte.

Julian Eitschberger kommt aus Essen zurück

Kein Profi von Hertha BSC hat in der vergangenen Saison mehr gespielt als Jonjoe Kenny. Der Engländer ist kein einziges Mal ausgewechselt worden und stand in jedem seiner 32 Saisonspiele von der ersten bis zur letzten Sekunde auf dem Platz. Mit 2870 Spielminuten führt er die herthainterne Einsatzstatistik vor Ibrahim Maza (2659) an.

Auch Maza steht Hertha in der kommenden Spielzeit nicht mehr zur Verfügung. Stefan Leitl hat beide im Interview mit dem Tagesspiegel nach dem letzten Saisonspiel als absolute Top- und Schlüsselspieler bezeichnet, die „wir definitiv ersetzen“ müssen.

Neben einem Mittelstürmer und einem Spielmacher als Ersatz für den nach Leverkusen gewechselten Maza suchen die Berliner also auch noch einen neuen Rechtsverteidiger. Und das obwohl Julian Eitschberger nach seiner Leihe von Rot-Weiss Essen zurückkehrt.

Der 21-Jährige hat in der Dritten Liga durchaus überzeugen können. Aber der Vergleichsmaßstab ist mit dem, was Jonjoe Kenny in den vergangenen beiden Jahren vorgelegt hat, nun mal ungewöhnlich hoch.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })