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Reece James vom FC Chelsea jubelt.

© IMAGO/Sportsphoto/IMAGO/Allstar Picture Library Ltd

Kalte Zahlen statt Fußballromantik: Die neue Macht des Mittelmaßes in der Premier League

Der FC Chelsea trifft im Conference-League-Finale auf Real Betis – und bestätigt damit die Dominanz der Premier League in europäischen Wettbewerben. Dahinter steht ein deprimierender Trend.

Stand:

Enzo Maresca war sauer. Während seine Chelsea-Mannschaft noch am Sonntag um den letzten Champions-League-Platz in der Premier League kämpfen musste, durfte Real Betis schon am Freitag ran.

Somit hatten das Team aus Sevilla auch 48 Stunden mehr Zeit, sich auf das Conference-League-Finale am Mittwoch (21:00, RTL Nitro) vorzubereiten. „Ich bin 100-prozentig unglücklich darüber“, beschwerte sich Chelseas Trainer.

Ganz großes Mitleid wird es außerhalb von West-London aber kaum geben. Denn wenn diese Europapokal-Saison irgendwas gezeigt hat, dann ist es eben nicht, dass englische Vereine benachteiligt sind.

Wenn Chelsea am Mittwoch in Breslau gegen Betis gewinnen sollte, wäre das vielmehr die Bestätigung eines deprimierenden Trends. Wie schon vergangene Woche im Europa-League-Finale zwischen Tottenham Hotspur und Manchester United hat nun eine englische Mannschaft die Chance, eine allenfalls durchwachsene Saison mit einem Europapokal zu krönen.

Nur Real Madrid und PSG können finanziell mithalten

Dabei war es auf den ersten Blick eher ein schlechtes Europapokal-Jahr für englische Verhältnisse. In der Champions League schieden Liverpool und Manchester City überraschend früh aus, auch Arsenal konnte das Finale am Ende nicht erreichen.

Und trotzdem: Drei der sechs Europapokalfinalisten dieser Spielzeit kamen aus der Premier League. Die einzigen Teams, die einen englischen Gegner aus dem europäischen Wettbewerb werfen konnten, waren Real Madrid und Paris Saint-Germain. Zwei der wenigen Vereine also, die mit der englischen Liga finanziell noch mithalten können.

PSG ist eine von zwei Mannschaften, die einen englischen Gegner aus dem europäischen Wettbewerb werfen konnten,

© dpa/Christophe Ena

Jene Kluft zwischen den Reichen und den Armen ist natürlich nichts Neues. Die Premier League ist schon längst die reichste Liga der Welt. Ihre größten fünf oder sechs Vereine gehören seit Jahren zur Elite des Kontinents.

Neu ist aber die Macht des Mittelmaßes. Seit einigen Jahren gibt es unter den Premier-League-Vereinen nämlich eine Art neureiches Bürgertum, dessen Kaufkraft immer weiter wächst.

196
Millionen Euro gab West Ham 2023, in der Saison des Pokalgewinns, für neue Spieler aus.

Das sieht man besonders in der Conference League, wo es in jeder Saison seit Einführung des Wettbewerbs einen englischen Halbfinalisten gab. Als West Ham United 2023 den Pokal gewann – und damit seinen ersten Titel seit 1980 – war es für deren Fans ein Fußball-Märchen.

Die kalten Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache. Laut Transfermarkt gab West Ham in jener Saison 196 Millionen Euro brutto in der Saison für neue Spieler aus – etwa fünfmal so viel als Finalgegner AC Florenz.

Tiefgründige Dysfunktionalität kann man nicht wegkaufen

Ähnlich war es in dieser Saison in der Europa League. Im Finale von Bilbao waren es der 16. und der 17. der Premier-League-Tabelle, die um Europas zweitwichtigsten Vereinstitel rangen. Dennoch waren Tottenham und United die bei weitem reichsten Vereine im Turnier.

Dass sie trotzdem nur mit etwas Glück ins Finale kamen und dann das qualitativ schlimmste Endspiel seit Jahren ausspielten, war fast schon eine Frechheit. Gleichzeitig zeigte es, wie die finanzielle Dominanz im Fußball funktioniert: Tiefgründige Dysfunktionalität in einer Mannschaft oder einem Verein kann man mit Geld zwar nicht wegkaufen. Individuelle Qualität und Kadertiefe haben hingegen einen festen Preis.

Und wer diesen Preis zahlen kann, erhöht zumindest die Chancen, dass er auch in einem schlechten Jahr irgendwie zum Titel stolpert.

So erklärt es sich auch, dass ein langjähriger Krisenverein wie United seit 2017 dreimal im Europa-League-Finale stand. Oder eben, dass ein Klub wie Chelsea jetzt die Chance hat, den dritten europäischen Titel in sechs Jahren zu gewinnen.

Garantiert ist der Sieg natürlich nicht. Mit Betis trifft Chelsea auf eine Mannschaft mit Momentum, die mit Spielern wie Isco und Antony gerade eine Traum-Saison erlebt und vom ersten internationalen Titel der Vereinsgeschichte träumt.

Dass die Spanier gefährlich sein können, weiß man auch in West-London: „Bei Chelsea sind sie nicht doof. Sie wissen, dass Betis eine große Mannschaft ist“, sagte Blues-Legende Pat Nevin zuletzt gegenüber der spanischen Zeitung „AS“.

Trotzdem würde es niemanden überraschen, wenn Marescas Team am Mittwoch die silberne, kurvenförmige Trophäe in den polnischen Himmel reckt. Denn auch mit 48 Stunden weniger Vorbereitungszeit ist man als englische Mannschaft ja immer der Favorit.

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