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Jiří Němec über das EM-Finale 1996 Tschechien - Deutschland: „Ich habe gedacht, wir spielen noch weiter“
Im Interview spricht der frühere tschechische Nationalspieler und Bundesliga-Fußballer über das Golden Goal bei der Europameisterschaft, seine Unlust auf Interviews und sich selbst als Schalke-Fan.
- Markus Hesselmann
- František Steiner
Stand:
Herr Nemec, Sie haben so viele Jahre in Deutschland gespielt, aber prinzipiell nie Interviews gegeben. Fußball ist doch auch Unterhaltung und Show. Können Sie das nicht akzeptieren?
Ich akzeptiere das. Aber ich mache nicht mit. Ich habe mich immer zurückgehalten. Die ganze Zeit in Deutschland, aber auch hier in Tschechien. Hier ist das aber nicht einfach. Als Kapitän der Nationalmannschaft habe ich natürlich auf Fragen geantwortet. Aber das war den Leuten immer zu wenig. Wenn ich zu Journalisten sage, ich habe nichts zu sagen, dann schreiben die einfach irgendwas. Das war in Deutschland besser. Da wurde meine Zurückhaltung akzeptiert.
Wie fanden das denn Ihre Mitspieler? Waren die nicht sauer, dass Sie mehr Interviews geben mussten, weil Sie nicht zur Verfügung standen?
Es gibt ja genug Spieler, die das gern machen. Zehnmal mehr als die anderen.
Gibt es da eine bewusste Arbeitsteilung?
Bei uns in Schalke war das immer Olaf Thon. Er war der Mann dafür.
Deshalb wurde er „der Professor“ genannt.
Genau. Ich sehe ja jetzt noch manchmal im deutschen Fernsehen, dass er das immer noch macht. Er hat immer eine Antwort.
Das autobiografische Buch, das Sie mit František Steiner geschrieben haben, heißt „Künstler und Arbeiter“. Welche Seite überwiegt bei Ihnen?
Ich glaube der Arbeiter. Der Künstler schießt Tore, der Arbeiter verhindert sie. Bei mir ist das so ungefähr 40:60.
Sowas kommt an auf Schalke. Dort waren Sie eine Kultfigur. Bekommt man als Spieler davon eigentlich viel mit?
Ja ja, schon, ein bisschen (lacht).
Man hat Sie „der Meister“ genannt.
Das war ein Quatsch, Darüber möchte ich eigentlich gar nicht reden.
Warum nicht?
Das kam von diesem deutschen Sänger. Wie hieß der noch?
Guildo Horn. Er wurde von seinen Fans „der Meister“ genannt.
Genau. Der hatte den gleichen Haarschnitt, oder fast den gleichen Haarschnitt wie ich. Sehr lange Haare halt. Bei einem Freundschaftsspiel sagte Ingo Anderbrügge irgendwann einmal „Meister“ zu mir.

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Einfach so, in der Kabine?
Nein, auf dem Platz. Er wollte einen Spaß machen. Aber dann stand das in der „Bild“-Zeitung, und plötzlich haben mich alle so genannt. Das war alles totaler Quatsch.
Sprechen wir also lieber über Ihre sportlichen Erfolge. Was bedeutet Ihnen mehr, die Teilnahme am EM-Finale 1996 mit Tschechien gegen Deutschland oder der Uefa-Cup-Sieg mit Schalke ein Jahr später?
Das ist beides durchaus vergleichbar. 1996 hatten wir eine schwere Gruppe mit Italien, Russland und Deutschland. Mit viel Glück und ich weiß nicht was kamen wir weiter. Mit Schalke war das ähnlich. Wir hatten keine große Mannschaft. Aber wir haben unglaublich hart gearbeitet. Unsere Heimspiele waren perfekt. Wir haben kein Gegentor gekriegt. Für mich waren beide Erfahrungen gleich wichtig. Der Unterschied war natürlich, dass wir mit der Nationalmannschaft verloren und mit Schalke gewonnen haben.

