
© dpa/Michael Kappeler
Ihre Bestzeit ist ihre Bürde: Sprinterin Gina Lückenkemper startet beim Istaf in Berlin
Gina Lückenkemper läuft konstant schnell, kommt aber nicht an ihre Bestzeit aus dem Jahr 2017 heran. Trotz oder wegen des Trainings in den USA?
Stand:
Klein und schmächtig sah Gina Lückenkemper auf der Pressekonferenz in Berlin aus. Nur hängt der optische Eindruck immer vom Gesamtbild ab. Und direkt neben Lückenkemper standen am Freitag der Zehnkämpfer Leo Neugebauer, 2,01 Meter groß und knapp 110 Kilogramm schwer, sowie Hürdensprinter Grant Holloway, mit knapp 1,90 Meter und 86 Kilogramm ebenfalls von stattlicher Figur. Holloway musste seinen großen Körper direkt mit Kalorien versorgen. Er habe Hunger, sagte er noch auf dem Podium. Auf die Frage, was er haben wolle, antwortete der US-Amerikaner: „Egal, Essen.“
Die drei waren als Gäste eingeladen, um Werbung für das Leichtathletikmeeting Istaf zu machen, das am Sonntag im Berliner Olympiastadion stattfindet. Rein sportlich betrachtet sind die Olympiasieger Holloway, der Olympiazweite Neugebauer sowie Kugelstoß-Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye die Stars der Veranstaltung.
Kennen Sie schon unsere Sport-Videos?
Es ist aber nach wie vor Lückenkemper, die hierzulande ins Rampenlicht geschoben wird, wenn es um die Leichtathletik geht. Dabei hat es die 27-Jährige auch in diesem Jahr im Einzelsprint nicht ins olympische Finale geschafft. Doch Lückenkemper ist unterhaltsam, kann gut reden. „Das Olympiastadion ist für mich mit Abstand das schönste Stadion der Leichtathletik“, sagte sie am Freitag. Besser kann man das Istaf nicht promoten.
Die deutsche Hochsprung-Olympiasiegerin Ulrike Nasse-Meyfarth nannte sie mal im Tagesspiegel-Gespräch die „Lady mit den schnellen Beinen und dem noch schnelleren Mundwerk“.
Das dürfte Lückenkemper weh getan haben. Zumal es sich bei Lückenkemper trotz ihres flotten Mundwerks vielleicht doch andersrum verhält: Zuerst kommen ihre schnellen Beine.
Den Beweis für ihre sportlichen Fähigkeiten lieferte Lückenkemper in diesem Jahr bei Olympia in Paris, auch wenn dies angesichts ihres Ausscheidens im Halbfinale des Einzelsprints etwas untergegangen war. Beim Staffel-Finale über 100 Meter lief sie als dritte Läuferin fliegend eine Zeit von 9,89 Sekunden – und damit schneller als jede andere Frau in diesem Rennen. Die deutsche Staffel holte Bronze, den mit Abstand größten Beitrag dafür leistete Lückenkemper.
Doch Gina Lückenkemper hat ein Problem, das sie in den Einzelrennen von der Weltspitze fernhält: ihr Start. Ihre Reaktionszeit ist häufig zu langsam, die ersten Meter nicht schnell genug. Gäbe es den Start nicht, wäre Lückenkemper wahrscheinlich schon mehrfache Medaillengewinnerin bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen.
Aber Start gehört zu einem 100-Meter-Sprint wie der Aufschlag zum Tennis: Ohne ihn wird es schwer. Und so jagt Lückenkemper immer noch ihrer Bestzeit aus dem Jahr 2017 nach. 10,95 Sekunden lief sie als 20-Jährige in jenem Jahr bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in London.
Die 10,95 Sekunden waren toll. Aber da die Zeit schon sieben Jahre alt ist, ist sie auch eine Bürde. Seit ein paar Jahren trainiert Lückenkemper in den USA bei einer Trainingsgruppe unter der Leitung der Sprint-Koryphäe Lance Brauman. Lückenkemper arbeitet in den USA härter als zuvor, sie läuft auch konstant schnelle Zeiten. Nur: Der Ausreißer nach oben fehlt noch im Einzelrennen.
Hier und da waren schon Stimmen in der Leichtathletik-Szene zu vernehmen, die fragten, ob sich Lückenkemper ihre monatelangen USA-Aufenthalte nicht sparen könne. Die Weitspringerin Malaika Mihambo, die in Deutschland trainiere, mache es doch vor.
Auf ihre lange zurückliegende Bestzeit angesprochen, reagierte Lückenkemper am Freitag kämpferisch. Das Staffelrennen bei den Olympischen Spielen in Paris habe gezeigt, was möglich sei, sagte sie. Sie wisse, was sie auf dem Kasten habe. Dann sagte sie etwas trotzig: „Außerdem interessiert mich ohnehin nur die Meinung meines Coaches.“ Und, na klar, Lance Brauman hatte die deutsche Sprinterin zuletzt immer in den höchsten Tönen gelobt.
Die sportliche Reise von Gina Lückenkemper ist jedenfalls noch nicht vorbei. Sie wolle auf jeden Fall bis zu den nächsten Olympischen Spielen in vier Jahren in Los Angeles weitermachen. „Ich habe Bock.“ Und das ist vermutlich ohnehin das Wichtigste.
- showPaywall:
 - false
 - isSubscriber:
 - false
 - isPaid:
 - false