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Para-Klettern gehört 2028 in LA zu den Paralympics: „Ich muss kreativer denken als jemand mit zwei Armen“
In vier Jahren wird bei den Paralympics erstmals auch um Medaillen geklettert. Corinna Wimmer hat gute Chancen, beim Debüt in Los Angeles dabei zu sein.
Stand:
Frau Wimmer, Sie gehören dem deutschen Perspektivkader im Para-Klettern an – einer Sportart, die bei den Paralympics 2028 ihr Debüt geben wird. Werden Sie in Los Angeles dabei sein?
Das wäre auf jeden Fall ein Traum, der in Erfüllung ginge. Ich will dieses Ziel unbedingt erreichen. Aber ich muss auch schauen, wie ich den Weg dorthin mit meinem Beruf als Ärztin vereinbaren kann. Das wird nicht ganz leicht, aber wenn ich es irgendwie umsetzen kann, dann werde ich es auch machen.
Steht denn schon fest, mit welchen Beeinträchtigungen man in LA teilnehmen kann?
Nein, die einzelnen Klassen sind noch nicht klar. Generell gibt es vier große Klassen. Das sind blinde Sportler, jeweils diejenigen mit Arm- und Beinamputationen und eine Rest-Kategorie. In der sind dann Menschen mit neurologischen Erkrankungen, die den Bewegungsapparat betreffen. Die verschiedenen Klassen haben dann auch noch zwei oder drei Subkategorien.
Also müssen Sie noch hoffen, dass Ihre Klasse dabei ist?
Para-Sport ist ja nicht fair, sondern immer nur so fair wie möglich. Deswegen ist eine Platzierung auf dem Podium zu einem gewissen Part auch ein bisschen Glück. Meine Klasse ist die AO2. Das bedeutet, dass eine obere Extremität betroffen ist. Mein rechter Arm hört nach dem Ellbogengelenk auf, ich habe kein Handgelenk.
Ihr Ellbogengelenk ist funktional. Wie viel macht das beim Klettern aus?
Funktionelle Gelenke erlauben immer viel mehr Bewegungsspielraum. Das kann dann zum Beispiel bei Bewegungsmöglichkeiten von der Wand weg oder zu der Wand hin helfen oder beeinflussen, wie viel Halt ich habe.
Wie oft gehen Sie klettern?
Ich arbeite im Moment 75 Prozent als Ärztin. Ich habe also einen Tag in der Woche frei und arbeite den Rest der Woche dann voll. Dadurch kann ich recht gut nebenher trainieren. Allerdings muss ich dabei priorisieren, was ich trainiere. Ich kann nicht all das trainieren, was ich gerne würde. Ich muss das ein bisschen limitieren oder anpassen.
Wie sieht Ihr Trainingsalltag denn im Moment aus?
Ich gehe dreimal die Woche bouldern und klettern, zweimal die Woche mache ich Yoga als Ausgleichstraining, dazu ein bis zwei Pausentage. Jetzt im Sommer wäre eigentlich hauptsächlich Ausdauertraining dran gewesen, das kann ich aufgrund einer Verletzung gerade nicht. Und dann trainiere ich gerade immer noch sehr viel für meine Höhenangst, damit mich zumindest das Mentale beim Klettern nicht zurückhält. Da habe ich auch sehr viel über den Winter trainiert. Das war echt ein ziemlich großer Erfolg für mich persönlich dieses Jahr in der Wettkampfsaison, dass mich das zum ersten Mal nicht am Klettern limitiert hat.
Wie sind Sie mit Höhenangst überhaupt zum Klettern gekommen?
Klettern war in meiner Familie immer ein Thema. Mein Vater ist bei der Bergwacht, und wir waren auch als Kinder immer viel in den Bergen unterwegs. Das waren dann zwar eher Wanderungen und Hüttentouren, aber da gab es immer einen Berührungspunkt. Irgendwann habe ich mit dem Klettern dann aber wirklich als Therapie gegen die Höhenangst angefangen – und dann hat es mir trotz der Angst so viel Spaß gemacht, dass ich dran hängen geblieben bin.
Was macht das Klettern für Sie aus?
Mich reizt daran vor allem, in der Kombination aus Körperbewegungen und gedanklichem Knobeln Lösungen zu finden. Das Lösungenfinden wird durch meine Behinderung natürlich noch verstärkt – ich muss eben kreativer denken als jemand mit zwei Armen, um die Wand hochzukommen.
Können Sie genauer erklären?
In einer normalen Halle sind die Routen ausgelegt auf Menschen mit zwei Armen und zwei Beinen, also zum Beispiel was die Spannweite der Arme angeht. Da muss ich dann eben ein bisschen drumherum arbeiten, also überlegen, wie ich die Strecke löse, wenn ich an den vorgesehenen Stein gar nicht dran komme. Dann überlege ich, welche Steine könnte ich stattdessen benutzen? Kann ich vielleicht den Fußtritt mit einbinden? Überspringe ich den Griff? Was gibt die Wand allgemein für Möglichkeiten her? Ich schaue mir die Route also vorher genau an, überlege wie der beabsichtigte Weg wäre und schätze dann schonmal ab, was ich anders machen muss. Wenn Kopf und Körper gut zusammen arbeiten, dann wird’s ziemlich cool.