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Ab wann haben Sie gedacht, dass Sie den Uefa-Cup tatsächlich gewinnen können?
Nie. Selbst im Rückspiel des Finales in Mailand noch nicht. Wir hatten nicht schlecht gespielt und zu Hause 1:0 gewonnen. Aber Inter Mailand, das war eine andere Welt für uns.
Bei der EM waren die Voraussetzungen ähnlich…
Tschechien hatte 20 Jahre lang nichts gewonnen und war bei großen Turnieren selten dabei gewesen. Das Turnier 1996 war etwas ganz Besonderes für unsere junge Mannschaft. Dann haben wir gegen Deutschland das erste Spiel verloren, und alle haben gesagt: Okay, macht noch zwei Spiele und fahrt nach Hause.
Statt nach Hause zu fahren kamen Sie ins Finale. Wie haben Sie den Moment des so genannten Golden Goals erlebt, die Entscheidung für Deutschland?
Ich habe gedacht, wir spielen noch weiter. Ich glaube, die ganze Mannschaft hat gedacht, dass wir noch weitermachen können.

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Wie bitte? Hatte man Ihnen die Regeln nicht erklärt?
Natürlich. Aber in dem Moment war uns das nicht bewusst. Ich habe die Deutschen beobachtet. Die haben auch nicht sofort gejubelt. Die haben auch erst einmal geguckt. Und dann nach einem Moment haben sie gemerkt: Okay, wir haben gewonnen.
Sie müssten es ja gut finden, dass das Golden Goal wieder abgeschafft wurde.
Ein Spiel dauert 90 oder 120 Minuten. Was uns in London passiert ist, ist das Schlimmste, was einem Fußballer passieren kann. Das ist ganz schlecht. Aber im Nachhinein war allein die Teilnahme am Finale für uns wie ein Sieg.
Sie haben auf Belgrad 1976 angespielt, den Finalsieg der Tschechoslowakei gegen Deutschland. Wie sind Ihre Erinnerungen daran.
Ich erinnere mich eigentlich nur an den letzten Elfmeter. Ich habe ja nie viel Fußball geguckt. Auch jetzt schaue ich selten. Nur wenn Schalke spielt. Wenn ich Zeit habe, dann fahre ich nach Gelsenkirchen. Ich nehme meine Familie mit, und wir besuchen unsere alten Freunde. Am liebsten würde ich viel öfter dort hinfahren. Ich darf das gar nicht sagen, aber wenn ich zum Ende meiner Karriere hin in der tschechischen Liga eine Gelbsperre bekam, dann habe ich schon daran gedacht, dass ich dann frei habe und nach Schalke fahre, wenn sie ein Heimspiel haben. Ich genieße die Atmosphäre beim Fußball dort.

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Sie sind ja ein richtiger Schalke-Fan.
Ja natürlich. Das muss ich sein. Das geht nicht anders. Nach neun Jahren dort! Im Nachhinein muss ich sagen: Ich hätte noch ein Jahr länger dort spielen sollen.
Aha.
Ich haben den Fehler gemacht, in Tschechien Fußball zu spielen. Ich habe mich überreden lassen. In Schalke sind sie davon ausgegangen, dass ich aufhören will und deshalb gehe. Dann hat mich Rudi Assauer irgendwann in Prag angerufen und gefragt: Spielst du jetzt etwa doch noch? Ja, habe ich gesagt. Er hat gesagt: Du bist bescheuert (lacht).
Was war denn das Problem mit Ihnen und dem tschechischen Fußball?
Hier war das eben alles ein bisschen anders. Wenn man gewohnt war, alle 14 Tage in Schalke vor 60.000 Zuschauern zu spielen, dann ist es nicht schön, wenn hier nur etwas mehr als 1000 kommen.
Sie haben in Blšany auf dem Dorf gespielt.
Ein Freund hat mich dazu überredet. Ich bin ja dann auch noch mal zu Sparta Prag gegangen und habe sogar noch Champions League gespielt. Aber dan wurde immer wieder geschrieben, ich sei mit 37 Jahren zu alt dazu. Plötzlich ging es nicht mehr um die Leistung, sondern nur noch um das Alter. In Deutschland ist das anders. Da ist es egal, ob jemand 20, 30 oder 40 ist. Da guckt jeder nur, ob die Leistung stimmt.
Die Fragen stellten Markus Hesselmann und František Steiner. Das Interview erschien in dem Buch „Der Lieblingsfeind. Deutschland aus der Sicht seiner Fußballrivalen“, herausgegeben von Markus Hesselmann und Christopher Young, veröffentlicht 2006 im Verlag Die Werkstatt.
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