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Jedermann-Zehnkampf in Hakenfelde: Spandau schafft globale Ausnahmesituation
Die Medaillenaussichten der deutschen Leichtathletik bei Olympia sind mager. Da kommt der Jedermann-Zehnkampf des VfV Spandau gerade richtig: Zum ersten Mal dürfen Frauen mitmachen, anders als in Paris.
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Der Moment, in dem sich Niklas Kaul nach seinem 1500-Meter-Lauf mit voller Willenskraft über die Ziellinie stürzt, hat sich für viele deutsche Leichtathletik-Fans ins Gehirn eingebrannt. In Doha wurde er 2019 zum jüngsten Zehnkampf-Weltmeister der Geschichte gekürt, mit gerade einmal 21 Jahren.
Eine beachtliche Leistung, immerhin handelt es sich nicht um irgendeine, sondern um die Königsdisziplin in der Leichtathletik: den Zehnkampf. Dem Wettbewerb, in dem sich Athleten zwei Tage lang einer vielseitigen körperlichen und geistigen Belastung aussetzen. Es gilt, zehn unterschiedlichen Einzeldisziplinen zu absolvieren.
Die deutsche Leichtathletik an einem historischen Tiefpunkt
Der WM-Titel von Kaul mag vermutlich trotzdem nicht allzu große Wellen geschlagen haben, denn es ist kein Geheimnis: Die deutsche Leichtathletik ist an einem historischen Tiefpunkt angelangt. Keine einzige Medaille bei der WM 2023 in Budapest, die Aussichten auf Olympia mager – das sind die Nachrichten, die der Sport in kürzester Vergangenheit zu verzeichnen hatte.
Vielleicht ist daher eine Veranstaltung wie der Jedermann-Zehnkampf, der am kommenden Wochenende vom VfV Spandau ausgerichtet wird (13. und 14. Juli im Stadion Hakenfelde), genau das, was die deutsche Leichtathletik gerade braucht. Der Wettkampf lebt ganz unter dem Motto: weniger Exklusivität, mehr Breite. Wie auch beim Olympischen Zehnkampf finden die Wettkämpfe an zwei Tagen statt, beginnend mit dem 100-Meter-Sprint und endend mit dem kräfteraubenden 1500-Meter-Lauf.
Das Besondere: Auch Amateursportler und -sportlerinnen haben hier die Möglichkeit, Disziplinen auszuprobieren, welche sie normalerweise nur über den Fernsehbildschirm verfolgen können. Die größte Herausforderung dabei sei der Stabhochsprung, sagt einer der Veranstaltenden. Schließlich ist dieser nicht gerade eine Disziplin, die man aus dem Schulsport kennt. Selbst viele langjährige Leichtathleten beherrschen ihn oftmals nicht.
Beim Jedermann-Zehnkampf in Hakenfelde in Spandau werden bestimmte Disziplinen deswegen auf einem „niedrigerem Niveau“ ausgetragen. Also so, dass auch Breitensportler und -sportlerinnen die Wettkampftage gut überstehen. So fängt man beim Hochsprung beispielsweise mit einer tieferen Einstiegshöhe an, beim Hürdenlauf mit niedrigeren Hindernissen, Laufdisziplinen dürfen aus dem Tiefstart sowie aus dem Hochstart begonnen werden.
Eine Idee aus Österreich
Seit 1992 wird der Jedermann-Zehnkampf vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) angeboten. Die Idee des Ganzen stammt aber schon aus den 80er Jahren. Die österreichischen Brüder Roland und Georg Werthner, selbst ehemalige Zehnkämpfer, verfolgten das Ziel, die Sportart einer breiteren Bevölkerung zugänglich zu machen.
Das „Jedermann“ scheint dabei weniger zum Wettkampfmotto zu passen, denn gerade bei Veranstaltungen wie der vom VfV Spandau ist besonders, dass auch Frauen am Zehnkampf teilnehmen können – eine absolute Ausnahmesituation in der globalen Leichtathletik.
Es gibt keine geschlechtsspezifischen Bedenken, warum eine Frau den Zehnkampf nicht erfolgreich absolvieren sollte.
Thomas Kurschilgen, ehemaliger DLV-Sportdirektor
Bei den heutigen Olympischen Spielen gehen Frauen zwar, genau wie die Männer, in jeder einzelnen Kerndisziplin des Zehnkampfes an den Start, ob im Diskuswurf oder dem Stabhochsprung. Der Zehnkampf als olympischer Mehrkampf bleibt ihnen jedoch bis heute verwehrt.
„Es gibt keine geschlechtsspezifischen Bedenken, warum eine Frau den Zehnkampf nicht erfolgreich absolvieren sollte“, sagte der ehemalige DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“. Aber trotzdem: Bis heute treten sie ausschließlich in der kleineren Version der Königsdisziplin an: dem Siebenkampf.
Berliner Laufevents gibt es massenhaft für Breitensportler- und sportlerinnen, aber Mehrkämpfe wie der Jedermann-Zehnkampf in Hakenfelde bleiben eine Seltenheit. Für viele ist das eine Möglichkeit, die Leichtathletik in die Breite zu tragen. Und eine Chance, dass zur Abwechslung mal nicht nur Profi-Athleten wie Kaul in den Genuss der Königsdisziplin kommen.
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