Ist Barrierefreiheit beim Klettern allgemein ein Thema?
Ja, auf jeden Fall. Für mich persönlich zwar eher wenig, weil ich keine Einschränkungen in der Mobilität habe, aber ich merke es beim Bouldern. Manche Startpositionen sind eben doch so geschraubt, dass ich da gar nicht rankomme. Das schränkt mich ein, macht es aber auch spannend und herausfordernd. Aber generell haben wir im Para-Klettern auch viele Sportler, die mit Gehhilfen oder Rollstühlen unterwegs sind. Ihnen wird es manchmal schwer gemacht, alleine zur Halle zu kommen oder sich in der Halle zu bewegen. Unterkünfte bei Wettkämpfen zu finden, die barrierefrei sind, ist auch oft nicht einfach. Ich selbst stoße dann manchmal beim Training im Fitnessstudio auf Probleme, weil die Geräte natürlich auf Personen mit zwei Händen ausgelegt sind. Ich muss dann wieder überlegen, wie ich dieses Gerät trotzdem benutzen kann. Das kann schon auch eine Barriere sein.
Es könnte da also helfen, dass Klettern paralympisch wird.
Es bedeutet mehr mediale Aufmerksamkeit, mehr Sichtbarkeit für uns. Es ist die größte sportliche Bühne, die man erreichen kann. Ich selbst wurde ja zum Beispiel in einer Kletterhalle darauf aufmerksam gemacht, dass es speziell Para-Klettern überhaupt gibt, das wusste ich vorher gar nicht, weil es nicht sichtbar war. Ich finde es wichtig, dass Menschen mit Behinderungen sehen: Ich kann das machen, ich kann auch mit meiner Behinderung klettern. Und es bringt natürlich auch neue Ressourcen mit sich, also Förderprogramme, Stipendien, diverse Unterstützungsmöglichkeiten. Und auch mehr Trainingsmöglichkeiten, mehr Wettkämpfe, mehr Preisgeld, mehr Sponsoren. Man könnte vielleicht sogar Vollzeit-Athlet sein, das ist bei uns bisher eigentlich unmöglich gewesen.

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Wie sieht das Training mit dem Nationalteam aus?
Hauptsächlich trainiere ich alleine in Absprache mit dem Nationaltrainer. Unser Kader liegt übers ganze Land verteilt, deswegen kommen wir zu vier oder fünf gemeinsamen Trainings im Jahr zusammen. Regionale Zusammenschlüsse fehlen noch. Die wären besonders für die Entwicklung und die Nachwuchsförderung wichtig.
Ist es für Sie das gleiche Erlebnis, mit Menschen mit oder ohne Behinderung zu klettern?
Ich würde sagen, man kann in beiden Fällen sehr viel lernen. Die meisten meiner Freunde haben keine Behinderung, und ich kann durchs Zuschauen viel lernen und sehe, wie der Weg eigentlich gedacht ist, sodass ich mir das später visuell besser vorstellen kann. Mit Menschen mit Behinderung zu klettern, ist aber auch unglaublich wertvoll. Man hat die gleichen Erfahrungen gemacht und kann sich austauschen. Außerdem ist man befreit von Vorurteilen.
Stoßen Sie im Alltag oft auf Vorurteile?
Ja! Es fängt schon mit der Frage an: Klettern mit einer Hand – das geht? Ja natürlich geht das, ganz offensichtlich sogar! Aber es zeigt eben, dass das in den Köpfen der Menschen noch nicht angekommen ist. Es kommen auch ganz absurde Fragen, ob ich mir alleine die Schuhe zubinden kann oder wie ich es geschafft habe, Medizin zu studieren. Da ernte ich schon oft Erstaunen. Teilweise können diese Gespräche aber auch sehr schön sein, wenn dann ein Austausch auf Augenhöhe stattfindet. Gesamtgesellschaftlich sind da aber auf jeden Fall noch viele Vorurteile da, weil man sich eben nicht vorstellen kann, mit einem Arm zu leben, wenn man zwei hat. Das behindert mich tatsächlich deutlich mehr als meine Behinderung an sich. Die schränkt mich nämlich viel weniger ein, als viele Leute denken.
Wie gehen Sie mit diesen Vorurteilen um? Konfrontationskurs?
Die direkte Konfrontation ist da oft nicht so zielführend und auch nicht mein Charakter. Mir ist es immer lieber, wenn Leute Fragen stellen, anstatt sich irgendwelche überflüssigen Gedanken zu machen. Aber es kostet eben auch Energie, immer jemanden neues aufzuklären. Man fragt sich dann: Warum ist das jetzt mein Job? Nur weil ich die Behinderung habe?
Frau Wimmer, was bedeutet das Klettern für Sie persönlich?
Es bedeutet mir sehr viel! Sowohl der Klettersport an sich, als auch die Community dazu sind ein großer Bestandteil meines Lebens. Auch die internationalen Netzwerke, die ich übers Para-Klettern aufbauen konnte, bedeuten mir viel. Ich nehme auch für meine persönliche Entwicklung immer wieder viel mit vom Klettern. Ich kann mir aktuell also nicht vorstellen, dass ich an einem Punkt in meinem Leben mal nicht klettern werde.
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