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Nach der turbulenten Mitgliederversammlung: Hertha BSC behält die Richtung bei
Mit der Wahl von Fabian Drescher zum Präsidenten votieren Herthas Mitglieder auch für eine Fortsetzung des bisherigen Kurses. Die Heilsversprechen der übrigen Kandidaten verfangen nicht.
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Auf den ersten Blick wirkte es wie von langer Hand vorbereitet. Bis zu seiner Wahl zum Präsidenten von Hertha BSC hatte Fabian Drescher ein weißes Hemd unterm dunkelblauen Jackett getragen; dem Amt, für das er kandidierte, entsprechend und angemessen. Nach seiner Wahl war Drescher dann im blau-weiß-gestreiften Sondertrikot des Berliner Fußball-Zweitligisten aus der vergangenen Saison zu sehen.
„Berliner Weg“ steht auf der Brust dieses Trikots, nicht das Logo des damaligen Hauptsponsors. Das passte perfekt zu Drescher, zu seiner Bestätigung im Amt und vor allem zur allgemeinen Stimmung im Staate Hertha. Der alte und neue Präsident hatte sich vehement für die Fortsetzung des Berliner Weges ausgesprochen, auf den sein Vorgänger Kay Bernstein den Verein einst geschickt hatte.
Drescher, 42 Jahre alt und im normalen Leben Rechtsanwalt, bediente die Sehnsucht vieler Herthaner nach dem vereinenden Gefühl einer großen Gemeinschaft. Er stellte dieses Gefühl über die wirtschaftlichen Interessen der Hertha BSC GmbH und Co. KGaA, der sich vor allem seine Widersacher verpflichtet gefühlt hatten. Sie machten am Sonntag im City Cube der Messe Berlin große Versprechungen. Doch die verfingen bei den 4000 Mitgliedern nicht.
Bei aller Symbolik: Der Grund für Dreschers Klamottenwechsel auf halber Strecke war ein recht banaler. Der alte (kommissarische) und neue (ordentliche) Präsident erzählte später, dass er einfach unterschätzt habe, wie sehr man unter einem Sakko schwitzen könne. Vielleicht, so sagte er, sei es auch „die Aufregung“ gewesen, die bei ihm zu verstärkter Transpiration geführt hatte.
In der Rückschau aber gab es nicht den geringsten Grund, aufgeregt zu sein. Drescher gewann die Wahl derart souverän, dass später mal wieder die etwas schiefe Metapher vom Erdrutschsieg bemüht wurde. Von den 3651 gültigen Stimmen entfielen 2983 auf den kommissarischen Präsidenten. Das entspricht einer Zustimmung von 81,7 Prozent. Ob er mit einem solchen Ergebnis gerechnet habe, wurde Drescher später gefragt. „Im Leben nicht“, antwortete er.
Zur Einordnung: Werner Gegenbauer, sein Vor-Vorgänger, bekam im Oktober 2020, bei seiner letzten Wiederwahl, gerade mal 54 Prozent der Stimmen – und das, obwohl er ohne Gegenkandidaten angetreten war. Drescher hingegen sah sich gleich vier Mitbewerbern gegenüber, von denen allein der Unternehmer Uwe Dinnebier auf eine nennenswerte Stimmenzahl (582) kam.
Wir haben den Turnaround geschafft.
Geschäftsführer Tom Herrich über Herthas finanzielle Situation
Um es mal in der Sprache des Sports auszudrücken: Drescher war als Favorit ins Rennen gegangen, und er wurde seiner Favoritenrolle vollauf gerecht. Dass er die Wahl gewinnen würde, war eigentlich schon nach seiner fünfminütigen Vorstellungsrede klar. Der Amtsinhaber hatte als erster der fünf Kandidaten sprechen dürfen. Als er fertig war, brandete heftiger Applaus auf, ein großer Teil der Mitglieder erhob sich von seinen Sitzen.
Dass sich alle folgenden Bewerber in ihren Reden mal mehr, mal weniger heftig blamierten und teilweise bei neutralen Beobachtern Zweifel an Herthas Zurechnungsfähigkeit säten – geschenkt. Neben einer gesunden Selbsteinschätzung fehlte einigen von ihnen auch das Gespür für eine solche Veranstaltung. Und das Gespür für den aktuellen Zustand des Vereins Hertha BSC.

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Nach Jahren sportlicher Turbulenzen und wirtschaftlichen Misserfolgs reagieren die Mitglieder inzwischen fast schon genervt auf immer neue Heilsversprechen von der schnellen Rückkehr zu alter Größe. Gerade Stepan Timoshin und Uwe Dinnebier hatten auf den Faktor Finanzen gesetzt und neues Geld in Aussicht gestellt. Sie gerierten sich wie international bekannte Zauberkünstler und bekamen am Ende nicht einmal einen billigen Kartentrick auf die Reihe.
