
© IMAGO/Jan Huebner
Hertha BSC und der Abstiegskampf: Von Augsburg lernen heißt siegen lernen
Schön anzusehen war das Spiel zwischen Hertha BSC und dem FC Augsburg nicht. Doch darauf kommt es nicht an, wenn es um den Verbleib in der Fußball-Bundesliga geht.
Stand:
Der ohnehin erfreuliche Tag ging auch noch überaus erfreulich zu Ende. Die Spieler von Hertha BSC hatten bereits Feierabend, als der VfB Stuttgart am Samstagabend sein Auswärtsspiel bei Schalke 04 verlor und dadurch in der Tabelle der Fußball-Bundesliga ebenfalls hinter die Berliner zurückfiel. Von 17 auf 14 ging es für Hertha am Samstag: dank des eigenen 2:0-Sieges gegen den FC Augsburg, aber auch dank der Niederlagen der unmittelbaren Konkurrenz.
Neben Stuttgart verloren auch Bochum und Hoffenheim, die sich nun in der Tabelle allesamt hinter den Berlinern wiederfinden. Das freut den gemeinen Fan, Sandro Schwarz, Herthas Trainer, hingegen registrierte die Resultate der Konkurrenz mit maximaler Nüchternheit. „Klar nimmst du die Ergebnisse wahr, aber sie lösen in mir kein Gefühl aus“, sagte er.
Abstiegskampf funktioniert nach eigenen Regeln. Und die möglicherweise wichtigste lautet: Schau nicht darauf, was die anderen für dich tun können. Schau nur darauf, was du selbst für dich tun kannst.
Für Herthas Trainer waren die Leistung gegen Augsburg und der daraus resultierende Sieg wichtiger als der Satz, den seine Mannschaft in der Tabelle machte. „Abstiegskampf bedeutet, Spiele nicht zu überhöhen und auch Tabellensituationen am 17., am 24. oder am 28. Spieltag nicht zu überhöhen“, sagte Schwarz. „Es wird immer Spieltage geben, da laufen die Ergebnisse für dich. Es wird aber auch Spieltage geben, wo sie gegen dich sind. Das Thema ist: einen langen Atem zu haben.“
Langer Atem zahlt sich aus: Am ersten Spieltag des Jahres 2023 war Hertha durch die Niederlage beim VfL Bochum auf einen Abstiegsplatz zurückgefallen; erst am Samstag, sechs Spieltage später, ist die Mannschaft wieder über den Strich gekrochen. Der Erfolg gegen Augsburg mit dem ersten Zu-null-Sieg in diesem Jahr fügte sich in die Auftritte der vergangenen Wochen – auch wenn die fußballerische Darbietung lange wenig ansehnlich war.
Es war die Bestätigung, dass du kein perfektes Spiel brauchst, um zu gewinnen.
Hertha-Trainer Sandro Schwarz über das 2:0 gegen den FC Augsburg
„Allgemein hat das Spiel keinen großen Spaß gemacht“, sagte Florian Niederlechner, „aber das habe ich die ganze Woche schon gepredigt.“ Niederlechner, Herthas Stürmer, hat bis vor gut einem Monat selbst noch für Augsburg gespielt. Er weiß also, wie Augsburg auftritt. Und er weiß, mit welchen Mitteln sich Augsburg seit dem Aufstieg im Jahr 2011 jedes Jahr im Abstiegskampf behauptet hat.
Von Augsburg lernen heißt siegen lernen. „Du musst fighten, jeder muss für den anderen rennen, sonst hast du keine Chance im Abstiegskampf“, sagte Niederlechner. „Darum schafft es Augsburg immer wieder. Das musst du annehmen, wenn du da unten bist, und das machen wir gerade sehr, sehr gut.“
Auch Trainer Schwarz hatte seine Spieler auf die besonderen Herausforderungen vorbereitet: darauf, dass es ein Spiel mit viel Kampf werden würde, mit vielen zweiten Bällen, dass es eine Defensivhaltung brauche, eine hohe Zweikampfbereitschaft. „Wir wussten, dass wir uns reinbeißen, reinkämpfen mussten. Das haben die Jungs sehr, sehr gut gemacht“, sagte Schwarz. „Es war die Bestätigung, dass du kein perfektes Spiel brauchst, um zu gewinnen.“
Stattdessen müsse man aktiv und sehr gut organisiert verteidigen, nicht negativ werden, falls nicht alles gleich auf Anhieb funktioniere. „Das ist ein guter Entwicklungsschritt: dass du aufrecht bleibst, klar bleibst, in deiner defensiven Organisation nicht nachlässt, die Konzentration bei Standardsituationen aufrechterhältst und den Glauben hast: Okay, mit ein, zwei, drei vier Aktionen kannst du dieses Spiel gewinnen.“
Mit dem Systemwechsel kam die Wende
Dieser Glaube schien Hertha zwischenzeitlich abhandengekommen sein, als die Mannschaft zu Beginn des Jahres vier, zum Teil deutliche Niederlagen kassierte. Inzwischen aber hat das Team eine andere Haltung entwickelt. „Man merkt einfach, was nach dem Sieg gegen Gladbach für ein Turnaround stattgefunden hat“, sagte Niederlechner. „Genauso musst du auftreten im Abstiegskampf. Genauso kommst du da unten raus.“
Im Grunde wurde die Wende schon im Spiel vor dem Heimsieg gegen Borussia Mönchengladbach eingeleitet: bei der Niederlage gegen Eintracht Frankfurt, als Schwarz in der Pause bei 0:2-Rückstand seine Grundordnung änderte. Seitdem spielt die Mannschaft in einem 3-5-2-System. „Wir haben gut gespielt mit Dreierkette“, sagte Torhüter Oliver Christensen. „Damit haben wir sechs Punkte geholt.“ Und selbst bei der Niederlage in Dortmund war Hertha stabiler, als es das klare Ergebnis (1:4) vermuten lässt.
„Es ist schon ein Zusammenhang zu sehen. Die Systemumstellung war gut für uns“, sagt Sandro Schwarz. Seine Spieler verteidigten nicht nur aggressiver, sie hätten auch eine bessere Strafraumbesetzung in der Offensive.
Schon vor dem Spiel in Frankfurt hatte Herthas Trainer über einen Systemwechsel nachgedacht. Allerdings wollte Schwarz dafür unbedingt den richtigen psychologischen Moment abpassen. Der war in der Pause des Spiels gekommen – als es gar nicht mehr schlimmer kommen konnte.
Inzwischen ist die Zuversicht zurück. Der Glaube, dass die Mannschaft im Abstiegskampf bestehen kann und dass der Erfolg von der eigenen Leistung abhängt und nicht von den Ergebnissen der Konkurrenz. „Das Entscheidende ist, dass du für dich selbst dieses Vertrauen hast, dass du weißt: Wenn wir so verteidigen, dann liegt es an uns selbst, ob wir Spiele gewinnen oder nicht“, sagte Schwarz. „Diese inhaltliche Stabilität, die wir jetzt auf den Platz bekommen haben, ist wichtig. Die gibt mir ein gutes Gefühl. Die stellt mich zufrieden. Heute und morgen.“
Übermorgen geht es dann schon um die nächste Aufgabe. Um das Spiel bei Bayer Leverkusen am kommenden Sonntag.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: