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Hauptsache weit! Das könnte künftig das Motto sein im Weitsprung.

© IMAGO/Beautiful Sports

Neue Pläne für den Weitsprung: Ein Tabubruch in der Leichtathletik?

Das Übertreten beim Weitsprung soll künftig möglichst vermieden werden. So auch beim Istaf Indoor. Manche betrachten dies gar als Verrat an der Sportart.

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Hrvoslava Starcevic steht in der Sporthalle und ruft einen jungen Mann namens Gabriel zu sich. „Wie findest du die neue Absprungzone beim Weitsprung?“, fragt sie ihn. „Cool“, sagt Gabriel. Anschließend bittet sie einen etwas älteren Sportler nach seiner Einschätzung. „Ich kann damit nichts anfangen“, sagt dieser.

„Sehen Sie, genau so ist es“, sagt Starcevic: „Die Älteren finden es doof, und die Jüngeren finden es gut.“ Sie selbst fände die alte Regelung auch besser. „Ich bin da eher oldschool.“

Starcevic arbeitet als Landestrainerin am Berliner Olympiapark und ist dort für die Disziplinen Sprung und Mehrkampf zuständig. Sie ist unmittelbar von einer kleinen Änderung im Weitsprung betroffen, die der oberste Verbandschef der Leichtathletik – Sir Sebastian Coe – angestoßen hat: Der Absprungbalken, der bislang 20 Zentimeter breit ist, soll künftig doppelt so breit sein.

Gemessen werden soll die Weite vom exakten Absprung bis zur Landung. Die Idee dahinter: Die Zahl der Fehlversuche soll deutlich reduziert werden und – na klar – möglichst neue Rekordweiten herausspringen.

Viele sehen darin einen Tabubruch

Entschieden ist noch nichts; der neue Absprungbalken ist ein Experiment. Erste Wettbewerbe testen den neuen Balken – so auch das Istaf Indoor, das am Freitagabend in der Arena in Friedrichshain ausgetragen wird.

Nun könnte man meinen, dass 20 Zentimeter mehr oder weniger nicht die Welt sind. Doch offenbar beschäftigt das Thema viele sportaffine Menschen. Es geht nämlich um mehr. Viele sehen in der angedachten Reform einen Tabubruch.

Die Leichtathletik steht nicht nur für „höher, schneller, weiter“. In fast allen Disziplinen geht es um Präzision. Nicht nur der Absprungbalken muss perfekt getroffen werden. Bei den Sprintdisziplinen gilt es, den Startschuss exakt zu erwischen; und bei den Wurfdisziplinen müssen Begrenzungen eingehalten werden.

Für Verfechter der klassischen Leichtathletik-Lehre liegt der Reiz dieser olympischen Kernsportart gerade in diesen Herausforderungen. „Dieser Teil, das Treffen des Balkens, macht für mich schon auch den Weitsprung aus“, sagt Starcevic. „Der Nervenkitzel, den Balken treffen zu müssen, und die damit verbundene Anspannung bei den Athleten gehören für mich dazu.“

Zudem müsste Starcevic ihre Arbeit stark umstellen. „Es geht beim Weitsprung vor allem um Rhythmisierung, damit man den Balken trifft“, erklärt sie. Eine neue Regelung würde ihr die Arbeit erleichtern, aber sie womöglich auch langweiliger machen.

Die bisherigen Regelungen sind Grundbestandteil der Leichtathletik – und sie sollten nicht aufgehoben werden.

Max Heß, Dreispringer

Unterstützung erfährt Starcevic von vielen Trainerinnen und Trainern, aber auch von Athleten. Der deutsche Dreispringer Max Heß findet, dass Fehlversuche dazugehören. „Dann könnte im 100-Meter-Sprint ja auch jeder losrennen, wenn er Lust hat“, sagte er dem MDR. Dann könne man Nettozeiten nehmen. „Die bisherigen Regelungen sind Grundbestandteil der Leichtathletik – und sie sollten nicht aufgehoben werden.“

Einschaltquoten gehen zurück

Die Reformvorschläge der Verbandsspitze kommen nicht von ungefähr. Die Leichtathletik hat es nicht leicht. Viele Disziplinen kämpfen mit großen Problemen – besonders auf der Ebene des Breitensports.

Der Nachwuchs kann sich für Kugelstoßen, Hürdenlauf oder Weitsprung nur noch schwer begeistern. Ehrenamtliche Trainer werden ebenfalls rar. Und das öffentliche Interesse an Leichtathletik-Meetings abseits von Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften hält sich in Grenzen. Oftmals sind die Tribünen halbleer. Sprich: Der Reformdruck ist groß.

Der deutsche Dreispringer Max Heß eroberte am Samstag mit einem Sprung über 17,41 Meter die Spitze der Weltjahresbestenliste.

© AFP/KIRILL KUDRYAVTSEV

Dass Veränderungen beim Weitsprung angedacht sind, verwundert nicht. Auswertungen haben ergeben, dass bei technischen Disziplinen wie eben dem Weitsprung oder auch dem Hindernislauf, die Einschaltquoten am stärksten zurückgehen. Das mangelnde Interesse am Weitsprung, so glauben die Funktionäre, hänge mit den vielen Fehlversuchen zusammen. Bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2023 in Budapest etwa war ein Drittel der Versuche ungültig.

Doch es ist ein schmaler Grat. Wenn Regeländerungen an den Grundfesten einer Sportart rütteln, wird es schwierig. Manche Beobachter der Leichtathletik fürchten, dass ein breiterer Balken das Einfallstor für viele weitere Reformen sein könnte – mit der Folge, dass am Ende nicht mehr viel vom bisherigen sportlichen Wettkampf übrig bleibt.

Hinzu kommen weitere Probleme. So gibt etwa Harry Marusch, der Trainer von Max Heß, zu bedenken, dass kleine Veränderungen wie ein breiterer Balken große Folgen haben können. Viele Weitsprunganlagen müssten umgebaut werden, sagte er dem MDR. Hinzu käme die elektronische Weitenmessung, die ebenfalls angepasst werden müsse. „Das wäre ein immenser Kostenaufwand, gerade für die kleineren Verbände“, sagt Marusch.

Für große Events wie das Istaf Indoor sind solche Mehrkosten überschaubar – vermutlich genauso wie der sportliche Mehrwert eines neuen Balkens.

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