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Der Auftritt seiner Mannschaft gegen Portugal konnte Bundestrainer Julian Nagelsmann (rechts) nicht gefallen.

© imago/Sven Simon

Julian Nagelsmann lernt den Mangel kennen: Die personellen Alternativen der DFB-Elf sind überschaubar

Ein paar Ausfälle zu viel: Die Niederlage gegen Portugal zeigt Bundestrainer Nagelsmann, dass er im Unterschied zu anderen Nationen nur beschränkte personelle Möglichkeiten hat.

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Wer an die Macht der Geschichte und das Gesetz der Serie glaubt, der hat schon vor dem ersten Halbfinale der Nations League gewusst, wie es ausgehen würde. Nicht gut nämlich für die Deutschen.

In ihrer langen Geschichte hat die Nationalmannschaft dreimal das Halbfinale eines offiziellen Wettbewerbs auf eigenem Grund und Boden bestritten, 1988 bei der Europameisterschaft, 2005 beim Confed-Cup und 2006 bei der WM. Jedes Mal mussten sich die Deutschen ihrem Gegner geschlagen geben. Am Mittwoch in der Nations League gegen Portugal war es nicht anders. 1:2 (0:0) verlor das Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann.

Selbst die aber, die nicht an einen solchen Hokuspokus glauben, dürfte am Mittwoch schon vor dem Anpfiff ein ungutes Gefühl ergriffen haben – beim Blick auf die Aufstellungen beider Mannschaften nämlich. Während Portugals spanischem Trainer Roberto Martinez der stärkste Kader (plus Cristiano Ronaldo) zur Verfügung stand, hatte die erste Elf seines Kollegen Nagelsmann nur noch eine vage Ähnlichkeit mit der deutschen Nationalmannschaft.

Aus dem Team, das sich im März durch ein in jeder Hinsicht spektakuläres 3:3 gegen Italien für das Final Four des Wettbewerbs qualifiziert hatte, standen gegen die Portugiesen nur noch fünf Spieler in der Startelf. Erzwungenermaßen.

Mit den beiden Innenverteidigern Antonio Rüdiger und Nico Schlotterbeck, mit Angelo Stiller aus dem Mittelfeld sowie den Offensivleuten Jamal Musiala und Kai Havertz fehlten dem Bundestrainer gleich fünf sichere Stammkräfte. Dazu werthaltige Alternativen wie Tim Kleindienst und Jonathan Burkardt, die beiden besten deutschen Torschützen der jüngsten Bundesligasaison, Nadiem Amiri, Yann Bisseck und Benjamin Henrichs.

Wir müssen jedes Spiel ans Limit gehen, sonst brauchen wir sehr viel Glück.

Nationalmannschaftskapitän Joshua Kimmich

Der Aderlass war so offenkundig, dass er von den Beteiligten später gar nicht oder nur sehr dosiert als Grund für den dünnen Auftritt angeführt wurde. „Klar, neue Mannschaft, alles okay“, sagte Bundestrainer Nagelsmann. „Wir können es trotzdem besser machen.“

Nein: Wenn die deutsche Nationalmannschaft ihre hochgesteckten Ziele erreichen will, muss sie es als Team besser machen. „Wenn wir bei 100 Prozent sind, dann haben wir schon was Besonderes“, sagte Nagelsmann. Wenn nicht, wie am Mittwoch gegen Portugal, dann ist die deutsche Nationalmannschaft schnell sehr gewöhnlich.

Die individuelle Qualität, die dem Bundestrainer zur Verfügung steht, ist in der Summe deutlich geringer als bei potenziellen Konkurrenten um die Hauptgewinne. Geringer als bei den Spaniern, den Franzosen, selbst bei den Portugiesen, um mal nur die europäischen Mitbewerber zu nennen. „Wir müssen jedes Spiel ans Limit gehen“, sagte Kapitän Joshua Kimmich nach seinem 100. Länderspiel, „sonst brauchen wir sehr viel Glück.“

Bei den Portugiesen kam Qualität von der Bank

Das Dilemma des Bundestrainers offenbarte sich rund um die 60. Minute, als die Deutschen durch ein Kopfballtor von Florian Wirtz 1:0 führten und es laut Mittelfeldspieler Leon Goretzka eigentlich „ein Ding der Unmöglichkeit“ war, „dass du zu Hause noch 1:2 verlierst“.

Möglich wurde das Unmögliche, weil Martinez drei neue Spieler aufs Feld schickte: Vitinha, Francisco Conceição und Nelson Semedo. Sie verpassten der portugiesischen Mannschaft noch einmal einen beachtlichen Energie- und Qualitätsschub. Nagelsmann reagierte nur zwei Minuten später ebenfalls mit einem Dreifachwechsel, brachte Robin Gosens, Serge Gnabry und Niclas Füllkrug. Von neuer Energie, geschweige denn zusätzlicher Qualität konnte bei den Deutschen jedoch keine Rede sein. Im Gegenteil.

Drei Minuten nach seiner Einwechslung hechelte Gosens seinem Gegenspieler Francisco Conceição hilflos hinterher. Der Portugiese traf mit einem chirurgisch exakten Schlenzer zum 1:1 und leitete damit die Niederlage der Deutschen ein. Kurz vor Schluss sah Gosens erneut nicht gut aus, als er von Vitinha mit einem Beinschuss der Lächerlichkeit preisgegeben wurde.

Francisco Conceição (rechts) trifft zum zwischenzeitlichen 1:1, Robin Gosens schaut nur hinterher.

© imago/ActionPictures/imago

Vier Tage zuvor hatte der portugiesische Mittelfeldspieler an selber Stelle mit einer grandiosen Leistung entscheidend zum Gewinn der Champions League durch Paris Saint-Germain beigetragen. Dass Martinez ihn zunächst auf die Bank setzte, sagt einiges über die personellen Möglichkeiten des portugiesischen Nationaltrainers.

Vor allem im direkten Vergleich mit den Optionen, die Julian Nagelsmann am Mittwoch hatte. Im Halbfinale der Nations League standen bei den Deutschen zu viele Spieler auf dem Platz, die nicht oder nicht mehr gut genug für die Nationalmannschaft sind.

Das gilt für Gosens und Gnabry, die beide nicht von ungefähr vor einem Jahr nicht für die EM nominiert waren. Das könnte auch für Leroy Sané gelten, dem immer mehr die Unwiderstehlichkeit vergangener Tage fehlt. Oder für Robert Andrich, der nur auf der Bank saß – so wie zuletzt fast durchgängig auch in seinem Verein Bayer Leverkusen.

Hinzu kamen dürftige Auftritte von Spielern, die es eigentlich besser können sollten: von Jonathan Tah in der Abwehr zum Beispiel oder von Niclas Füllkrug, der nach einer Saison mit zwei längeren Verletzungspausen allerdings noch gar nicht auf Top-Niveau sein konnte.

Den beiden Finalspielen in der Nations League hatten die Deutschen mit einiger Vorfreude entgegengeblickt. Sie wollten sich weiteres Selbstvertrauen auf ihrem Weg zum WM-Titel verschaffen. Nach dem Halbfinale aber sind vor allem die Zweifel zurück. Zweifel an der Qualität des Teams.

Wenn der Bundestrainer seine besten Kräfte aufbieten kann, steht ihm eine konkurrenzfähige Mannschaft zur Verfügung. Jenseits der ersten Elf aber sind Nagelsmanns Möglichkeiten doch arg beschränkt.

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