Fabian Drescher hatte die Präsidentenwahl vorab zu einer Richtungswahl ernannt, und seit Sonntag ist klar, dass die bisherige Richtung erst einmal beibehalten wird. Tom Herrich, Herthas Geschäftsführer, wertete das Votum der Mitglieder als „Kontinuität auf dem Weg, den wir gegangen sind“. Es sei „wichtig, dass dieser Weg weitergeht“.
Dafür steht Drescher, der 2016 als einfaches Mitglied ins Präsidium gewählt worden war und unter Werner Gegenbauer, wie er am Sonntag coram publico zugab, nicht durch übermäßigen Widerspruchsgeist aufgefallen ist. Im Juni 2022 wurde er Kay Bernsteins Stellvertreter, und nach dessen Tod Anfang des Jahres übernahm er kommissarisch die Aufgaben des Präsidenten.
Ein Präsidium nach Dreschers Gusto
Nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses richtete Drescher ein paar Worte an die Mitglieder. Er endete mit dem Satz: „Ich wünsche euch ein glückliches Händchen bei der Wahl der Vizepräsidentin.“ Hinein in den Applaus und das Gelächter des Auditoriums ergänzte Drescher dann noch: „Oder eines Vizepräsidenten. Entschuldigung.“
Dass er sich Anne Noske, die einzige Frau unter allen Kandidaten fürs Präsidium, als Stellvertreterin wünschte, daraus hat Drescher kein Geheimnis gemacht. Noske hatte schon dem alten Präsidium angehört und wurde schließlich ebenfalls mit großer Mehrheit (76,2 Prozent) zur Vizepräsidentin gewählt.
Überhaupt dürfte das neue Präsidium ganz nach Dreschers Gusto sein. Aus dem alten Gremium wurden Ralf Thaeter und Saravanan Sundaram im Amt bestätigt; allein Hans-Joachim Bläsing verfehlte die nötige Mehrheit. Neu sind Knut Beyer, Ferhat Dogru und Niklas Lohse, der, ähnlich wie der frühere Präsident Bernstein, ehemaliger Ultra ist.
Die finanzielle Situation bleibt herausfordernd
Die Zusammensetzung des Präsidiums stützt Dreschers Aussage, dass Hertha nun kein kompletter Neuanfang bevorsteht. „Wir sind ja schon mittendrin“, sagte er in einer Medienrunde nach der Mitgliederversammlung. „Wir haben’s unter Kay begonnen, und wir haben’s die letzten Momente einfach fortgesetzt.“ Inzwischen sei man an einem Punkt, „wo einige Sachen aufgehen“.
Die finanzielle Konsolidierung zum Beispiel ist so weit gediehen, dass Geschäftsführer Herrich den Mitgliedern verkündete: „Wir haben den Turnaround geschafft.“ Das Betriebsergebnis ist, zumindest vor Steuern und Abgaben, positiv ausgefallen (0,8 Millionen Euro). „Die Einnahmen decken wieder die Ausgaben“, sagte Herrich. Auch für die laufende Saison kündigte er ein positives Betriebsergebnis an.
Und trotzdem: „Unsere finanzielle Situation wird weiterhin unsere größte Herausforderung sein“, sagte Drescher. Der Investor 777 Partners, der Hertha unter bestimmten Umständen noch 25 Millionen Euro schuldet, ist inzwischen wohl in der Abwicklung und für den Klub daher nicht mehr greifbar.
Es gebe, so Herrich, auch „keinen direkten Kontakt zu irgendwelchen Rechtsnachfolgern“. Aber anders als im Sommer 2023, als Hertha auf den Investor angewiesen war, um überhaupt die Lizenz für die Zweite Liga zu bekommen, ist es inzwischen so, „dass wir aus uns selbst wirtschaften können“.
Für vier Jahre sind Drescher und das neue Präsidium gewählt. Was er am Ende seiner Amtszeit erreicht haben wolle, wurde er im Anschluss an die mehr als zehnstündige Mitgliederversammlung gefragt. „Wir spielen wieder Bundesliga und sind da vielleicht auch schon ein Stück weit etabliert“, antwortete er. Es gehe aber auch darum, „dieses Gefühl beizubehalten und den Mitgliedern jeden Tag zu vermitteln: Ihr habt uns euren Verein anvertraut. Mit dem machen wir keinen Scheiß.“
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